Finanzkrise erfasst deutsche Kommunen: Kanalisation weg und trotzdem pleite

Vom Bad bis zur Messe: Deutsche Städte verscherbelten das kommunale Tafelsilber an US-Investmentfonds. Aus dem Versprechen hoher Erlöse wurde ein finanzielles Disaster.

Da sollte eigentlich Profit rausgeholt werden. Fakt ist aber, dass jetzt wohl eine Menge kommunales Geld in den Orkus abfließt. Bild: photocase/blindguard

Allmählich dringen einige Informationen durch: Seit Monaten schon verhandeln Kämmerer und Oberbürgermeister hektisch hinter verschlossenen Türen mit Versicherungskonzernen und Banken. Teure US-Anwälte werden eingeschaltet. Der Ruhrverband, der 2001 seine Kläranlagen an einen US-Investor verkaufte und seitdem zurückmietet, gestand ein, dass er bis jetzt schon 4,5 Millionen Euro "aufgrund notwendiger Umstrukturierungen in der Finanzkrise" bezahlen musste. Auf die Bodensee-Wasserversorgung mit 180 angeschlossenen Gemeinden - sie haben ihr Trinkwassernetz verkauft - kommen sogar "mehr als 10 Millionen Euro" an Kosten zu, berichtet die Stuttgarter Zeitung.

Cross Border Leasing (CBL) hieß der Geheimtipp, der den chronisch klammen Kommunen Geld in die Kassen bringen sollte, wenn sie US-Investoren beim Steuersparen helfen. Es hörte sich damals vor zehn Jahren so schön an wie ein Märchen: Europäische Städte konnten ihre Kanalisationen, Trinkwasser- und Schienennetze, Messehallen, Müllverbrennungsanlagen, auch Schulen an US-Investoren verkaufen. Die bekommen dafür in Gods own Country einen riesigen Steuervorteil, die Städte mieten ihre Anlagen zurück, werden mit einigen Millionen Cash dafür belohnt und können so nebenbei ihre Haushalte sanieren. Kämmerer und Oberbürgermeister flogen frohgemut auf Investorenkosten über den großen Teich und unterzeichneten in Anwaltsbüros an New Yorks Fifth Avenue dicke Verträge. Bei der Rückkehr konnten sie ihren Bürgern strahlend von den Millionen berichten, die sie mit ihrer Cleverness für die Stadtkasse herbeigeschafft hatten.

Etwa 600 Städte und staatliche Unternehmen in Westeuropa haben solche Verträge gemacht, in Deutschland sind es etwa 150. Kein Bereich der öffentlichen Infrastruktur war sicher. Bis 2004, als der US-Kongress das Steuerschlupfloch schloss und neue Verträge verbot, verkloppten Recklinghausen, Ruhr- und Wupperverband, Stuttgart, Bochum, Schwerin und andere ihre Kanalisation an US-Investoren und mieten sie seitdem zurück. In Ulm, Böblingen und Wuppertal ging es um die Müllöfen, in Berlin, Leipzig und Köln um die Messehallen, in Essen und Düsseldorf um das Schienennetz, in zwei Dutzend Städten um die Straßenbahn.

Nun erfahren die Städte, dass das Märchen ein schlechtes Märchen ist. Was den Gutgläubig-Cleveren nicht so genau gesagt wurde: Bei CBL handelt es sich um ein hochkompliziertes Finanzprodukt, eine "strukturierte Finanzierung". Um zu verstehen, wie kompliziert, reicht ein Blick in die Verträge, die mehr als 1.000 Seiten umfassen, nicht ins Deutsche übersetzt wurden und eine strafbewehrte Geheimhaltungsklausel enthalten. Dazu kommt die Vielzahl an Vertragsparteien: Da gibt es den Investor, der für die Abwicklung einen "Trust", also eine Briefkastenfirma in einer Finanzoase gründet, den Treuhänder des Trusts, zwei Darlehensbanken, bei denen die Briefkastenfirma die Kredite in dreistelliger Millionenhöhe aufnimmt, zwei Schuldübernahmebanken, eine Depotbank und ein Versicherungsunternehmen. Alle haben ihre eigenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Anwälte. Und dann gibt es da noch irgendwo die Kommune.

