Wohin führt Ratzinger die katholische Kirche?: Ogott, ogottogott!

Der Papst rehabilitiert vier erzreaktionäre Bischöfe, darunter einem Holocaust-Leugner - und sorgt damit für Entsetzen. Betriebsunfall oder Ausdruck eines Durchmarschs der Reaktion?

Als Popstar "Benedetto" wird Papst Benedikt XVI. längst schon nicht mehr überall gefeiert... Bild: ap

Pius X. war von 1903 bis 1914 Papst. In dem von ihm eingeführten "Antimodernisteneid" mussten alle katholischen Geistlichen jährlich den "Irrtümern der Moderne" abschwören, etwa der historisch-kritischen Auslegung der Bibel.

Die erzkonservative Priesterbruderschaft St. Pius X. (Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X.) wurde 1970 vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre gegründet. Zum Zweiten Vatikanischen Konzil sagte Lefebvre in einer Grundsatzerklärung von 1974: "Da diese Reform vom Liberalismus und vom Modernismus ausgeht, ist sie völlig vergiftet." Die Bruderschaft ist inzwischen auf allen Kontinenten vertreten, ihr gehören etwa 470 Priester an.

Dass Antisemitismus unter den Pius-Brüdern keine Ausnahme ist, zeigte auch der Distriktobere in Deutschland, Franz Schmidberger, mit einem Rundschreiben an 27 Bischöfe im Dezember 2008: "Die Juden unserer Tage (…) sind des Gottesmordes mitschuldig, solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren." BOE

Gemurmel. Nichts als Gemurmel hört man von da vorne, wo der Priester in Richtung Altar betet. Die meiste Zeit sieht man seinen Rücken, nur ab und zu dreht sich der in einem beigen Messgewand gekleidete Geistliche um, breitet kurz die Arme aus und betet: "Dominus vobiscum", also: "Der Herr sei mit euch!"

Über dem üppig-goldenen Altar zeigt ein Wandbild das Lamm Gottes vor einem Sternenhimmel. Vor ihm sitzen links und rechts Heilige: Paulus und Petrus, Elisabeth und Bonifatius. Und Papst Pius X. Das ist ungewöhnlich. Denn dieser große Feind des modernen Denkens, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts amtierte, wird selten verehrt. Aber er wurde heiliggesprochen, als einziger Papst der vergangenen 500 Jahre. Genau deshalb ist er hier zu sehen.

Die kleine Kirche in Berlin-Wilmersdorf nennt sich Priorat St. Petrus Berlin. Es ist das Zentrum der katholischen Traditionalisten in der Hauptstadt. Die Priester, die hier die "lateinische", tridentinische Messe feiern, gehören der "Priesterbruderschaft St. Pius X." an. Sie wurde 1970 vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) gegründet.

Der Antisemit Richard Williamson ist ein Bischof dieser Vereinigung. Er hatte den Holocaust geleugnet und sich am Freitagabend beim Papst für das "Leid" und die darauf entstandenen "Probleme" entschuldigt. In der Sache zog er nichts zurück.

Mit drei anderen durch Lefebvre geweihten Bischöfen wurde Williamson 1988 aus der katholischen Kirche exkommuniziert, weil sie die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnten. Auf diesem Konzil hatte sich die katholische Kirche Mitte der Sechzigerjahre zur Religionsfreiheit bekannt, die Messe in den Landessprachen etabliert, den Nichtpriestern größere Mitwirkung eingeräumt und ihre jahrhundertealte Judenfeindschaft beendet.

Doch vergangene Woche nahm Papst Benedikt XVI., der Deutsche Joseph Ratzinger, die ausgestoßenen Lefebvre-Fans wieder auf. Ein großer Sieg für die Schismatiker, die Spalter. Ein Debakel für die Kirche.

