Ex-Generalsekretär Geißler: "CDU muss Kapitalismus bekämpfen"

Vor dem Parteitag plädiert Ex-CDU-Generalsekretär Geißler für eine antikapitalistische Wahlkampagne. Zur Konjunkturbelebung sollten die Hartz-IV-Sätze steigen.

"Den Regelsatz beim Arbeitslosengeld II auf 400 Euro erhöhen": Heiner Geißler. Bild: dpa

taz: Herr Geißler, kurz vor dem Parteitag wird in der CDU heftig über rasche Steuersenkungen diskutiert. Macht die Kanzlerin einen Fehler, wenn sie sich dieser Forderung verweigert?

Heiner Geißler: Nein. Ich verstehe nicht, warum sich Steuersenkungen rasch auf die Konjunktur auswirken sollten. Die große Masse der Menschen, die den Konsum anheizen könnten, ist davon gar nicht betroffen. Wer dagegen schon vorher nicht ganz knapp bei Kasse war, trägt das Geld lieber auf die Bank.

Und eine Senkung der Mehrwertsteuer wie in England?

Bloß weil die Preise um 1 Prozent zurückgehen, kaufen die Leute nicht mehr.

Soll man also bis zum geplanten Koalitionstreffen im Januar gar nichts tun?

Die Regierung macht ein Konjunkturprogramm.

Im europäischen Vergleich ist das sehr wenig.

Wir stehen ja auch besser da als die anderen europäischen Länder. Es gibt allerdings einen Punkt, da sollte man rasch etwas tun: Wir sollten den Regelsatz beim Arbeitslosengeld II sofort von 351 auf 400 Euro erhöhen. Diese 49 Euro gehen direkt in den Konsum. Die Leute können das Geld gar nicht sparen. Sie brauchen es für dringende Anschaffungen, die sie bisher nicht bezahlen konnten.

Sehen Sie dafür eine Chance in Ihrer eigenen Partei?

Warum nicht? Darüber wird durchaus nachgedacht.

Nach außen dringt vor allem die Klage über mangelnde Wirtschaftskompetenz.

Das ist ein publizistisches Phantom. Wir haben gute Leute, die von Wirtschaft etwas verstehen, aber nicht einseitig sind. Etwa Norbert Röttgen, den parlamentarischen Geschäftsführer.

Ministerpräsidenten wie Christian Wulff müssen dafür nicht nach vorne?

Jeder kann sich in der Partei profilieren, wie er das für richtig hält. Aber müssen tut keiner etwas. Es gibt da keine Leerstelle.

Manche sehnen sich nach Friedrich Merz.

Wer heute in einem Buch mehr Kapitalismus fordert, der hat sich aus einer ernsthaften Debatte abgemeldet.

Das Buch ist ein Bestseller.

Mag sein. Die Berühmtheit manches Zeitgenossen hängt oft mit der Dummheit seiner Bewunderer zusammen.

Bisher profilierte sich Merkel vor allem mit Themen wie Familie, Umwelt oder Bildung. Zählt das in der Krise noch?

Diese Themen sind doch unverändert wichtig. Eine Wirtschaft, die ihre Geschäfte ohne Rücksicht auf die Umwelt betreibt, ist genauso verwerflich wie der nackte Kapitalismus. Oder nehmen Sie die Bildung. Die Sanierung von Schulgebäuden, in denen der Schimmel an den Wänden hochkriecht, wäre ein besseres Konjunkturprogramm fürs Handwerk als Großprojekte, von denen nur Konzerne profitieren.

Reicht das für die Wahl?

Die CDU muss vermeiden, dass sie in eine Falle läuft. Deshalb sollte sie sich im Wahlkampf für die soziale Marktwirtschaft aussprechen - und gegen den Kapitalismus. Wenn sie langatmige Erklärungen abgibt, warum der Kapitalismus teilweise doch etwas Richtiges hat, kommt sie in ein unlösbares Dilemma. Sie muss einen klaren Trennungsstrich ziehen zwischen dem Kapitalismus und dem, was sie schon immer gewollt hat.

Schon immer? Auf dem Leipziger Parteitag 2003 hat sich die CDU von der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet.

Das war ein Sündenfall, keine Frage. Inzwischen hat die Partei, um bei katholischen Begriffen zu bleiben, Reue und Leid erweckt. Auf die Beschlüsse kommt sie nicht mehr zurück. Auch die Wähler werden sich kaum an einen Parteitag vor fünf Jahren erinnern.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.