Widerstand gegen die Nationalsozialisten: Der James Bond der Theologie

Vor 40 Jahren starb der "Kirchenvater des 20. Jahrhunderts", Karl Barth. Doch bei dessen Beisetzung im Münster zu Basel war kein Vertreter des Bundesrats dabei.

Die Gleichschaltung der Kirche durch den Hitlerstaat wollte Karl Barth verhindern. Bild: dpa

Barth ist sein Name, Karl Barth. Und er ist ein Held. Als solchen bezeichnete ihn kürzlich der derzeitige Regierungspräsident des Kantons Zürich, Markus Notter, wobei er sich glücklich schätzte, nicht als Zeitgenosse Karl Barths in der Schweiz in der politischen Verantwortung gestanden zu haben, denn ob Karl Barth heute die silberne Ehrenmedaille des Kantons Zürich (die Eidgenossenschaft verleiht keine Orden) bekommen hätte, mochte der Zürcher Magistrat nicht entscheiden. Zu radikal und eigensinnig betrieb der Schweizer Theologe die "Sache Christi" in der kleinen, neutralen Schweiz, die sich glücklich schätzt, seit Wilhelm Tell keiner Helden mehr zu bedürfen. Als Barth, der "Kommunist", am 14. Dezember des mythischen Jahres 1968 im Münster zu Basel zu Grabe getragen wurde, delegierte der Bundesrat keinen Vertreter in die romanische Kathedrale.

Karl Barth wurde 1886 als erster Sohn des Theologieprofessors Fritz Barth geboren. Er studierte von 1904 bis 1908 in Bern, Berlin, Tübingen und Marburg Theologie. In Berlin galt damals Adolf von Harnack als bedeutender Vertreter der liberalen Theologie, beim Neukantianer Wilhelm Herrmann studierte er in Marburg. Seine erste ordentliche Stelle als Pfarrer trat er 1911 im aargauischen Arbeiter-und-Bauern-Dorf Safenwil an. Die große Erschütterung Barths wurde aber das Verhalten seiner verehrten Lehrer bei Kriegsausbruch 1914 ("Manifest der 93"). Die deutsche "Kulturnation" stürmte, angefeuert von ihren Professoren, im Namen des "Christentums" in ein Gemetzel, wie es die Menschheit noch nie gesehen hatte. In Zürich versammelten sich - während Lenin in der Zentralbibliothek über Marx und Clausewitz die russische Revolution plante - Emigranten und proklamierten wider den Bedeutungsverlust aller Worte und Werte den "DaDa"ismus. Barth aber brach mit der "liberalen Theologie" seiner Lehrer und suchte ab 1916 in der Neuauslegung jenes Römerbriefs des Apostels Paulus, der schon Martin Luther sein "Turmerlebnis" bescherte, neuen sicheren Grund für seine Theologie. 1919, als die Geschütze verstummt waren, erschien Karl Barths "Römerbrief". Gott war nicht mehr ein preußischer Beamter ("Gott mit uns"), sondern der "ganz andere", über den der Mensch nicht verfügen kann. Die Offenbarung geschieht "senkrecht von oben", unser Glaube ist nur "Einschlagtrichter", "Hohlraum" und an für sich nicht interessant. Das Buch, Fanal der "dialektischen Theologie", schlug ein. Der junge Pfarrer wurde 1921 ohne Doktortitel oder Habilitation als Honorarprofessor nach Göttingen berufen, 1922 wurde ihm der Ehrendoktor der Uni Münster verliehen, die ihn 1925 als Professor berief. 1930 folgte Barth dem Ruf nach Bonn.

Als Bonner Professor war er im Jahr der Machtergreifung Hitlers unter den Gründungsmitgliedern der "bekennenden Kirche", die sich der Gleichschaltung der Kirche durch den Hitlerstaat entziehen wollte. In der "Barmener Erklärung" von 1934, die Karl Barth formulierte, verwahrten sich mutige deutsche Theologen gegen die Vereinnahmung der Kirche. Als 1935 dieser Hitlerstaat von seinen Beamten einen Treueeid verlangte, war die Position Barths nicht mehr haltbar. Er kehrte nach Basel zurück, wo für ihn eine Professur eingerichtet wurde. Hier mahnte er zum Widerstand gegen das Nazitum und wandte sich 1941 in einer kritischen Rede "im Namen Gottes des Allmächtigen" anlässlich der 650-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft an die Jugend.

Der Prophet im eigenen Land nahm vieles von der Kritik am Verhalten der Eidgenossenschaft während des Zweiten Weltkrieges, die in den 1990er-Jahren wegen des Judengoldes über die Schweiz und ihre Banken hereinbrach, vorweg. Sosehr er den Nazismus bekämpfte, so sehr trat er für eine Versöhnung mit Deutschland ein. Der deutsche Botschafter in der Schweiz, Dr. Axel Berg, erinnerte am 8. November in Seebach an die Worte, die Karl Barth im Januar 1945 - noch vor der deutschen Kapitulation - an seine Schweizer Landsleute richtete: "Was wir ihnen [den Deutschen] schuldig sind, ergibt sich aus dem, was sie nötig haben und was wir ihnen geben und sein können. Und nun ist das, was die Deutschen heute, an dem so dunklen Wendepunkt ihres Weges, nötig haben, ganz einfach dies: Freunde. Feinde haben sie sich genug gemacht …" Und weiter: "Uns Schweizern ist es zuzumuten [den Deutschen eine solche Freundschaft entgegenzubringen], weil wir christliche Schweizer sind."

Die Aktualität Karl Barths zeigt sich in der bunten Vielfalt seiner Nachfolger wie in den Debatten, die er noch immer auslöst - im Rahmen der "Münchner Barth-Deutung" wird etwa versucht, das Denken Barths in die totalitäre Ecke zu stellen. Falk Wagner spricht sogar davon, dass die Denkmuster in Barths Hauptwerk, der "Kirchlichen Dogmatik", strukturverwandt mit der nationalsozialistischen bzw. stalinistischen Theoriebildung seien! Zeugnis vom Reichtum der Barth-Rezeption leistet der eben erschienene Band mit den Vorträgen zum Kongress "Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis" im Mai 2006 in Jena: Theologen aus aller Welt machten sich Gedanken über "Barth und die feministische Theologie", "Barth und die Lutheraner in Deutschland", "Barth und die Moderne" und "Barth und die Postmoderne" etc.

Die knappe, aber sehr informative Schrift von Frank Jehle, "Lieber unanständig laut, als anständig leise", über den "politischen Barth" kann als guter Einstieg in Leben und Werk empfohlen werden. Der umfangreiche Dokumentenband "Die Akte Karl Barth 1938-1945", herausgegeben von seinem letzten Assistenten, Eberhard Busch, versammelt erstmals die Originaldokumente der Schweizer Behörden, die die Bespitzelung und Behinderung des prophetischen Theologen in der neutralen Schweiz eindrücklich belegen. Der Jenaer Ordinarius Michael Trowitzsch stellt in "Karl Barth heute" den theologischen Diskurs Barths in den Zusammenhang großer Dichter und Künstler: möglicherweise ein Zugang für den atheistischen kulturbeflissenen deutschen Bildungsbürger.

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