Geflügel-Skandal in Ostwestfalen: Der Schwindel mit den Bio-Puten

Berthold Franzsander war einer der größten deutschen Biogeflügelhändler. Nach taz-Informationen ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

Bio wären diese Puten nur, wenn sie auch Bio-Futter fressen würden. Bild: dpa

Bioland ist der größte ökologische Anbauverband Deutschlands. Mitglieder, die das Siegel tragen, unterwerfen sich strengen Regeln. So gelten etwa für die Aufzucht von Bioputen nach den Kriterien des Verbandes nicht nur ein Verbot von Genfutter und starke Einschränkungen für die Vergabe von Medikamenten. Jede Pute erhält mindestens 10 Quadratmeter Grünauslauf und sogar einen überdachten Schlechtwetterauslauf. Vorgeschrieben sind auch Sitzstangen für die Tiere. Bei Bioland dürfen die Schnäbel der Puten im Gegensatz zur konventionellen Tierhaltung nicht beschnitten werden. Frühestens nach 20 Wochen dürfen die Tiere geschlachtet werden. Die Bioland-Kriterien sind auch strenger als die EU-Ökoverordnung, die etwa Fischmehl als Futterbestandteil für Geflügel zulässt. Das ist bei Bioland verboten. Puten haben einen hohen Bedarf an dem Eiweißbaustein Methionin. Alle Biobetriebe dürfen jedoch kein synthetisch hergestelltes Methionin einsetzen, dürfen sich aber in eng begrenzten Mengen mit konventionellen Eiweißprodukten behelfen. Bei Bioland sind nur Kartoffeleiweiß und Maiskleber erlaubt.

Oktoberfest 2008 - das waren noch gute Zeiten. Berthold Franzsander liefert knapp 20.000 "Wiesn-Hendln" von seinem ostwestfälischen Biogeflügelhof nach München. Und zwar in die älteste Braterei auf der Wiesn, die Hendl-Braterei Ammer. Er macht das schon seit sieben Jahren. Mancher Urmünchner raufte sich anfangs die Haare - preußische Hendl! Aber: "Die Qualität der Hendl ist hervorragend", sagt Claudia Trott, die die Braterei führt. "Wir haben nur die besten Erfahrungen gemacht." Oder besser gesagt: hatten. "Wir sind erschüttert", sagt Trott nun.

2008 - das war die letzte Lieferung von Franzsander. Der Hof in Delbrück ist gesperrt, er darf seine Waren nicht mehr als bio verkaufen. Die Staatsanwaltschaft Paderborn ermittelt, wie ein Sprecher am Mittwoch erklärte. Der Grund: Sauereien mit Futter - in ganz großem Stil.

Es ist ein Absturz. Franzsander galt etwas in der Ökobranche, alle sprechen nur von "dem Berthold". Er führt den Hof zusammen mit seiner Frau, "der Roswitha". Als "Pioniere der Biogeflügelhaltung" bezeichnen sie die einen, andere sprechen vom "Vorzeigebetrieb". In jedem Fall gehören sie zu den ganz Großen der Branche, sie halten tausende Puten, schlachten pro Jahr 180.000 Hähnchen und ziehen 900.000 Küken für andere Kollegen auf. Sie füttern Gänse, Enten, Perlhühner. Sie liefern ihre Produkte bundesweit, auch an Hof- und kleine Bioläden. Doch das ist nun Vergangenheit.

"Franzsander hat Biowaren auf den Markt gebracht, die keine sind", sagte Babette Winter vom zuständigen Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen der taz. Ihre Kollegen hätten dem "ökologisch wirtschaftenden Betrieb einen nicht zulässigen Einsatz von konventionellen Futtermitteln nachgewiesen".

Aufgefallen ist der Betrieb schon Ende letzten Jahres - über Umwege. Routinemäßig kommen auf jeden Biobetrieb einmal im Jahr Kontrolleure. Sie sind allerdings nicht vom Amt, sondern von privaten - staatlich zugelassenen - Ökozertifizierungs-Unternehmen. Das ist ähnlich wie in Industrieunternehmen, die einmal im Jahr die Wirtschaftsprüfer ins Haus lassen müssen. Die Biokontrolleure nehmen sich die Geschäftsbücher vor, in denen der Bauer etwa auflistet, welche Tiere er hat und wie viel Futter er kauft. "Plausibilitätsprüfung" nennt sich das.

