Trinken auf dem Alex: Die Wiederkehr der Eckensteher

BerlinerInnen trinken gerne in der Öffentlichkeit: Die Jungen stehen am Alexanderplatz mit der Flasche Bier, die etwas Älteren steigen abends nicht ohne Pulle in die M 10. Ganz neu ist das Phänomen nicht, sagt Jugendforscher Klaus Farin.

Freitagabend am Neptunbrunnen auf dem Alexanderplatz: Hier tummelt sich die Jugend. Dunkle Kleidung und zu viel Schminke, auch bei den Jungs, sind die Erkennungszeichen. Dazu die unvermeidliche Flasche Bier in der Hand.

Seit Jahren treffen sich die jungen Leute freitags bei jedem Wetter und unabhängig von der Jahreszeit hier auf dem Alex. So manchem braven Bürger passt das nicht, auch Polizei und Politik reden viel von Gewaltbereitschaft, Vandalismus, Altglasbergen und Wildpinklern. Das Bezirksamt Mitte will dem nun ein Ende machen: Dienstag voriger Woche wurde in der Bezirksverordnetenversammlung der Entwurf einer Parkordnung erarbeitet, die den Konsum von Alkohol zwischen Neptunbrunnen und Fernsehturm völlig verbietet. "Wir sind uns jedoch bewusst, dass das Verbot nur zu einer Verdrängung der jungen Menschen vom Alexanderplatz führt", gibt Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, zu.

Wirklich neu ist das Phänomen der in der Öffentlichkeit trinkenden Jugendlichen jedoch nicht. "Schon in der 50er-Jahren gab es die so genannten Eckensteher", sagt Klaus Farin, Leiter des Archivs der Jugendkulturen in Berlin. "Das waren Halbstarke, Rock-n-Roller, die sich an Straßenecken trafen und Bier tranken." Der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit sei dabei eine bewusste Provokation gewesen. "Der brave Bürger trinkt in seinen eigenen vier Wänden", so Farin. Von dem wollten sich auch die Jugendlichen heute eindeutig abgrenzen.

Ein öffentlicher Platz wie der Alex sei dabei genau die richtige Umgebung, um gesehen zu werden und auch selbst zu sehen und Gleichgesinnte zu treffen. "Der Alex war schon immer ein Treffpunkt der Subkulturen", erklärt Farin. "In der DDR trafen sich dort die Hooligans, in den 90ern die Migrantenkids, später die Punks." Da seien die heutigen Freitagstreffen der Emo-Szene nur die logische Fortsetzung. Um den Alkoholkonsum zu reduzieren, könne man jedoch Sportangebote einrichten, ähnlich dem Skatepark Hasenheide. "Dort treffen sich die Jugendlichen und machen gemeinsam Sport", sagt Farin. Wichtig sei, die jungen Leute nicht zu verdrängen, sondern ihnen zu signalisieren, dass sie auch zum öffentlichen Leben gehören und einen Platz in der Öffentlichkeit haben.

Doch es sind nicht nur die Jungen, die sich gerne vor aller Augen ein Flaschenbier gönnen. Eine Fahrt mit der Tram M 10 zeigt, dass das Feierabendbier auf dem Heimweg längst keine Domäne der Bauarbeiter mehr ist. "Die Wege in Berlin sind so weit", sagt ein junger Mann und nimmt noch einen Schluck aus seiner Bierflasche. "Da verkürzt mir ein Bier manche Tramfahrt." Seinen Namen verrät er jedoch nicht. In der Bahn mit einer Flasche Bier zu sitzen, findet er völlig in Ordnung, "damit in der Zeitung zu stehen, muss ja nicht sein", erklärt er.

"Die Flasche in der Hand ist das Zeichen der Dazugehörigkeit zur Gruppe", sagt Frithjof Hager, Kultursoziologe von der Freien Universität. Wie Stammtische einen Wimpel hätten, so diene hier der Alkohol als Erkennungszeichen. Er sei eine Modeerscheinung wie ein Tattoo. "Er ist das, was die Gruppe zur Gruppe macht", so Hager.

Der 19-jährige Marcus sieht das weniger differenziert. "Ich will vor allem saufen", sagt er ganz offen. Mit seinem Freund Martin hat es sich der Auszubildende auf der anderen Seite am Alex am Brunnenrand vor dem Kaufhof bequem gemacht. Zwei Sixpacks Desperados stehen vor ihnen, dazu eine Flasche Apfelkorn. Über ein Handy hören sie scheppernden Metal. "Wir treffen uns hier mit Freunden, später gehen wir noch in eine Bar", erklärt Abiturient Martin. Sich vorher in die Kälte zu stellen, sei einfach ein billiger Start in den Abend. Dass man ihn auf sein Trinken in der Öffentlichkeit anspricht, ist ihm sichtlich unangenehm. Marcus ist da entspannter: "Trinken kann man ja eigentlich immer und überall."

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