Herrscht nun Jubel bei den Pius-Priestern? In der kleinen, mit Holz vertäfelten Sakristei ist der Priester gerade dabei, sein Messgewand auszuziehen, liebevoll legt er es auf einen kleinen Tisch, ordnet die Bänder, mit denen er seinen weißen Unterrock gegürtet hatte. "Sind Sie Mitglied der Pius-Priesterbruderschaft?" "Ja." "Sind Sie froh, dass die Exkommunikation Ihrer Bischöfe jetzt aufgehoben wurde?" "Meine Meinung dazu steht auf unserer Homepage", sagt der Priester mit holländischem Akzent. Weitere Fragen bringen nichts. Mehr als der Verweis auf die Homepage der Bruderschaft ist von dem Priester nicht zu erfahren.

Dabei sind fast alle Fragen offen. Und außer wortreichen Bekundungen der Freude über das Ende der Exkommunikation steht nichts auf der Pius-Homepage, erst recht nicht über Williamson.

Das ist fast frech, denn die Rehabilitierung der vier und Williamsons Ergüsse sind daran schuld, dass seit etwa zehn Tagen ein Erdbeben die katholische Kirche und, um es theologisch zu sagen, ihr Verhältnis zur "Welt" erschüttert. Fromme Bischöfe schimpfen mehr oder weniger öffentlich über den Vatikan. Treue Theologen protestieren gegen Rom und befürchten einen "Wendepunkt in der nachkonziliaren Kirchengeschichte". Am Sonntag erklärte der international renommierte niederländische Theologe Jean-Pierre Wils seinen Austritt aus der katholischen Kirche. Die jüdischen Gemeinschaften weltweit sind entsetzt und verweigern jegliche weitere Kommunikation mit der Kirche. Britische Parlamentarier diskutieren die Entscheidung des Vatikans. Israels Regierung erwog am Wochenende den Abbruch der Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Papst Benedikt XVI. hat einen veritablen Bock geschossen, als er die Pius-Bischöfe wieder in die Kirche aufnahm.

Aber wie kam es dazu? Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der einst bei Ratzinger promovierte, vermutet "einen Betriebsunfall" bei der Entscheidung des Papstes und spricht von "kirchlicher Schlamperei". Aber, so gibt er zu bedenken, "nicht jede Torheit, die ein schismatischer Bischof äußert, wird auch schon in Rom registriert".

Ganz anders sieht dies der bekannte katholische Theologe Hans Küng, den Joseph Ratzinger schon als Chef der Glaubenskongregation bekämpft hat. Benedikt XVI. habe keine kritischen Leute um sich, "insofern kann er offenkundig nicht kalkulieren, was das bewirkt, wenn er einen Holocaust-Leugner aufnimmt und drei andere dazu, die nicht viel besser sind". Der Papst versuche fast vier Jahre nach seiner Wahl "die konservative Linie durchzusetzen".

Ein Vatikan-Kenner im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) erzählt es so: Das Papier zur Wiederaufnahme der exkommunizierten Pius-Bischöfe habe seit Jahren auf dem Schreibtisch des Papstes gelegen. Johannes Paul II., der Vorgänger Ratzingers, aber habe sich geweigert, es zu unterschreiben. "Der war ein Kerl. Ratzinger aber ist ein deutscher Professor."

Das Entsetzen über die Entscheidung des Papstes ist so groß, dass selbst seine Bischöfe größte Mühe haben, keine allzu deutliche Kritik zu formulieren. "Wer die Schoah leugnet, kann nicht in seinem kirchlichen Amt rehabilitiert werden", sagt der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn. Hier hätten "vatikanische Mitarbeiter nicht genügend hingeschaut" und sich offensichtlich nicht genügend über Williamson informiert. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, kritisiert Benedikt XVI. indirekt, aber deutlich: "Ich kann verstehen, dass unsere jüdischen Brüder betroffen sind." Das alles sei "bedauerlich, nein: tragisch". Hinter vorgehaltener Hand befürchten die wenigen liberalen Bischöfe der Kirche und kenntnisreiche Laien tatsächlich einen Durchmarsch der Reaktionäre in Rom.

