Neuer Coen-Film: Agentenfilm ohne Agenten

Je genauer man bei den Coens hinschaut, desto weniger erkennt man: Mit "Burn After Reading" entwerfen Ethan und Joel Coen die Antithese zum hyperkinetischen Actionkino Hollywoods.

Viel sinnloser Aktionismus - aber trotzdem hat man Spaß im neuen Coen-Film. Bild: promo

Zur Eröffnung von "Burn After Reading", dem neuen Film von Ethan und Joel Coen, stößt die Kamera aus dem Weltraum hinab, direkt in die fluoreszierenden Flure des CIA-Hauptquartiers in Langley, Virginia. Diese Google-Earth-Bewegung wirkt ungeheuer bedeutungsvoll, eine ikonische Einstellung, wie sie in jedem zweiten amerikanischen Spionagefilm vorkommt.

Diesmal aber ist alles halb so wild. Es handelt sich bloß um die Versetzung eines unbedeutenden Analytikers, Sicherheitsstufe 3. Keine große Sache. Eine kurze, furiose Diskussion ("Ich? Ein Alkoholproblem? Fuck, Olsen, du bist Mormone! Neben dir haben wir alle ein Alkoholproblem."), ein wutschnaubender Abgang, dann könnte der Fall eigentlich erledigt sein. In einem Film der Coen-Brüder allerdings geht hier die Geschichte erst richtig los. Denn wie die besten Figuren im Coen-Universum leidet auch Osborne Cox, der geschasste Agent (John Malkovich), unter katastrophaler Selbstüberschätzung.

Aus Rache über seine Abschiebung versucht sich der CIA-Laufbursche an einem Enthüllungsroman, der die Grundfesten der Agency erschüttern soll. Im Anbetracht seiner Sicherheitsbefugnis wäre auch das noch keine Aufregung wert. Als jedoch eine Kopie der Memoiren in die Hände zweier unterbelichteter Fitnesstrainer (Brad Pitt - mit blonden Highlights - und Frances McDormand) fällt, die glauben, aus Cox vermeintlich brisanten Staatsgeheimnissen Geld (für eine Schönheitsoperation!) herausschlagen zu können, herrscht in Washington plötzlich rege Geschäftigkeit. Alle scheinen irgendetwas zu jagen, nur hat niemand den blassesten Schimmer, worum es eigentlich geht. Am allerwenigsten die CIA selbst.

Als ihre Antwort auf die Jason-Bourne-Trilogie hatten die Coens "Burn After Reading" nach der Premiere in Venedig bezeichnet. Man könnte auch sagen, dass ihr Film die Antithese zum hyperkinetischen Actionkino Hollywoods an sich darstellt. Denn während die Bourne-Filme in ihrer ungeheuren Verdichtung von Ereignissen dem Zuschauer kaum noch Zeit zur Verarbeitung visueller Eindrücke lassen, verhält es sich mit "Burn After Reading" genau umgekehrt. Die Figuren verfallen permanent in sinnlosen Aktionismus, aber eigentlich passiert überhaupt nichts. So verweist auch die Eröffnungseinstellung, der Zoom aus dem Weltraum, in letzter Konsequenz bloß auf die Evidenz der Heisenbergschen Unschärferelation. Je genauer man bei den Coens hinschaut, desto weniger erkennt man. Es ist die wohl frustrierendste Kamerafahrt der jüngeren Filmgeschichte.

Nach ihrem Oscar-gekrönten Neo-Western "No Country for Old Men" sind Ethan und Joel Coen also auf vertrautes Terrain zurückgekehrt. War das Unvermögen ihrer Figuren, die eigene Situation zu begreifen, in "No Country for Old Men" noch ein Segen, gerät ihre schockierende Ahnungslosigkeit in "Burn After Reading" zur Farce. Das verzweifelte Ringen um Kontrolle ist eine Konstante im Werk der Coens; in "Burn After Reading" wird die Kontrolle nun selbst zum Thema. Und da alle Figuren entweder Volltrottel sind oder selbstverliebte Narren, bleibt die einzig angemessene Reaktion auf die Erkenntnis ihres fundamentalen Mangels: Paranoia. Die Vernunft des kleinen Mannes. George Clooney, hier als schwanzgesteuerter Mitarbeiter des Finanzministeriums, der heimlich Cox Frau (Tilda Swinton) vögelt, hat sich in den Filmen der Coen-Brüder diesen beschränkten Charakter inzwischen mit einer reichen Sammlung von Tics zu eigen gemacht. In "Oh Brother Where Art Thou" rief er vor einigen Jahren noch das 'Zeitalter der Vernunft' aus. Nun ist es John Malkovich, der in einer seiner großartigen, fast musikalischen Fluchkaskaden eine neue Schwundstufe der Menschheitsgeschichte erkannt hat: das Zeitalter der Idiotie.

Natürlich kann man wie immer mokieren, dass die Coens auch in "Burn After Reading" ihr Exempel an den schwächsten Geistern statuieren. Ihre Filme sind mit Karikaturen bevölkert, nicht mit lebendigen Charakteren. Oder anders gesagt: Die Coens treten gerne mal nach, wenn der andere schon am Boden liegt. Clooney und Malkovich können aus ihren Figuren noch am meisten herausholen. Pitt, McDormand und Swinton bleiben dagegen weit unter ihren Möglichkeiten. So findet das demonstrative Achselzucken der CIA-Oberen erneut als oberstes Erzählprinzip der Coens Bestätigung - und wird im aberwitzigen Schlussdialog, der allein das Eintrittsgeld wert ist, dann beinah noch in den Stand einer philosophischen Betrachtung erhoben. Keiner kann erklären, was passiert ist, aber es wird nicht wieder vorkommen. Gelernt haben sie alle miteinander trotzdem nichts. Die Coens aber haben mit "Burn After Reading" ihrem Gesamtwerk ein weiteres schönes Paradox hinzugefügt: einen Agentenfilm ohne richtige Agenten.

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