Debatte Finanzkrise: Zur Schuldenspirale verdammt?

Wegen der Finanzkrise stehen viele arme Länder heute wieder vor dem Staatsbankrott. In Doha muss sich jetzt zeigen, was die Welt aus der Schuldenkrise von 1982 gelernt hat.

Nicht die armen Länder haben die aktuelle Krise der Finanzmärkte verschuldet. Aber gerade sie wird es am härtesten treffen. Denn die Nachfrage nach Gütern, dank deren so unterschiedliche Länder wie Sambia und Argentinien in den letzten fünf Jahren so hohe Wachstumsraten erzielt haben, wird zurückgehen - und die Kredite, auf die gerade diese Länder weiterhin angewiesen sind, werden teurer.

Nicht wenig erinnert an die Zeit um 1982. Damals waren zunächst Mexiko und dann weitere Länder in Lateinamerika, Asien und Afrika zahlungsunfähig geworden. Sie hatten sich in den Jahren zuvor bei westlichen Banken und Regierungen hoch verschuldet, um Entwicklung (und manches andere) zu finanzieren. Als sich die Zinsen an den Finanzmärkten infolge der Reaganschen Aufrüstungspolitik innerhalb von 24 Monaten verfünffachten, hatten sie keine Chance mehr.

Die aktuelle Finanzkrise trifft nun - anders als in den Achtzigerjahren - im Süden der Erde Staaten, die bereits wissen, was es bedeutet, zahlungsunfähig zu sein. Im Rahmen der "Kölner Schuldeninitiative" von 1999 konnten sich gerade 23 der ärmsten Länder der Welt in einem langwierigen Prozess von den Lasten der Krise von 1982 befreien. 13 von ihnen liefen schon vor der aktuellen Finanzkrise Gefahr, sich erneut zu überschulden, hat die Weltbank errechnet.

Sind vor allem afrikanische Staaten für immer zur Überschuldung verdammt? Der Weltfinanzgipfel der G 20, der sich Mitte November in Washington mit den Folgen der Bankenkrise befasste, hatte jedenfalls keine andere Botschaft für sie. Von den Ländern, die durch die Krise an den Rand des Staatsbankrotts geraten, saß dort kein einziges mit am Tisch. So gingen die 20 anwesenden Industriestaaten dort davon aus, dass sich Staatsbankrotte durch Kredite des Internationalen Währungsfonds abwenden ließen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) saß in Washington mit am Tisch. Es gelang ihm dort, die Weltöffentlichkeit einmal mehr an jene Instrumente glauben zu lassen, mit denen er zuletzt in Argentinien so bitter Schiffbruch erlitten hatte.

Die Beseitigung der Trümmer der Schuldenkrise von 1982 hat die Weltöffentlichkeit bis jetzt 117 Milliarden US-Dollar gekostet. Auf diese Summe beliefen sich die öffentlichen Schulden, die den ärmsten Ländern gestrichen wurden. Doch in Washington wurden die Schuldnerstaaten nur einmal mehr routinemäßig ermahnt, ihre Regierungsführung zu verbessern. Nun gibt es in den alten und neuen Schuldnerländern sicher eine Menge zu verbessern. Mindestens so wichtig ist es aber, zu fragen, welche Fehler im Entschuldungsprozess - vor und nach dem Kölner Schuldengipfel von 1999 - gemacht wurden. Über die Entschuldung aber entscheiden die Gläubiger. Das sind zum einen der IWF und die Weltbank, die zugleich als wichtige Geldgeber und Gutachter im Entschuldungsprozess fungieren. Zum anderen ist es der "Pariser Club" - der Zusammenschluss der Industrieländer, die in Paris einzeln mit zahlungsunfähigen Schuldnern verhandeln.

