Frei oder festangestellt: Arbeit nach Wunsch

Wer täglich von 9 bis 18 Uhr im Büro sitzt, träumt von der freien Arbeit am Computer zu Hause - und andersherum. Wie lassen sich all die Wünsche ohne Nachteil kombinieren?

Arbeiten mit Strandatmosphäre wünscht sich fast jeder Büromensch. Bild: dpa

Es soll Leute geben, die ihre Arbeit als Hamsterrad empfinden. Und noch dazu vor lauter Rennerei kaum mal Zeit für ein Gespräch mit den Kollegen, arbeitsfremde E-Mails oder ausgiebiges Surfen haben. Für alle anderen hat Markus Albers den Ratgeber "Morgen komm ich später rein" geschrieben.

Während seiner Redakteurstätigkeit für Welt am Sonntag, SZ-Magazin und Vanity Fair ist dem Journalisten der "tägliche Trott von neun bis sieben" derart verleidet worden, dass er "Mehr Freiheit in der Festanstellung" ganz oben in die To-do-Liste seines Blackberry getippt hat. Denn anders als die digitale Boheme weiß er die Annehmlichkeiten eines geregelten Arbeitsverhältnisses durchaus zu schätzen.

Albers Plädoyer: Wer hauptsächlich am Computer arbeitet und dabei unter Bore-out, dem Ausbrennen durch Langeweile leidet, also viel zu häufig Arbeit nur vortäuschen muss, sollte dringend etwas unternehmen. Schließlich gebe es keinen Grund, "mitten in der Wissensgesellschaft mit Strukturen, Abläufen und Vorurteilen aus der Zeit der Industriegesellschaft" wie etwa der Anwesenheitspflicht zu Kernarbeitszeiten zu leben.

Man müsse nur seinen Vorgesetzten überzeugen, dass man mit Mobiltelefon und Laptop bewaffnet andernorts besser arbeiten könne. Und ab gehts nach Hause, auf die Insel oder zum Kinderspielplatz.

Das klingt nach schöner neuer Arbeitswelt 2050, ist es aber nur zum Teil. Um zu belegen, wie verbreitet die "Easy Economy" bereits ist, hat Albers den Text mit bestehenden Beispielen angereichert - individuellen und firmenweiten, hiesigen und vor allem US-amerikanischen, dazu mit einem Haufen Zahlenmaterial. Verdeutlichen soll es auch, wie rapide die strukturellen und technischen Möglichkeiten zur Verwirklichung dieser federleichten Version des Geldverdienens wachsen.

Doch wer jetzt für sich selbst eine Umsetzung erwägt, Obacht: "Sie müssen dabei Schritt für Schritt vorgehen und strategisch klug." Schon klar, der Chef braucht Argumente. Und womöglich genügt es ihm nicht, dass er "massiv an Infrastruktur" spart, eine größere "Mitarbeiterzufriedenheit" erzielt, "geringere Krankheits- und Kündigungsraten" sowie morgens im Stau ein Auto weniger zu gewähren hat. Er will eine "höhere Produktivität".

Albers empfiehlt daher als erste Maßnahme auf dem Weg zur "Freianstellung", sich unentbehrlich zu machen. Danach müsse das Unternehmen dazu gebracht werden, genauestens anzugeben, welches Arbeitsvolumen in was für einer Qualität gefordert sei. Auch das ist keine Zukunftsmusik. Die rechnerische Zerlegung von Arbeitsprozessen, wie man sie vom Fließband kennt, hat längst die Kopfarbeit erfasst. Nur geht es Albers damit zu langsam voran.

Ist der individuelle Arbeitskampf erst mal gewonnen, können wir "die Arbeit erledigen, wann und wo sie anfällt". Einziger Preis: Wir müssen "hochflexibel und fast immer erreichbar sein". Es dürfte noch mehr zu verlieren geben. Die gleichzeitige Anwesenheit einer Gruppe von Angestellten im Büro bietet schließlich auch die Möglichkeit einer alerten Verteilung dessen, was anfällt. In jedem Büro gibt es das Gemecker über "faule" Kollegen. Aber nur beim gemeinsamen Arbeiten kann man sich in solchen Fragen überhaupt großzügig zeigen.

Wer uns den Trend zum ultraflexibel agierenden Einzelheinz eingebrockt hat, darauf gibt ein kleiner Band jetzt eine nicht ganz neue, dafür aber eingehende Antwort. Die Alternativbewegung war es, vertritt der 1978 geborene Arndt Neumann in "Kleine geile Firmen".

Darin verfolgt der Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Euromayday-Aktivist die Spuren der Konzepte "Autonomie" und "Individualität", wie sie sich in heutigen Management-Handbüchern zur Arbeitsorganisation finden - ohne es mit dem jeweiligen Bedeutungsfeld der Begriffe allzu genau zu nehmen - zurück bis in die späten 70er-Jahre. Damals trat der Berliner Tunix-Kongress eine Welle alternativer Betriebsgründungen los.