Und im Mai 2008 war für die Kontrolleure der Firma Abcert auch noch alles plausibel auf dem Hof von Franzsander. Drei Tage haben sie dort verbracht. Monate später, nämlich im November, nahmen dann Winters Kollegen einen Raiffeisen-Futtermittelhandel unter die Lupe, wie sie es immer mal wieder machen. In diesem Fall wollten sie wissen, ob das Sojafutter, das aus Brasilien geliefert wurde, gentechnikfrei war. Dabei fiel ihnen auf, dass auf der Liste der Raiffeisen-Kunden auch Franzsander stand.

Das kam den Beamten komisch vor. Ein Biobetrieb darf nur in engen Grenzen konventionelles Futter kaufen. Sie sprachen sich mit der Firma Abcert ab und fuhren zum Hof. Nach und nach fanden sie heraus: Franzsander hat 2008 mehr als 900 Tonnen konventionelles Futter von verschiedenen Händlern bezogen.

900 Tonnen, für Friedrich Ostendorff ist das eine enorme Menge. Ostendorff ist selbst Ökobauer und Biofleischhändler, aber auch Agrarexperte des Umweltverbandes BUND. Er rechnet vor: "Damit lassen sich 330.000 Hähnchen schlachtreif mästen oder 25.000 Puten."

So sei es aber nicht, sagt Berthold Franzsander. Er erzählt der taz, dass er nach der Routinekontrolle im Mai ein Problem bekam. "Jungputen nahmen das Biofutter nicht an." Die Tiere sind anspruchsvoll, sie brauchen zum Beispiel viel Eiweiß. Sie sterben leicht. Franzsander behalf sich mit konventionellem Futter. Er habe 250 Tonnen an 9.000 Puten gegeben, aber nur in ihren ersten Lebenswochen. Der Rest des stinknormalen Futters sei an das Vieh gegangen, das er konventionell halte.

Der Biobauer hat 1994 seinen elterlichen Hof auf bio umgestellt, aber im Laufe der Jahre auch noch Ställe hinzugepachtet. Er arbeitet nicht in allen ökologisch, sondern in manchen auch konventionell. Das ist so lange nach der EU-Ökoverordnung in Ordnung, wie es eine klare Teilung gibt: Die Ställe müssen voneinander getrennt sein, es dürfen nicht die gleichen Tierrassen sein. Im Amtsdeutsch: Die Betriebsabläufe müssen sich unterscheiden.

Doch diese klare Unterscheidung hat es für die Kontrolleure vom Landesamt nicht gegeben: "Anhand der Unterlagen und in Anhörungen konnte Franzsander nicht nachweisen, welche Chargen betroffen sind." Deshalb darf er nun weder seine Puten noch seine Hühner oder Küken als bio verkaufen. Ein Silo voll mit normalem Futter ist mindestens - das haben die Ermittlungen ergeben - auch an ältere Bioputen gegangen.

Für Babette Winter ist es der "mit Abstand größte Bioschwindel, den es in Nordrhein-Westfalen bisher gab". In Ostwestfalen wurden zwar schon mal konventionelle Schweine, im Märkischen Kreis herkömmliche Milch als Öko verkauft. "Aber nie hatten die Betriebe diese Marktbedeutung", meint die Frau vom Landesamt. Für bundesweites Aufsehen sorgte in der Ökobranche vor allem der Nitrofenskandal. Das war vor sieben Jahren. Das giftige Nitrofen war über Futtergetreide in Biofleisch und Bioeier gelangt. Dieses hatte in einer mit Ackerchemie belasteten Lagerhalle gelagert.

"Der Fall Franzsander ist anders", sagt Winter, es gebe keine Gefahr, "aber eine Täuschung". Schließlich wolle, wer ins Ökoregal greift, zumeist etwas für die Umwelt und für die Tiere tun. Die Kunden seien bereit, dafür auch zu zahlen. Also müsse auch der Standard stimmen.

