Interview Carlotto zu Berlusconi: "Er kopiert jetzt Mussolinis Gesten"

In Italien hat unter Berlusconi der demokratische Notstand Einzug gehalten, meint der Schriftsteller Massimo Carlotto. Im Norden stützt sich seine Koalition auf den Wohlstandsrassismus.

Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi nutzt seinen Medienkonzern auch zur eigenen Imagepflege. Bild: ap

taz: Herr Carlotto, Ihr aktueller Roman, "Die dunkle Unermesslichkeit des Todes", handelt von einem wohlhabenden Weinvertreter, der blutige Rache an einem Verbrecher übt. Ist dieser Mann ein typischer Vertreter des italienischen Nordens?

Massimo Carlotto, 1956 in Padua geboren, ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Italiens und vor allem durch seine Krimis bekannt. Als Sympathisant der außerparlamentarischen Linken wurde er in den Siebzigerjahren zu Unrecht wegen Mordes verurteilt und, nach mehrjähriger Flucht und Gefängnishaft, 1993 begnadigt. Auf Deutsch ist zuletzt sein Roman "Die dunkle Unermeßlichkeit des Todes" (Tropen-Verlag) erschienen.

Massimo Carlotto: Ich habe das Buch im Nordosten angesiedelt, weil bestimmte Gefühle der sozialen Verweigerung in dieser Region stark verbreitet sind. Alles, was die Reformen der vergangenen Jahrzehnte geleistet haben, wird abgelehnt. Übrig geblieben ist eine rassistische, individualistische, ausschließlich aufs Geld gegründete Gesellschaft. Aber in dem Roman ging es mir vor allem um das Thema der Rache und der Vergebung - und der Rolle des Staates dabei.

Spielt da Ihre eigene Geschichte hinein? Sie wurden ja 1993 durch den damaligen Präsidenten Scalfaro begnadigt.

Nein. Der einstige Staatspräsident Ciampi hat in seiner Amtszeit den Familien der Opfer von Gewaltverbrechen das Recht übertragen, über die Gnadengesuche der Täter zu entscheiden: Das hat zu einem massiven Rückgang der Begnadigungen geführt. Mein Roman handelt davon, wie sich der Staat seiner Verantwortung entzieht - in diesem Fall aus Angst vor den Wählern. Mir geht es dabei auch um diese Heuchelei im katholischen Italien, dieses Gerede von Vergebung und dass sich alle gern haben. Nein, in Wirklichkeit hassen die Leute sich abgrundtief. Und im Nordosten richtet sich dieser Hass bevorzugt gegen Asylanten, Rumänen oder Zigeuner.

Ist das ein neues Phänomen? Italien galt lange als ein Land, das wenig Rassismus kennt.

Es ist ein altes Phänomen, das nur viele Jahre durch den progressiven Teil der Gesellschaft unter Kontrolle gehalten wurde. Er hatte einmal eine gewisse Macht und konnte dem Rest eine Kultur der Reform und der Solidarität vorgeben. Das gibt es heute nicht mehr. Jetzt sieht man den Hass, der für den anderen Teil Italiens typisch ist, der nun an der Macht ist und ein sehr viel rückständigeres Italien verkörpert.

Die rechtspopulistische Lega Nord konnte bei den letzten Wahlen in allen Schichten des Nordens große Erfolge erzielen. Wie ist das zu erklären?

Die Lega war die einzige Partei, die den Anstieg der Lebenshaltungskosten thematisiert hat. Deswegen ist sie, auch unter den Arbeitern, im Norden die stärkste Partei geworden. Die Linke hat das nicht gemacht.

Warum?

Weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Ich zum Beispiel habe die Linke deshalb nicht gewählt und das auch öffentlich erklärt, denn wir wollten keine Leute ins Parlament schicken, denen wir nicht mehr vertrauen. Auch um den Preis der Niederlage - denn eine Niederlage wäre es sowieso geworden.

Für welche Idee von Kultur steht die Lega Nord?

Die Lega interessiert sich nicht für Kultur: Wenn sie irgendwo an der Macht ist, nimmt sie ihr als Erstes das Geld weg. Sie haben sich eine völlig irreale Ideologie zurechtgezimmert um eine Heimat und eine Geschichte, die es so nie gab. Es ist eine rein ökonomische Heimat. Denn es waren die Ausländer, die den Nordosten reich gemacht haben, vor allem durch die Schwarzarbeit. Doch jetzt, in der Krise, sollen sie gehen. Das ist das Grundmotiv des Rassismus der Lega.

In welcher Beziehung stand die Lega zu Jörg Haider, der gerade tödlich verunglückte?

