Hygieneexperte übers Desinfizieren: "Ein Klo muss Keime haben"

Er hat das Bundesverdienstkreuz, den Deutschen Umweltpreis und den Sonderpreis "Ökomanager des Jahres" erhalten. Jetzt kämpft Franz Daschner dafür, dass sich Ärzte ordentlich die Hände waschen.

Lieber ohne Sagrotan: Im Klo dürfen sich die Keime gefahrenlos tummeln. Bild: photocase/jenzig71

taz: Herr Daschner, sind Ärzte beim Händewaschen wie kleine Kinder?

Franz Daschner: Das mit dem Händewaschen ist tatsächlich fast ein soziologisches Problem. Bei meinen kleinen Enkeln muss ich nach dem Spielplatz immer wieder mahnen: Geht Hände waschen! So ist es mit den Ärzten im Krankenhaus auch.

Wie nachlässig sind die Ärzte denn?

In 30 bis 40 von hundert Fällen desinfizieren sie ihre Hände nicht richtig - das ist leider weltweit so. Die Händedesinfektion ist die am häufigsten vernachlässigte Maßnahme in Krankenhäusern. Dabei ist sie das Allerwichtigste überhaupt. Denn die meisten Keime werden über die Hände an die Patienten übertragen.

Rund 800.000 Menschen pro Jahr bekommen im Krankenhaus durch übertragene Krankheitserreger eine Infektion. Das hat die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) berechnet. Davon erkranken 64.000 Menschen an einer Blutvergiftung - 25.600 von ihnen sterben daran, so die DGKH. Um das zu verhindern, beteiligen sich derzeit 400 Kliniken an der "Aktion saubere Hände", die vom Bundesgesundheitsministerium gefördert wird. Sie verpflichten sich, Händedesinfektionsspender neben Patienten zu montieren und den Verbrauch zu messen. Experten fordern, zusätzlich mehr Hygienefachärzte einzustellen, die die Einhaltung der Richtlinien überwachen. Von über 2.000 Kliniken in Deutschland haben laut DGKH nur 5 Prozent solches Personal. NJ

Sie haben jahrelang als Hygienefacharzt das Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene an der Uniklinik Freiburg geleitet. Warum konnten Sie den Ärzten nicht mehr Hygiene beibringen?

Das ist bei vielen Ärzten und Pflegekräften im Unterbewusstsein noch nicht angekommen. Man muss sie immer wieder darauf ansprechen und ermahnen, wie die Kirche beim sechsten Gebot. Zum Teil liegt das an Unwissenheit, dann Faulheit, Zeitmangel - oder die Angst der Leute davor, ihre Uhren oder Ringe durch das Desinfektionsmittel zu beschädigen. Ich sage deswegen ja immer: Macht in der Arbeit den Schmuck ab!

Ärzte erzählen oft, dass die Hände rissig und spröde werden, wenn man sie nach jedem Patienten 30 Sekunden desinfiziert.

Stimmt, man muss zugeben, dass das alkoholhaltige Desinfektionsmittel mit seinen Farb- und Duftstoffen auch stark die Haut angreift. An meiner Klinik haben wir diese Stoffe erst mal aus dem Mittel entfernt. Desinfektionsmittel müssen ja nicht blau oder grün sein oder gut riechen. Aber eins muss man auch sagen: Die Männer könnten sich ruhig öfter die Hände eincremen, um sie vor den Mitteln zu schützen. Frauen haben uns die Hautpflege voraus.

Wie gefährlich können denn die Krankenhauskeime für die Patienten werden?

Die häufigsten Krankenhausinfektionen, die durch die Keime entstehen können, sind Lungenentzündung, Blutvergiftung, Harnwegsinfektion und Wundinfektion. Sie machen rund 80 Prozent der Infektionen aus.

800.000 dieser Infektionen soll es jährlich geben, kommen alle Keime über die Hände des Personals?

