Nach blutiger Wahl in Kenia: Brandstifter als Biedermänner

Knapp ein Jahr nach den blutigen Unruhen infolge der blutigen letzten Wahlen stimmen die dafür verantwortlichen Politiker einem Tribunal darüber zu.

Kenianische Polizei bei Straßenkämpfen im Januar 2008. Bild: ap

Die Entscheidung fiel in letzter Minute. Am Dienstag unterzeichnete Kenias Premierminister Raila Odinga die Vereinbarung über die Gründung eines Sondertribunals zur Aufklärung der blutigen Unruhen mit weit über 1.000 Toten und mehreren Hunderttausend Vertriebenen vom Anfang des Jahres; gestern lag das Dokument zur Unterschrift bei Staatschef Mwai Kibaki. Eine Frist von 60 Tagen bis zum 17. Dezember hatte der kenianische Richter Phillip Waki dafür gesetzt. Sonst, so hatte der listige Richter Mitte Oktober bei der Vorstellung seines 529 Seiten langen Untersuchungsberichts über die Gewalt gesagt, werde Friedensvermittler Kofi Annan einen von Waki geschriebenen und seither unter Verschluss gehaltenen Brief beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einreichen. Der brisante Inhalt: Namen von zehn Politikern und Geschäftsleuten, die die Gewalt organisiert und finanziert haben sollen. Unter ihnen auch Kabinettsmitglieder.

Über die geheime Liste im "Briefumschlag des Grauens" wird seither weithin spekuliert. Am lautesten protestierten diejenigen, von denen als sicher gilt, dass ihr Name auf der Liste steht. Landwirtschaftsminister William Ruto etwa, unumstrittener Anführer der Kalenjin-Milizen aus dem Rift Valley, wo die brutalsten Kämpfe tobten, warf Waki und seiner Kommission Schlamperei vor: "Jedem Aktivisten haben die zugehört, während sie Aussagen der Sicherheitskräfte ignoriert haben." Ruto, der dem Führungszirkel der einst oppositionellen Orange Democratic Movement von Premier Odinga angehört, lehnte die Einrichtung eines Tribunals zunächst ebenso ab wie Vize-Premier Uhuru Kenyatta, Chef der früheren Einheitspartei Kanu und mutmaßlicher Rädelsführer radikaler Kikuyu, eigentlich die Ethnie des Staatschefs Kibaki.

Dass die beiden erbitterten Gegner den Waki-Bericht gleichermaßen verdammen, spricht alleine schon für seine Qualität. Viele hatten einen weichgespülten Bericht erwartet, der die politische Elite unangetastet lassen würde. Doch das Gegenteil war der Fall: Detailliert beschreibt Waki, was nach den Wahlen vom 27. Dezember 2007 geschah. "Es hat spontane Unruhen gegeben, aber die meisten Morde und Vertreibungen waren geplant", heißt es. Ethnische Animositäten seien wie in den vergangenen Wahlkämpfen bewusst politisch angefacht worden. Polizei und Provinzregierungen wirft Waki vor, vom Geheimdienst vor den Unruhen gewarnt worden zu sein und nichts unternommen zu haben, um sie zu verhindern oder wenigstens schnell zu beenden. "Im Gegenteil haben Polizisten Frauen vergewaltigt und Unschuldige erschossen." Fast die Hälfte der über 1.000 Toten gehe auf das Konto der Polizei. Auch Geschäftsleute, mehrheitlich Kikuyu, und verbündete Politiker beschuldigt die Kommission: Sie hätten sich unter anderem im Präsidentenamt getroffen, um blutige "Vergeltungsschläge" gegen Kalenjin und Luo in Nairobi und dem nahen Naivasha zu organisieren. Mehreren Politikern wirft Waki Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

So schonungslos offen ist der Bericht, dass Kenias größte Tageszeitung Daily Nation über Wochen Auszüge als Serie nachdruckte, die von den Lesern regelrecht verschlungen wurden. In Umfragen sprachen sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für die schnelle Verurteilung der Verantwortlichen aus. Doch ob das passieren wird, ist mehr als ungewiss. Der von Justizministerin Martha Karua vorgelegte Zeitplan sieht vor, dass das Tribunal seine Arbeit bis Dezember 2012 abgeschlossen haben soll: das wäre unmittelbar vor der nächsten Wahl.

Ein Problem ist das vor allem für Premierminister Raila Odinga, der als einer von wenigen Spitzenpolitikern öffentlich die vollständige Umsetzung des Berichts fordert. Doch Odinga, der sich schon für den Sieger der letzten Wahl hielt - der Streit darüber war der Grund für die blutige Gewalt - und 2012 vermutlich endlich Präsident werden möchte, braucht die Unterstützung der Kalenjin unter William Ruto. Der hat zwar inzwischen Kreide gefressen und sich mit der Einrichtung des Tribunals einverstanden erklärt. Hinter den Kulissen aber wird gedroht: Wenn Ruto vor Gericht kommt, setzen die Kalenjin-Milizen ihre Vertreibungen im Rift Valley fort. Bis heute leben Kikuyu-Farmer aus Angst vor den Kalenjin in Zeltlagern nicht weit von ihren besetzten Höfen entfernt. So steht zu befürchten, dass das von Waki gut gemeinte Tribunal aus politischem Interesse zur Farce werden könnte, ähnlich wie frühere Versuche, Korruptionsskandale aufzuklären.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.