Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn: Von der Zone in die Sphäre

Kein DDR-Bürger reiste höher als er: Vor 30 Jahren startete Sigmund Jähn als erster Deutscher ins All - und ist bis heute eine Ikone für seine Heimat.

Ins All samt Kommunistischen Manifest: Sigmund Jähn. Bild: dpa

Ankunft: Sigmund Werner Paul Jähn wurde am 13. Februar 1937 in Morgenröthe-Rautenkranz im Vogtland geboren.

Abflug: Jähn machte nach einer Buchdruckerlehre bei den Luftstreitkräften der DDR Karriere, studierte dort und wurde 1976 zum Kosmonauten ausgebildet. Der Diplom-Militärwissenschaftler flog 1978 als erster Deutscher ins All. Zurück auf der Erde, stieg Jähn bis zum General auf. Später war er auch für die Europäischen Weltraumbehörde tätig. Heute lebt er im brandenburgischen Strausberg.

Touristischer Heldenausbeutung wird man in Morgenröthe-Rautenkranz nicht begegnen. An den berühmtesten Sohn der sächsisch-vogtländischen Gemeinde erinnern lediglich eine versteckte Stele, ein vorm Bahnhof aufgebocktes Jagdflugzeug vom Typ MiG-21 und ein nüchterner Museumsbau. Morgenröthe-Rautenkranz ist die Heimat von Sigmund Jähn, erster Fliegerkosmonaut der DDR, erster Deutscher im All. In der MiG drehte er seine Runden, bevor es noch höher hinausging für ihn.

Am 26. August 1978, 15.51 Uhr, steigt Jähn im Raumschiff Sojus 31 an der Seite des Russen Waleri Bykowski ins All auf. Nach neun Minuten erreicht er die Umlaufbahn, nach 18 Erdumrundungen dockt er mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Kilometern pro Stunde an die Raumstation Saljut 6 an, eine Luke geht auf, "und du siehst die beiden Männer wieder, die du ein Vierteljahr vorher auf der Erde verabschiedet hast", beschreibt Jähn das Rendezvous drei Jahrzehnte später.

Die sowjetischen Kosmonauten Wolodja Kowaljonok und Sascha Iwantschenkow erwarten die beiden Weltraumreisenden in den Weiten des Alls mit Brot und Salz. Jähn hat Marx "Kommunistisches Manifest", Goethes "Faust" und einen DDR-Bildband bei sich sowie einen Sandmann, den die Stammbesatzung der Station später mit ihrer Puppe Mascha vermählt.

An Bord muss Jähn ein straffes wissenschaftliches Programm absolvieren. Hat er Zeit, blickt er aus dem Fenster. Die Schilderung, die er in seinem Buch "Erlebnis Weltraum" davon gibt, liest sich wie eine Szene aus Stanislaw Lems "Solaris": "Nicht nur, dass wenige Tage vor dem Start eigenartige senffarbene Wolken aufgetaucht waren und kurz nach dem Überflug des Bermudadreiecks sonderbare blaue Blitze aufleuchteten, nein, nicht genug damit, es boten sich uns auch noch einzigartige Bedingungen für die Polarlichtbeobachtung. Die geheimnisvoll anmutenden Bewegungen dieser grauen Wände, die sich plötzlich zu riesigen Säulen, Bögen und Schleiern formten und sogleich wieder zusammenfielen, erzeugten in mir den Eindruck, überdimensionalen Märchenspielen beizuwohnen."

Nach knapp acht Tagen kehrt Jähn als Superstar der DDR auf die Erde zurück. Das Land jubelt über den Punktsieg im interstellaren Wettrüsten und holt sogar das vier Jahre zuvor entsorgte Konzept der gemeinsamen Nation aus der Kiste: Jähn wird ganz offiziell als erster Deutscher im All gefeiert. An der Seite der Staatsführung absolviert er Triumphzüge, Menschenmassen stehen Spalier. Jähn bleibt bescheiden. "Ich war nie ein Superheld", sagt er.

Der Westen tut sich schwer mit dem Griff der DDR nach den Sternen. Eine Tageszeitung schreibt damals: "Zum ersten Mal wird im Weltall Deutsch gesprochen, wenn auch mit sächsischem Akzent, was die Sache gleich wieder etwas ins Komische zieht. Der erste richtige Deutsche soll schließlich erst 1980 mit einem amerikanischen Spacelab-Raumschiff in den Weltraum fliegen."

