Schach-Olympiade: "Jamaika-Gefühl" am Brett

In Dresden kämpfen Schach-Entwicklungsländer um den internationalen Anschluss. Mit dabei: das minderjährige Seychellen-Team und Uganda.

Aus Urlaubsparadiesen kommen neuerdings ernstzunehmende Schachgegner. Bild: dpa

DRESDEN taz Die Schacholympiade war noch keine Viertelstunde alt, da war Keith Vidal schon matt. Nach sechs Zügen hatte der 10-Jährige gegen Jorge Picado aus Nicaragua einen Springer eingebüßt. Und im elften Zug ereilte seinen schwarzen König bereits das Ende. Sein neunjähriger Mannschaftskamerad Arnold Mein spielte in der ersten Runde wenigstens etwas mehr als doppelt so lange, ebenso Andry Accouche (16). Aber unter den 146 Nationalteams in Dresden übernehmen die Spieler von den Seychellen problemlos die Exotenrolle der jamaikanischen Bobfahrer aus dem Kino-Hit "Cool Runnings".

Ihre Bilanz ist zur Halbzeit niederschmetternd: 0:20 Mannschaftspunkte. Derita Figaro holte bei den Frauen gegen Macau nach 19 Niederlagen endlich das erste Remis. Nicht viel besser sieht es im Männer-Wettbewerb aus. Accouche durfte sich gegen die Jungferninseln über den ersten halben Zähler freuen. Einsamer Sieger am Spitzenbrett war beim 1,5:2,5 einmal mehr Kurt Meier. Seine Ehefrau Flora stammt von der östlich vor Afrika gelegenen Insel im Indischen Ozean. Der Geschäftsmann aus dem schweizerischen Kanton Aargau fungiert als Sponsor des Kindergartens und hat als Spitzenspieler mit internationaler Wertungszahl als einziger das Niveau für die Keller-Duelle der Olympiade. Zwei der 2,5:17,5 Brettpunkte hat der 61-Jährige eingefahren.

Im Urlaubsparadies steckt Schach noch buchstäblich in den Kinderschuhen. Gerade einmal 25 Aktive hat die seit 1976 unabhängige ehemalige britische Kolonie. Der Deutsche Schachbund zählt als einer der weltweit größten Verbände fast 4.000-mal so viele Mitglieder. Der neue Verbandspräsident Benjamin Hoareau hegt aber große Pläne. "Wir wollen unsere Mitgliederzahl verdoppeln. Bei einem Schulschach-Wettbewerb in der Hauptstadt Victoria machten 50 Kinder mit", erzählt der 26-Jährige stolz. Auf den 115 Inseln mit seinen 85.000 Einwohnern ist er der lokale Spitzenspieler. In Dresden verzichtet er offiziell, "damit unsere Talente Erfahrung sammeln".

Dieses Sammeln währt jedoch nur kurz für den Familien-Clan aus Brüdern, Müttern, Vätern, Söhnen und Cousinen. Nach einer Stunde sind meist drei Bretter verwaist, Meier sitzt allein und führt seinen verzweifelten Kampf gegen das 0:4. Frustriert nennt der Sponsor des Bundesligisten SC Niederrohrdorf den wahren Grund der Malaise: "Benjamin glaubte, er wäre als gemeldeter Trainer auch einsatzberechtigt. Jetzt fehlt er uns." Seine Jungs stört das weniger: "Die sind unbeschwert und froh, mal von der Insel wegzukommen", meint Meier. Nach den schnellen Schlappen hat ihn das "Jamaika-Gefühl" aus "Cool Runnings" verlassen, inzwischen hält es der Informatiker mit Seychellen-Pass für "deplatziert, die Jungs bei der Olympiade gegen übermächtige Gegner verlieren zu lassen".

Mit mehr Freude vertreten Moses und Steven Male Kawuma ihr Land Uganda. Gegen Papua-Neuguinea und San Marino holten sie das Maximum: ein 2:2. Denn die beiden anderen Spieler, die die Mannschaft vervollständigen sollten, kamen wegen Visaproblemen nicht. Weil Moses Kawuma während der dritten Runde bei der ugandischen Botschaft Verstärkung anfordern wollte, verlor Steven Male Kawuma kampflos. "Ich glaube, er wollte mit uns simultan spielen", witzelte der lettische Großmeister Normunds Miezis anschließend. Noch besser macht es Sambia als halbes Quartett: Amon Simutowe und Daniel Jere sammelten nach der verpassten ersten Begegnung in vier Runden bereits mit vereinten Kräften drei 2:2! Simutowe könnte als starker Internationaler Meister mit bisher 3,5:0,5 Punkten zu einem der erfolgreichsten Spieler der Olympiade avancieren. Schließlich erwarten ihn in den hintersten Regionen kaum ernsthafte Gegner.

Shaun Press von Papua-Neuguinea freut sich, dass sich der Schach-Weltverband FIDE weiter den traditionellen Luxus leistet, alle Länder bei seiner WM antreten zu lassen: "Wir sind stolz, hier dabei sein zu dürfen. Außerdem wollen wir die führenden Russen schlagen", scherzt der Schiedsrichter und ergänzt, "nein, Quatsch! Aber unsere Nachbarn von den Fidschi-Inseln."

Ähnliche Absichten hegen die Seychellen gegen Madagaskar. Der große Nachbar hat auch erst einen Zähler auf der Habenseite. Also eine lösbare Aufgabe selbst für die kleinen Jungs von der Trauminsel - schließlich sind ab jetzt gleich zwei Schweizer als schachliche Entwicklungshelfer an Bord. Kurt Meiers Sohn Peter beendete Anfang der Woche sein Wirtschaftsstudium an der Uni in Zürich und verstärkt die Seychellen. Mit dem 23-Jährigen will der bisherige Kindergarten zur Aufholjagd auf Platz 145 blasen.

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