Ähnlich ist es mit der eigentlichen Idee, die stets als ganz einfach angepriesen wurde: Die Stadt verkauft ihre Infrastrukturanlage für 99 Jahre und mietet sie bis zur ersten Kündigungsoption erst mal für 30 Jahre zurück. In Wirklichkeit ist die Stadt vom ersten Tag aus allen Geldflüssen abgekoppelt. Der Kaufpreis - je nach Wert der Anlage zwischen 100 Millionen und 1,5 Milliarden US-Dollar - wurde gar nicht ausgezahlt. Nur 4 bis 5 Prozent davon gingen als einmalige Cashzahlung ("Barwertvorteil") an die Kommune. Der ganze Rest wurde sofort treuhänderisch an zwei Schuldübernahmebanken und eine Depotbank durchgereicht. Die Ersteren sollen namens der Stadt von diesem Geld 30 Jahre lang die Leasingraten an die Briefkastenfirma des Investors auf den Cayman Islands überweisen, damit die Stadt die verkaufte Anlage weiter nutzen kann. Die Depotbank soll aus der ihr übereigneten Summe genug erwirtschaften, damit die Stadt nach 30 Jahren die Anlage zurückkaufen kann.

Als die Verträge abgeschlossen wurden, verbreiteten die Befürworter den Glauben, dass "renommierte" Banken, Versicherungen und Investoren ewig leben. Gleichzeitig aber haben sie sich präzise und gnadenlos gegen jeden möglichen Ausfall abgesichert. So musste die Stadt eine Versicherung eingehen und ist verpflichtet, laufend das Rating des Versicherungsunternehmens zu beobachten und es binnen 90 Tagen zu wechseln, wenn dessen Bonität sinkt. Dutzende CBL-Geschäfte wurden über den größten US-Versicherer American International Group (AIG) abgesichert, der in den Ratings weit abgefallen ist, nachdem die US-Regierung ihn zuletzt mit Steuergeldern vor der Pleite rettete.

Genauso sind die Städte verpflichtet, auch das Rating der drei Treuhänderbanken zu verfolgen. Wenn deren Bonitätseinstufung durch die in den USA lizensierten Ratingagenturen Moodys, Standard & Poors und Fitch sich verschlechtert, müssen die Städte die Bank ebenfalls wechseln. So müssen nun unter anderen die Schweizer UBS, die britische Barclays, die niederländische ING und die hier besonders aktiven deutschen Staatsbanken Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Sachsen Bank, WestLB, BayernLB und Nord/LB ausgetauscht werden. Das sind gerade in der Finanzkrise aufwendige und teure Prozeduren.

Das sind die "Umstrukturierungen", die den Ruhrverband jetzt schon 4,5 Millionen Euro gekostet haben. Das meiste geschieht im Geheimen. Zwar teilten die Städte Wuppertal und Recklinghausen mit, dass sie "den Austausch von Finanzinstituten vorbereiten", aber "Namen und weitere Details entsprechend den vertraglichen Vertraulichkeitsverpflichtungen" nicht nennen dürfen. Die Kämmerer lassen möglichst gar nichts nach außen dringen, andere versuchen zu beruhigen. "Unsere Gelder sind in US-Staatsanleihen angelegt und liegen sicher im Depot der Bank", heißt es verschiedentlich. Wenn das mal keine Illusion ist. Denn bei diesen "strukturierten Finanzierungen" ging und geht es zu wie bei den faulen US-Hypothekenkrediten: Die Darlehens- und Mietforderungen wurden verbrieft und verkauft, auf die Depots wurden Wertpapiere ausgegeben.

Schon 2005 hatten 25 Städte im Deutschen Städtetag eine stille Notgemeinschaft mit dem unauffälligen Namen "Arbeitskreis Cross Border Leasing" gegründet. Da zahlten sie jährlich ein paar zehntausend Euro ein, um sich gegenseitig über "Strategien der Risikovermeidung" auszutauschen. Das reicht jetzt nicht mehr aus, alle müssen nun zusätzliche Berater engagieren. Der "Barwertvorteil" wird aufgezehrt, die Risiken nehmen zu. Die Finanzkrise ist noch nicht zu Ende und die Verträge laufen noch durchschnittlich 20 Jahre.

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