Denn wer genau hingehört hat, dem musste auffallen: Erst als der Proteststurm über den Holocaust-Leugner international richtig losgegangen war, verlangte der Papst von den Lefebvre-Bischöfen eine Anerkennung des Konzils als Bedingung zur Aufnahme. Vorher war das nicht passiert. Dafür war der Vatikan auf zwei Bedingungen der Pius-Bruderschaft eingegangen, die diese seit 2001 für eine Rückkehr zur Kirche stellte: die Erlaubnis, die alte tridentinische Messe zu feiern, und das Ende der Exkommunikation. Der lutherische Landesbischof Friedrich Weber, ein Ökumene-Experte, urteilt über die Konzessionen des Papstes an die Pius-Brüder spitz: "Der Wille zur Einheit ist offenbar so mächtig, dass der Papst bereit ist, eine menschenverachtende und nach unseren deutschen Maßstäben kriminelle Äußerung eines Bischofs in Kauf zu nehmen, selbst wenn er sich dann gleich wieder von dieser distanzieren muss."

Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die Lefebvre-Bischöfe gar nicht daran denken, dem Papst wesentlich entgegenzukommen. Zwar haben sie sich von den Holocaust-Äußerungen ihres Bruders Williamson distanziert. Das Konzil aber wollen die Ultra-Traditionalisten nicht anerkennen. Der deutsche Distriktsobere der Lefebvre-Fans, Pater Franz Schmidberger, kündigte lediglich an, man werde mit dem Vatikan über die volle Rückkehr ihrer Gruppe in die Kirche reden. Dabei müsse aber die Kirche zu ihrer wahren Lehre zurückkehren und Irrtümer des Konzils zurücknehmen.

So bleibt der eigentliche Skandal bestehen: Die Kirche nimmt Leute auf, die ihre Prinzipien schlicht ablehnen - und dazu passt auch Williamsons Holocaust-Leugnung: "Zwischen der fortdauernden Ablehnung der Ergebnisse des II. Vatikanischen Konzils durch die Traditionalisten und ihrer tief reaktionären und freiheitsfeindlichen Haltung besteht ein enger Zusammenhang", sagte der Präsident des ZdK, Hans Joachim Meyer, ungewöhnlich deutlich. Kein Wunder, dass am Freitag ein weiterer Lefebvre-Priester in Italien den Holocaust leugnete. Dazu passt auch, dass Benedikt XVI. am Wochenende den ultrakonservativen österreichischen Priester Gerhard Wagner zum neuen Weihbischof der Diözese Linz ernannte (siehe Seite 2).

Die katholischen Theologie-Fakultäten von Freiburg, Tübingen und Münster - übrigens die größte staatliche katholische Fakultät der Welt - haben wegen der Angst um den Kurs der Kirche fast geschlossen die Entscheidung zur Rehabilitation der Pius-Bischöfe verurteilt und Protestbriefe an den Papst geschrieben. "Es ist uns unverständlich, dass die Exkommunikation der schismatischen Bischöfe aufgehoben wurde, bevor sie grundlegende Lehraussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils akzeptiert haben", schrieben die Freiburger Theologen. Die Traditionalisten ignorierten oder verneinten wesentliche Beschlüsse des Konzils. "Wir befürchten, dass die Aufhebung der Exkommunikation dieser Bischöfe einen Wendepunkt in der nachkonziliaren Kirchengeschichte markiert", heißt es bei den Tübingern.

Und wie geht es jetzt weiter? Jüdische Gemeinschaften in aller Welt fordern de facto eine erneute Exkommunikation von Williamson. Die für den Mai geplante Reise des Papstes nach Israel ist belastet; und ob sie noch stattfinden kann, ist unklar. Bis spätestens dahin muss die Lefebvre-Affäre wenigstens einigermaßen geklärt sein. Doch danach könnte schon der nächste Affront aus Rom kommen: die Seligsprechung von Pius XII., jenem Papst, der zum Holocaust geschwiegen hatte. Die Unterlagen liegen unterschriftsreif auf dem Schreibtisch des Papstes.

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