Marathonläufer mit Kammerflimmern: Aus dem Rhythmus

Wie der Marathon-Spitzenläufer Danny Kassap erst dem Tod und dann dem finanziellen Ruin entrann.

Über 40.000 Läuferinnen und Läufer gingen beim Berlin-Marathon 2008 an den Start. Bild: dpa

BERLIN taz Am Vorabend des Berlin-Marathons war Danny Kassap noch guter Dinge gewesen. Der kanadische Läufer, der sich in Berlin für die Weltmeisterschaften 2009 an gleicher Stelle qualifizieren wollte, lachte und scherzte, nahm sein Abendessen gemeinsam mit Haile Gebrselassie ein, dem späteren Weltrekordhalter. Doch während der Äthiopier wenige Stunden später in den Straßen Berlins seinen größten Triumph feiern sollte, hätte Kassap am 28. September dieses Jahres um ein Haar sein Leben gelassen.

Nahe der Fünfkilometermarke brach der 26-Jährige, der im Kongo geboren wurde, 2001 politisches Asyl in Kanada ersuchte und im August 2008 den Pass seiner neuen Heimat in den Händen hielt, plötzlich und ohne Vorwarnung zusammen. Tracey Malyon-Knott, eine australische Touristin sowie eine deutsche Zuschauerin zogen den Läufer von der Straße, wenige Minuten später war professionelle Hilfe vor Ort. Danny Kassap wurde fast 45 Minuten reanimiert und anschließend auf die Intensivstation der Charité gebracht.

"Ich war vor Ort, als er endlich aufwachte", erzählt Marc Milde, Renndirektor des Berlin-Marathons, "wir waren sehr froh, dass es ihm besser ging." Kassap, der 2004 als Sieger des Toronto-Marathons in 2:14:50 Stunden sein Debüt über 42,195 Kilometer gegeben und in diesem Jahr in London Platz 15 belegt hatte, nur drei Plätze hinter Olympiasieger Stefano Baldini aus Italien, musste zur Beobachtung noch weitere zwei Wochen im Krankenhaus bleiben. Als Ursache für den Zusammenbruch des ansonsten gesunden Athleten diagnostizierten die Kardiologen eine Art Kammerflimmern, ausgelöst durch einen Virus und eine Entzündung des Herzmuskels. Künftig muss sich Kassap daher mindestens alle sechs Monate ärztlich untersuchen lassen. "Eigentlich", weiß der Kanadier, "kann man es nicht kontrollieren, es könnte überall und jederzeit wieder passieren."

Für Freizeitläufer haben der Berlin-Marathon und andere große deutsche Laufveranstaltungen seit dem vergangenen Jahr obligatorisch den sogenannten Paps-Test eingeführt ("Persönlichen Aktivitäts- und Präventions-Screening-Test"). Den Teilnehmern soll mit einigen Fragen unter anderem zu Lebensstil und vorherigen Krankheiten und Beschwerden eine erste Einschätzung ihres individuellen gesundheitlichen Risikos beim Ausdauersport geboten werden. Doch selbst wenn Kassap ihn durchgeführt hätte, was unter den Spitzenläufern sowieso eher unüblich ist: Die Tragödie des Danny Kassap hätte der Test wohl kaum verhindern können; akute Erkrankungen wie eine scheinbar über Nacht angeschlichene Myokarditis lassen sich mit dem Präventions-Screening kaum erkennen.

Als der Marathonläufer nach Wochen in der Charité den Rückflug in die Heimat antrat, belief sich die Rechnung für die lebensrettenden Maßnahmen auf rund 18.000 kanadische Dollar, knapp 12.000 Euro. Kollegen der Leichtathletikmannschaft der Universität von Toronto, wo der Athlet zunächst Physik, anschließend Betriebswirtschaft studierte, richteten einen Spendenaufruf im Internet ein, da Kassaps Krankenversicherung Behandlungskosten im Ausland lediglich bis zu einer Summe von maximal 4000 Dollar übernimmt. "Es ist eine tragische Situation für einen so jungen Läufer", sagte der Trainer des Uni-Teams, Ross Ristuccia. "Es ist ja nicht so, dass Danny bereits am Ende seiner Karriere stand, er hatte gerade erst angefangen, richtig gut zu sein", so Ristuccia.

Der Appell trug Früchte: Anfang November wurde der Spendenaufruf kurzfristig sogar gestoppt, nachdem es so schien, als ob alle Ausgaben gedeckt werden könnten, auch dank unerwarteter teilweiser Kostenübernahme durch die Provinz Ontario.

Auch der Berlin-Marathon beteiligte sich mit einer vierstelligen Summe an der finanziellen Heilung des kanadischen Läufers. "Wir stehen in engem Kontakt mit ihm", berichtet Marc Milde. Kassap weihte den Renndirektor in seine unerschütterlich optimistischen Pläne ein, schon bald, in vier, fünf Wochen, wieder mit dem lockeren Lauftraining zu beginnen. "Es gibt keinen Grund, mit dem Sport aufzuhören", so der Läufer auf Nachfrage der taz. Auch die finanziellen Einschnitte in seinem Leben nimmt der 26-Jährige scheinbar gleichgültig hin. "Wenn du noch am Leben bist, bedeutet das auch, dass du noch Geld verdienen kannst." Für den Moment hält sich Kassap mit der Arbeit in einem Laufladen sowie dreimal die Woche mit Tätigkeiten als Co-Trainer an der Universität von Toronto über Wasser. Doch der Traum von Laufen währt weiter - und der Traum von der Teilnahme an der WM in Berlin: "Wir sehen uns im August 2009", sagt der Kanadier noch, bevor er den Hörer auflegt.

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