Basketball-Bundesliga: Hölle in der Halle

Mit Tempo-Basketball hat sich das Low-Budget-Team von der BG 74 Göttingen an die Bundesligaspitze gespielt.

GÖTTINGEN taz Der Kraftraum des Felix-Klein-Gymnasiums ist vielleicht 20 Quadratmeter groß. Zwischen Beinpresse und Hantelstangen zwängt sich das derzeit beste Basketballteam Deutschlands zur Videoanalyse. Die großen Jungs der BG 74 Göttingen bereiten sich auf ihren nächsten Gegner, den TBB Trier, vor (Donnerstag, 20.15 Uhr). Auf einer ausziehbaren Leinwand flimmert unscharf ein Spiel des Tabellen-Neunten von der Mosel. Ein Bein auf eine Hantelbank gestützt, deckt Göttingens Trainer John Patrick die Schwächen der Trierer auf: Derek Ravio, der Aufbauspieler, spiele immer nur zu Anfang stark. Oder Christopher Copland, der effektivste Trier, "der mag es nicht, wenn man ihn unter Druck setzt". Mit Druck die Gegner mürbe machen - das ist Patricks Plan. Etwas martialisch ausgedrückt spricht er von "full court 40 minutes hell."

Der Erfolg gibt ihm recht: Die 40 Minuten Hölle, die seine Mannschaft auf dem gesamten Spielfeld entfacht, haben Göttingen an die Tabellenspitze der Basketball Bundesliga (BBL) geführt. Das gab es hier zuletzt im Frühjahr 1980. Damals stand der ASC Göttingen kurz vor dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft - bis 1984 sollten zwei weitere Titel folgen. Kurze Zeit später dann der finanzielle Kollaps. Heute ist der ASC mit über 7.000 Mitgliedern einer der größten Breitensportvereine Niedersachsens. An seiner ruhmreichen Spitzensport-Vergangenheit kommt man in Göttingen nicht vorbei. Mitten in der Halle hängt das verblasste Trikot von Ulli Frank mit der Nummer 9 an der Wand. Früher war Frank ein ASC-Mann, heute arbeitet er für die BG 74. Marc Franz, Teilhaber und Manager der Bundesligamannschaft, beschreibt die Beziehung der beiden Vereine als "friedliche Koexistenz". Die Erfolge der 80er seien für die BG "viel mehr Segen" als Bürde.

Wie sehr Basketball in der Universitätsstadt verwurzelt ist, zeigt sich gleich nach dem Training. Während die Profis ihre Sachen zusammensuchen, wird die Mehrzweckhalle von den Amateuren in Beschlag genommen: In der Hobby-Truppe tummelt sich Exnationalspieler Horst Wolf, die Regionalligamannschaft wird von Hans-Werner Schmidt, einem rüstigen Senior mit jahrzehntelanger Zweitligaerfahrung, unterrichtet.

Für Trainer John Patrick war der in Göttingen grassierende Basketball-Virus der Grund, Mitte der 90er nach Niedersachsen umzuziehen. Zuvor war Patrick als Spieler und Trainer in Japan. Seine Vorliebe für kleine, schnelle Basketballer hat er indes nicht aus Asien importiert. Patricks System basiert auf zwei Erkenntnissen: "Geschwindigkeit kannst du nicht schlagen" und "große Spieler sind teurer als kleine". Da in Göttingen nur gut ein Viertel des 1,9 Millionen-Euro-Etats (der auch die Bundesliga-Damenmannschaft einschließt) in Spielergehälter investiert wird, muss der Trainer sparen. Wie effektiv die Göttinger "Billig-Truppe" ist, beweisen die Statistiken. Kein BBL-Team leistet sich weniger Ballverluste (10,4 pro Spiel), und die durchschnittlichen 7,3 Ballgewinne sind der drittbeste Wert der Liga. Dass Göttingen mit 42,3 Prozent die schlechteste Trefferquote aufweist, erklärt Trainer Patrick mit dem Tempo und der damit verbundenen hohen Anzahl an Wurfversuchen.

Eine Stabilisierung des Erfolgs - da sind sich Manager und Trainer einig - kann nur mit einem höheren Etat erreicht werden. In der BBL ist das Budget mit der "H-Frage" verbunden. Es geht um die Halle. Die von der Liga geforderten 3.000 Sitzplätze finden sich in Göttingen nur in der "Lokhalle". Das denkmalgeschützte Bauwerk bietet eine einmalige Atmosphäre, dafür weder VIP-Logen noch feste Trainingszeiten. Allein um die "Lokhalle" - in der auch Joe Cocker, die Toten Hosen oder Otto gastieren - für ein Bundesligaspiel umzubauen, schuften 30 Menschen 36 Stunden. "Eine Alternative dazu haben wir momentan nicht", sagt Franz. Doch mit außergewöhnlichen Lösungen haben sie in Göttingen Erfahrung. Das werden auch die Trierer feststellen: Dorthin fährt der Tabellenerste wie immer mit drei Minibussen.

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