Der heißt Ulf Merbold, bricht erst 1983 ins All auf - und ist Vogtländer wie Jähn, aufgewachsen in Greiz, gleich um die Ecke von Morgenröthe-Rautenkranz. Jähn und Merbold begegnen sich erstmals 1984 in Österreich und lernen sich schätzen. Im November 89 sind die beiden gemeinsam auf einer Konferenz im saudi-arabischen Riad. Den Mauerfall verfolgen sie nebeneinander sitzend in einem Hotelzimmer am Fernseher.

Später setzt sich Merbold dafür ein, dass Jähn im europäischen Raumfahrtprogramm weiterarbeiten kann. Jähn kehrt nach der politischen Wende als Berater für die Raumfahrtagentur ESA zurück ins Sternenstädtchen Swjosdny Gorodok bei Moskau, verbringt oft den größten Teil des Jahres dort. Nach Morgenröthe-Rautenkranz kommt der inzwischen 71-Jährige oft, aber nur noch auf Besuch. Er wohnt inzwischen in Strausberg bei Berlin.

Jähns kosmische Aktivitäten haben seinem Geburtsort ein Museum beschert. Die Deutsche Raumfahrtausstellung zeigt hier Weltraumerinnerungen, Schautafeln, Technik und ein begehbares Modul der Raumstation MIR. Auf dem Freigelände nebenan stehen verwitterte Parabolantennen herum - ein Jurassic Park der Funktechnik.

Den Eingang zur Ausstellung ziert ein Bronzerelief mit den Gesichtern von Sigmund Jähn und seinem Kommandanten Waleri Bykowski. Ihre Nasen sind blank poliert - Segensabrieb kosmischen Glücks durch die Fingerkuppen der Museumsbesucher. Auf Mülleimern steht "Space", im Fenster eine Vase in Form einer Lavalampe. Die Raumfahrt hat der Welt das wunderlichste Gebrauchsdesign beschert. Im Museumsshop gibt es Jähn und seine Kollegen als erzgebirgische Räuchermännchen zu kaufen. Der kosmische Pop ist längst in der Folklore angekommen.

Eine Schulklasse läuft an Satellitennachbildungen und Sonnenflügeln entlang durch die Ausstellung. Kurze Frage in die Runde: "Wisst ihr, wer Sigmund Jähn war?" "Ich glaube, er ist aus diesem Ort hier und war der erste Astronaut", antwortet als Einziger ein Neunjähriger. Ein böser, später Sieg des Klassenfeindes.

Zwei Raumanzüge erzählen vom Systemwettstreit: In einer Vitrine ein orangefarbener sowjetischer, Modell SK 1, ausgefüllt von einer Juri Gagarin nachempfundenen Figur, überlebensgroß, von einer angstmachenden, wächsernen Blässe, mild lächelnd. Auf der anderen Seite der stylische Mercury-Druckanzug des Amerikaners John Glenn: silbern glänzend, eine UV-Strahlen reflektierende Designbotschaft ins dunkle All, dem sowjetischen Skaphander modisch klar überlegen.

Im zweiten Geschoss die kosmische Garderobe: Druckausgleichshosen, Bordkleidung, Anzüge für Außenmissionen. Mittendrin ein vielleicht dreißig Jahre alter Müsliriegel, ein schwarzbrauner Barren, in dickes Cellophan eingewickelt. Auf einer Schautafel über die "nachgenutzte Raumfahrttechnik" ist zu erfahren, dass Müsliriegel ein Produkt der Raumfahrt sind. Daneben liegt eine Tube Kaffee.

Dass Jähn ein Popstar der ostdeutschen 60-plus-Generation ist, wird klar, als er vorm Ausstellungsgebäude auftaucht. Eine Rentnergruppe erkennt ihn und nimmt ihn unverzüglich mit Digitalkameras und Autogrammwünschen in die Zange. Später erzählt er, dass er inzwischen sogar Umwege durchs Dorf gehe, um auf dem Weg zum Museum nicht aufgehalten zu werden. Der Trubel ist Jähn peinlich. "Wenn man vor dreißig Jahren mal in den Weltraum geflogen ist, muss man nicht jeden Tag noch einen Höhenflug für sich daraus machen", sagt er, steigt in einen silbergrauen Wagen und fährt winkend davon.

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