Tatsächlich werden die meisten Keime generell über die Hände übertragen. In den Hygienerichtlinien der Kliniken steht zwar immer, man soll seinen Arztkittel mit der Außenseite zur Wand hängen, wenn man einen infektiösen Patienten behandelt hat, und das Stethoskop desinfizieren. Das ist aber alles vergleichsweise nebensächlich. Die Hände sind das größte Problem.

Wie kommen die Keime in den Menschen?

Eine Wundinfektion passiert meistens im Operationssaal. Der Keim muss hineinfallen oder hineingebracht werden. Zum Beispiel bei einer Hüftimplantation passiert es so: Der Patient hat auf der Haut normalerweise Keime. Die Haut wird natürlich vor der OP desinfiziert - aber beim Aufschneiden sitzen in den Ausgängen der Schweißdrüsen noch Krankheitserreger, da ist es unvermeidbar, dass sie in die Tiefe gelangen. Und in 5 bis 10 Prozent der Fälle von Dickdarmoperationen kommt es zu einer Wundinfektion, die unvermeidbar ist - weil im Darm bei jedem Menschen Keime sind, die man nicht einfach entfernen kann.

Viele Krankenhausinfektionen sind also bei Menschen, die sich operieren lassen, vorprogrammiert?

Ja, 70 Prozent der Infektionen sind selbst mit den besten Methoden der Hygiene nicht vermeidbar. Aber das eine Drittel, das übrig bleibt, kann und muss man verhindern. Vor allem auch, weil durch schlechte Hygiene auch Krankheitserreger, die gegen Antibiotika resistent sind, immer weiter verbreitet werden - zum Beispiel so genannte MRSA-Erreger.

Warum sind die so gefährlich?

Wenn ein MRSA-Keim durch die Luftröhre in die Lunge kommt oder durch eine offene Wunde in den Knochen, ist das furchtbar: Es gibt nur noch wenige Antibiotika, die dagegen helfen - weil der Keim schon resistent geworden ist. Die wenigen wirksamen Antibiotika sind sehr teuer für das Krankenhaus. Und sie haben nicht selten schwere Nebenwirkungen für den Patienten. Durch Hygienemangel in Krankenhäusern verbreitet sich der MRSA - von Stadt zu Stadt, von Osteuropa nach Westen oder von England auf den Kontinent.

Spielt da nicht auch eine Rolle, dass die Menschen zu oft Antibiotika nehmen, auch wenn sie nur eine kleine Erkältung haben?

Leider werden Antibiotika mindestens zu einem Drittel von Ärzten in Krankenhäusern und Praxen unnötig verschrieben - dadurch wird der MRSA-Erreger immer resistenter. Jeder sollte darüber nachdenken, wenn er so ein Rezept bekommt. Allerdings: Wäre die Krankenhaushygiene angemessen, käme der Erreger gar nicht erst in die Wunden und könnte nicht so viel Schaden anrichten.

Sie haben mehrere Umweltpreise bekommen. Wie hängt das mit Ihrer Aufgabe der Desinfektion im Krankenhaus zusammen?

Viele Desinfektionsmittel, die ins Abwasser geschüttet werden, sind von den Inhaltsstoffen her sehr schlecht abbaubar. In deutschen Krankenhäusern werden sie sogar zu stark eingesetzt - und zwar im Bereich der Flächendesinfektion, das heißt auf dem Boden oder an den Wänden. Das ist alles schlecht für die Umwelt.

Wie bitte, Sie prangern zu viel Reinigung im Krankenhaus an?

Moment! Reinigen sollten die Kliniken, dass es glänzt. Ich bin gegen zu viel Desinfektion. In den meisten Fällen ist zum Beispiel eine Desinfektion des Bodens überflüssig. Man weiß mittlerweile, dass Krankenhausinfektionen nicht vom Boden kommen. Die Ärzte bücken sich ja nicht und reiben ihre Hände auf dem Flur. Aber so eine Einstellung gegen Bodendesinfizierung bringt einem nicht nur Umweltpreise. Ich wurde dafür auch schwer angefeindet von Kollegen.

Warum?

Ich sage nur so viel: Flächendesinfektion ist ein großer Markt, daran sind viele Hygienefachärzte als Gutachter beteiligt.