Haider war sehr wichtig für die Lega: Er hat sie inspiriert, wurde immer wieder zitiert und kopiert. Beide Bewegungen sind sehr auf ihre Führer zugeschnitten. Auch Umberto Bossi, der Chef der Lega, hat alle Konkurrenten aus der Partei gedrängt. Seit seinem Herzinfarkt 2004 kränkelt er zwar, aber er war schon immer schlecht gekleidet, unfrisiert und anders als der italienische Durchschnittspolitiker. Gerade damit hatte er bei bestimmten Wählerschichten so großen Erfolg.

Welche Zukunft hat die Lega als Regierungspartei? Wird sie da nicht entzaubert?

Es wird sie noch lange geben, denn sie stützt sich auf einen verbreiteten Rassismus - nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen Süditaliener. So fordert sie zum Beispiel, die Beamten, die aus dem Süden stammen, nach Hause zu schicken - das pinseln sie jedenfalls an die Häuserwände. Und sie ist auf den Straßen präsent, mit ihrer "Nationalgarde" macht sie auf angeblich kriminelle Ausländer Jagd. Das alles dient nur dazu, davon abzulenken, dass Italien ein Land ist, in dem die Korruption und das Verbrechen wuchern. Doch das wird kaum thematisiert. Man spricht lieber von kriminellen Rumänen oder Zigeunern.

Wie verträgt sich der Separatismus der Lega mit dem Regierungsbündnis in Rom?

Mit ihren Abspaltungsparolen kann Berlusconi natürlich nicht einverstanden sein, auch ihr anderer Koalitionspartner, die Exfaschisten von der Alleanza Nazionale, nicht. Aber das zählt nicht. Die Lega würde gerne eine kleine Föderation bilden mit Österreich und Slowenien, vielleicht noch mit dem Süden von Bayern: eine kleine, reiche Alpenfestung gegen das "räuberische Rom", das ihre Steuern "stiehlt". Aber das erzählen sie den Leuten nur. In Wirklichkeit gefällt es den Lega-Leuten in Rom sehr gut - und politisch sind sie auf ihre Präsenz dort angewiesen.

Wie konnte Berlusconi zum Idol dieser Rechten werden?

Er ist unglaublich geschickt darin, sein Image zu steuern. Zurzeit trägt er keine Krawatte mehr, er tritt immer öfters ganz in Schwarz auf und kopiert Mussolini bis in seine Gesten - etwa wenn er mit dem Besen durch Neapel läuft. Zweitens hat er einen sozialen Block geschaffen, der von seiner Politik profitiert. Mittlere und kleine Unternehmer, in die er investiert hat, aber auch kleine Leute. Er ist wie Bush und Putin - diese Typen, die die ganze Welt ruinieren und unbeirrt ihre Ziele durchdrücken. Nicht zufällig ist er mit ihnen befreundet. Und seine enorme Medienmacht darf man auch nicht unterschätzen.

Wie wehrt man sich da?

Die Spielräume sind auf ein Minimum reduziert. Erst muss die Zentralregierung zurückerobert werden, auf lokaler Ebene gibt es keine Hoffnung mehr. Ein Beispiel: In Vicenza soll die US-Militärbasis zur größten Europas ausgebaut werden. Die Bevölkerung wehrt sich dagegen, aber die Regierung lehnt jedes Entgegenkommen ab, basta. Sobald es zum Konflikt kommt, schreitet die Polizei so massiv ein, dass der Kampf sinnlos wird.

Wie reagieren der progressive, linke und liberale Teil Italiens und die Künstler darauf?

In dem Ambiente, in dem ich mich bewege - Schriftsteller, Musiker, Schauspieler -, warten wir auf bessere Zeiten und versuchen, ein kulturelles Netz zu knüpfen, in dem man etwas Gutes und Nützliches machen kann. Denn die linke Politikerkaste hat keine Ideen mehr.

Die Kultur ist ein Refugium?

Ja. Aber ohne eigene Zeitungen, Verlage und Fernsehen ist es schwer. Das neue Pressegesetz etwa gefährdet die Existenz wichtiger Zeitungen wie Il Manifesto. Die meisten publizieren jetzt schon für Berlusconi, denn wir leben nun mal in einem Markt. Es gibt da auch keine Zensur - wenn ich ein Buch gegen Berlusconi machen will, kein Problem. Aber einen Film gegen ihn bei der RAI unterzubringen - keine Chance. Nur ein bestimmter Teil der Kultur schafft es ins Fernsehen. In Italien herrscht Demokratienotstand. Aber die Mehrheit interessiert das nicht.

INTERVIEW: AMBROS WAIBEL

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