"Unter welchen Bedingungen war eine Verbindung zwischen dem Bedürfnis nach Autonomie und unternehmerischem Denken überhaupt möglich?" Dort, ließe sich die Antwort abkürzen, wo der feste Wille, nur zu arbeiten, was, wann und wozu man Lust hat, unter dem wachsenden ökonomischen Druck, dem die alternativen Betriebe ausgesetzt waren, zu Butter wurde, mithin zur Entgrenzung von tariflich festgelegten Arbeitszeiten, einer Entsolidarisierung und Löhnen unter aller Sau geführt hat.

Doch das genügt Neumann nicht. Während er mit altväterlicher Abgeklärtheit den Gründern alternativer Betriebe - prominent denen der taz - ihre Verfehlungen aufzählt, gerät er mehr und mehr ins Fahrwasser eines wohlfeilen Verratsvorwurfs. "Sie betrachten die Projekte rein betriebswirtschaftlich, und selbst die Beteiligten sind reine Arbeitskraft, Teil der Substanz, der Sachwerte", schimpft er mit denselben Worten, die Karl-Heinz Roth 1980 im Pflasterstrand verwendete.

Und gleich das ganze letzte Kapitel widmet Neumann Matthias Horx, der als einer der Trendbüro-Gründer und heute angeblich prototypischer neuer Unternehmensberater sein bei den Frankfurter Spontis erworbenes Wissen über Mitarbeitermotivation an die Wirtschaft verkauft.

Nun braucht es ja tatsächlich mehr als ein paar Freaks in Landkommunen und Druckerkollektiven sowie ein, zwei Unternehmensberater mit linker Vergangenheit, um einen globalen Run auf flexibilisierte Arbeitszeiten auszulösen. Das alte Regiment war Ende der 70er längst porös geworden. Eigentlich sollte durch "die alternativen Arbeits- und Lebensformen" nur eine bereits bestehende "Krise der gesellschaftlich vorherrschenden Arbeitsorganisation" vertieft werden, wie Neumann selbst einleitend die Ziele der Alternativunternehmer charakterisiert.

Dass in der Wirtschaft schon seit Dekaden mit neuen Arbeitsformen experimentiert wird, damit beschäftigt sich auch die Hamburger Gruppe Blauer Montag. Die schriftlichen Verlautbarungen des linken Diskussionszirkels, der vor 15 Jahren aus der Erwerbslosenbewegung hervorging, liegen jetzt gesammelt unter dem Titel "Risse im Putz - Autonomie, Prekarisierung und autoritärer Sozialstaat" vor. Skeptiker der Ausrufung "neuer Paradigmata", etwa "in den Debatten um das Modell Toyota, um Postfordismus und immaterielle Arbeit", finden hier Argumentationsfutter zur Genüge.

Über das Fortbestehen "alter" Formen von Arbeit - insbesondere in den Waren produzierenden Branchen - kann man dort ebenso lesen wie über die Tücken der flexibilisierten Arbeit. Großen Raum nimmt auch die Auseinandersetzung mit dem neuen "aktivierenden Sozialstaat" ein. Der flankiert schließlich das Versprechen, Arbeit könne heute mehr und mehr zu einem lauen Lenz werden, indem er Arbeitslosigkeit zu einer echten Plackerei macht.

Doch auch wenn die Gruppe immer wieder mahnt, Arbeit sei so oder so "Unterwerfung" und die neuen Formen der Arbeitsorganisation seien nach Möglichkeit zu sabotieren, hat sie gegen das Arbeiten gemäß individuellen Ansprüchen nichts Grundsätzliches einzuwenden. Das wäre auch gelacht. Denn Studien zufolge, die Markus Albers heranzieht, wünschen sich allein in der EU zwei Drittel der abhängig Beschäftigten, größere Teile ihrer Arbeit zu Hause am Computer zu erledigen. Das sind im Grunde alle, die überhaupt mit einem Computer arbeiten. Erlaubt ist die Flucht aus dem Büro bisher in Deutschland nicht mal jedem fünften Arbeitnehmer.

Woran das liegt? In erster Linie an verknöcherten Chefs, kann man bei Albers nachlesen, die an der "Anwesenheitskultur" festhalten, weil sie weitere Kontrollverluste scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Sind demgegenüber alle, die abhängig am Computer arbeiten, mit dem freien Hirn freier Hippies ausgestattet? Wohl kaum. Eher wollen sie einfach endlich an der Karotte knabbern, die ihnen von den Unternehmen seit Jahren vor die Nase gehalten wird. Es könnte allerdings sein, dass die Einlösung des Versprechens, autonomer arbeiten zu dürfen, inzwischen ernsthaft an Grenzen stößt.

Markus Albers: "Morgen komm ich später rein - Für mehr Freiheit in der Festanstellung", Campus, Hamburg 2008, 239 Seiten, 18,90 €

Arndt Neumann: "Kleine geile Firmen - Alternativprojekte zwischen Revolte und Management", Nautilus, Hamburg 2008, 96 Seiten, 10 €

Gruppe Blauer Montag: "Risse im Putz - Autonomie, Prekarisierung und autoritärer Sozialstaat", Verlag Assoziation A, Hamburg 2008, 192 Seiten, 14 €

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