Und der Standard von Franzsander ist Bioland-Standard. Franzsander ist einer der knapp 5.000 Bauern und gut 800 Lebensmittelhersteller, die sich im größten Ökoanbauverband zusammengetan haben. Sie alle versprechen nach Richtlinien zu arbeiten, die strenger sind als die EU-Ökoverordnung. Konventionell und bio auf einem Betrieb geht da zum Beispiel nicht, der Bioland-Bauer muss eine zweite Firma auf einem anderen Gelände anmelden, wenn er auch konventionell arbeiten will. Schummeleien sollen so verhindert werden.

"Für mich ist der Fall ein Schock", sagt Bioland-Chef Thomas Dosch, "auch weil der Bauer viel für artgerechte Tierhaltung geleistet hat". Der Verband hat Franzsander gekündigt - und RoBerts Bio-Geflügel auch. Das ist eine der größten Biogeflügelhandelsfirmen in Deutschland. Die Gesellschafter heißen: Roswitha und Berthold Franzsander. Die Behörden haben gegen RoBerts nichts unternommen. "Das Vertrauen ist weg", sagt aber Dosch.

Mittlerweile gibt es auch in der Biobranche kaum noch zu durchschauende Firmen- und Gesellschafterverflechtungen, die lange Zeit nur aus dem konventionellen Agrobusiness bekannt waren. Das Ökosystem wird größer - und anfälliger. Wie sicher kann man also noch sein, dass Bio hält, was es verspricht?

Für Dosch ist das die "falsche" Frage. "Der Fall zeigt doch: Die Ökokontrollen funktionieren", sagt er. "Wir haben die Fakten analysiert und sofort gehandelt, besser kann es in so einem Fall nicht laufen." Das sieht Biobauer Friedrich Ostendorff anders. Er findet: "Die Kontrolleure müssen besser hinschauen, auch mal in die Ställe gehen und sowieso öfter auftauchen auf dem Hof."

Irgendwie gibt das auch Bioland zu, der Verband stellt seinen Rhythmus um: "Wir werden diejenigen, die mehrere Betriebe führen, jetzt doppelt so oft kontrollieren wie per Gesetz gefordert", sagt Dosch, ab sofort also mindestens zweimal im Jahr. Der Bioland-Mann meint aber auch: "Sie können den Menschen nicht permanent überwachen." Für ihn ist der Fall Franzsander ein "Einzelfall".

Matthias Wolfschmidt von Foodwatch geht ebenfalls nicht davon aus, dass es flächendeckend Missstände gibt. Allerdings sei das auch nicht einfach zu überprüfen: "Die Ergebnisse der Ökokontrollstellen werden nicht automatisch auf den Internetseiten der Biobetriebe veröffentlicht." Transparenz sei etwas anderes, meint der Verbraucherschützer.

Wie viele Kunden in dem nun öffentlich gewordenen Skandal mit Tieren abgespeist wurden, die zu viel konventionelles Futter bekommen haben, ist unklar. Berthold Franzsander sagt: "Wir haben alle Bioprodukte zurückgerufen." Hätte er das nicht freiwillig getan, wäre eine Aufforderung dazu vom Amt gekommen. Er verbuche "einen Einnahmeausfall von bis zu 50.000 Euro", sagt der Ex-Hühnerbauer. Er ziehe sich aus allen Firmen zurück, wisse nicht, was er jetzt Neues machen wolle. "Wir haben uns entschuldigt", sagt Franzsander noch - bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern.

Mancher von ihnen hat nun ein Problem: Bauern bekommen kaum noch Ökoküken, sie müssen die Kleinen von konventionellen Betrieben zukaufen. Das ist legal, das machen viele immer so, aber manchem eingefleischten Öko widerstrebt das. Und Besitzer von kleineren Biohöfen erzählen in diesen Tagen, dass sie Anrufe von Händlern bekommen, die sich lange nicht gemeldet haben: Sie wollen Putenbrust und Hühnerschenkel kaufen. Fleisch ist knapper geworden.

Lang dauern soll der Lieferengpass allerdings nicht: Die Mitarbeiter von RoBerts Bio-Geflügel wollen den Vertrieb von Geflügel unter anderem Namen weiterführen. Und Bioland will sie dann auch wieder als Mitglied akzeptieren.

Bioland-Chef Dosch versichert: "Bis zum Oktoberfest läuft alles wieder." Immerhin: Für den Nachschub an echten Bio-Wiesn-Hendln wird gesorgt.

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