Dass der Gläubiger gleichzeitig der Insolvenzrichter ist, ist in Deutschland (und anderen Rechtsstaaten) mit dem Schuldturm aus der Mode gekommen. Dieses Modell ist nicht nur in hohem Maße unfair - wie immer, wenn Kläger und Richter eine Person sind. Es ist auch ineffizient, wie sich gezeigt hat: Vom Ausbruch der Krise von 1982 bis zum G-8-Gipfel in Gleneagles 2005 haben die Gläubiger mehr als zwei Jahrzehnte gebraucht, um sich in das Notwendige zu fügen und den ärmsten Ländern einen großen Teil ihrer Schulden zu erlassen. Unzählige Menschen wurden in dieser Zeit um ihre Lebenschancen gebracht oder starben aus Gründen, die vermeidbar gewesen wären.

Nun steht die nächste Krise bevor. Mit dem Anstieg der Öl- und Lebensmittelpreise hat sie in vielen Ländern bereits eingesetzt, wird aber oft noch hinter anhaltend hohen Wachstumsraten gut versteckt. Was ist nun notwendig, um eine neue, jahrelange Entwicklungsblockade zu vermeiden? Geld ist es nicht - zumindest nicht allein. Notwendig ist vielmehr ein Maß an Rechtssicherheit, das auch hierzulande jeder genießt, der einen Kredit aufnimmt: dass, wenn es eng wird, nicht seine Gläubiger über sein Schicksal entscheiden, sondern eine neutrale Instanz. Und dass das Recht auf ein Überleben in Würde vor dem Recht der Gläubiger auf Rückzahlung ihrer Schulden rangiert.

Was für uns selbstverständlich ist, sollte auch für Staaten im Süden gelten. Es würde letztendlich auch ehrlichen Gläubigern dienen. Denn ein rechtsstaatliches Verfahren sorgt dafür, dass skrupellose Geldgeber, die Diktatoren Kapital zur Aufrüstung oder für sinnlose Großprojekte zur Verfügung stellen, nicht ebenso behandelt werden wie diejenigen, die ordentlich geplante und korruptionsfreie Projekte finanzieren.

Die Bundesregierung, der "Pariser Club" und die Weltbank beklagen sich neuerdings lautstark über Chinas strategisches Engagement in jenen afrikanischen Ländern, denen der Westen gerade einen Teil seiner Schulden erlassen hat. Wenn der Westen das ernst meint, sollte er alles dafür tun, dass kreditnehmende Länder künftig die Möglichkeit haben, in einem fairen und transparenten Insolvenzverfahren ihren Gläubigern kritische Fragen zu stellen - und zwar allen.

Genau diese Forderung nach einem Internationalen Insolvenzverfahren fand sich im Entwurf einer Abschlusserklärung der UNO-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, die seit Freitag in Doha am Persischen Golf tagt. Seit rot-grünen Zeiten wird diese Forderung von der deutschen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützt. Wie ein solches Verfahren umzusetzen wäre, dafür gibt es viele Vorschläge - von Entwicklungsorganisationen im Norden und im Süden, von Ökonomie- und Rechtsprofessoren und sogar vom IWF selbst. Doch die USA und Großbritannien sperren sich gegen jede Art von Reform. So kam es, dass der ambitionierte Passus kurz vor der Konferenz aus dem Entwurf verschwand. Wie bei der UNO üblich, wurde er durch eine vage Formulierung ersetzt, die alle Interessen berücksichtigen sollte. Doch selbst dieser Kompromissvorschlag blieb bis zu Schluss der Konferenz umkämpft.

Natürlich wird eine UNO-Konferenz keine neuen Spielregeln für das Internationale Finanzsystem "einführen" können. Ihre Beschlüsse senden aber ein wichtiges Signal an Staaten wie Burkina Faso, Gambia, Ruanda und São Tomé und Príncipe, die vor einer Schuldenkrise stehen und dringend auf eine faire Lösung angewiesen sind. Gleiches gilt für Länder wie Ecuador, die nicht glauben, dass alles mit rechten Dingen zuging, als sie während der Siebziger- und Achtzigerjahre in die Überschuldung stürzten, und die ihren Gläubigern dazu gerne ein paar Fragen stellen würden. Für solche Länder, die vermutlich noch lange auf Kapitalimporte angewiesen sein werden, den politischen Spielraum zu erweitern - das wäre der wichtigste Impuls, der von der Konferenz in Doha ausgehen sollte. JÜRGEN KAISER

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