Wie sieht es denn mit der Sauberkeit im privaten Haushalt aus, da gibt es doch auch überall Keime, oder?

Zu Hause gibt es überall Keime. Auf dem Boden sind auf 10 Quadratzentimetern mindestens 500 davon.

Aber es werden immer mehr Reinigungsmittel, die Bakterien und Keime töten sollen, in den Drogerien verkauft.

Das ist alles Mist. Im Haushalt muss nur auf Anordnung eines Arztes desinfiziert werden, wenn ein Patient eine meldepflichtige Erkrankung hat, die Epidemien auslösen kann - etwa Salmonellen. Aber unter normalen Umständen ist das nichts anderes als ein Werbegag. Ein normaler Scheuerlappen mit Seife kann die Haushaltskeime so weit reduzieren, dass sie nicht infektiös sind. Die Menschen vergessen vor lauter Angst vor Keimen oft: Haushaltskeime gehören zu uns, die meisten machen nicht krank.

Auch nicht in der Toilette?

Wenn es irgendwo Keime geben sollte, dann doch wohl im Bad. Ein Klo muss Keime haben - die muss man nicht desinfizieren, und die tun auch nichts! Im Gegenteil, Desinfektionsmittel, die man in die Toilette schüttet und runterspült, sind sehr umweltschädlich.

Wie sieht es denn bei Säuglingen aus, müssen Eltern da nicht besonders vorsichtig sein?

Es ist andersherum. Kinder müssen sogar mit Haushalts- und Umgebungskeimen aufwachsen, denn so immunisieren sie sich und entwickeln Antikörper. Wenn Säuglinge in einer desinfizierten Umgebung aufwachsen, bekommen sie später häufiger Infektionen. Das haben Studien längst gezeigt. Ein Kleinkind, das auf dem Spielplatz einen Löffel Sand isst - das ist kein Problem. Und wenn der Nuckel auf den Boden fällt und man ihn dann mal ohne vorheriges Abwaschen in den Mund steckt, wird der Säugling davon nicht gleich krank.

Dann kann man auch mit seinen Haustieren unbeschwert kuscheln und Kekse teilen?

Das nun doch nicht. Von einem Hund würde ich mich nicht abschlecken lassen, denn der könnte tatsächlich Keime haben, die dem Menschen schaden können.

Herr Daschner, Sie sind bereits im Ruhestand. Aber die Keime lassen Sie nicht los?

Wenn Sie mich als Student gefragt hätten, ob ich Hygienefacharzt werden will, hätte ich gefragt: Halten Sie mich für bescheuert? Ich will mich doch nicht mit Klos beschäftigen. Ich war auch zuerst Kinderarzt und habe mich damit habilitiert. Aber dann bin ich eher zufällig auf Krankenhaushygiene umgestiegen. Denn die Welt der Keime ist faszinierend - was die alles können! Die Forschung darüber ist intellektuell äußerst anregend.

Findet das der medizinische Nachwuchs auch?

Leider stehen Hygieniker nicht unbedingt an der Spitze der Beliebtheitsskala - es gibt kaum junge Ärzte, die nachrücken wollen. Ein Hygieniker ist ja wie ein Pfarrer.

Warum?

Er muss immer ermahnen: Wascht euch die Hände. Zieht euch ordentlich die Kittel an. Das ist ein ständiges Teaching, Überwachen, Ermahnen. Auch wenn es in jedem Krankenhaus einen Facharzt geben müsste - es gibt eindeutig zu wenige, die das machen wollen.

Keinerlei Begeisterung für Desinfektionsforschung?

Doch, manchmal schon. In meinem Institut wurde gerade eine Innovation eingesetzt: Desinfektionsfläschchen mit farb- und duftstofffreien Mitteln. Man kann diese kleinen Spender wie einen Kuli an den Kittel stecken. Da sind grade alle am Freiburger Klinikum stolz drauf und tragen sie immer mit sich herum!

INTERVIEW: NICOLE JANZ

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