Prostitution in China: Die Stadt der Konkubinen

Vor dreißig Jahren war Shenzhen noch ein Fischerdorf. Heute ist es nicht nur Chinas reichste Stadt, sondern auch die Hauptstadt der Prostitution.

Shenzhen verändert sich. Ganz offensichtlich. Bild: reuters

SHENZHEN taz Moderne Hochstraßen schlängeln sich elegant zwischen glitzernden Bürotürmen und prunkvollen Appartmentblocks. Die vielen Hügel dazwischen sind mit dichten Palmen, Bambus und anderem subtropischem Grün bewachsen. Für chinesische Verhältnisse fließt der Verkehr in Shenzhen auffällig zügig. Und nicht einmal die kleinen Nebengassen sind verschmutzt, wie es sonst in asiatischen Städten üblich ist.

Prostitution hat in China eine lange Tradition und war weit verbreitet. Zwar galt das Gewerbe unter der Herrschaft von Mao offiziell als weitgehend beseitigt, doch boomt das Gewerbe seit der Öffnung Chinas wieder. Auch männliche Prostitution nimmt rasant zu, macht aber im Vergleich zur weiblichen Prostitution gerade mal ein Zwanzigstel aus.

Unterschieden wird das Gewerbe vor allem in vier Kategorien: Frauen agieren als Zweitfrauen von reichen Männern und haben das Ziel, zur richtigen Ehefrau zu werden. Frauen vollführen sexuelle Handlungen mit Männern in Karaoke-Bars, in Teehäusern oder Massagesalons. Frauen werben auf der Straße um Freier. Oder Frauen verkaufen Sex an durchreisende männliche Arbeiter vom Land.

Die Prostitution hat inzwischen einen großen Anteil an der chinesischen Wirtschaft. Sie beschäftigt nach Schätzungen 10 Millionen Menschen und trägt mit rund einer Billion Renminbi (100 Milliarden Euro) zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Shenzhen gilt mit über 220.000 SexarbeiterInnen als Hauptstadt der Prostitution.

Noch keine 30 Jahre alt ist die südchinesische Metropole vor den Toren Hongkongs, die bislang als Moloch galt, in dem frühkapitalistische Zustände herrschen. Shenzhen war lange Zeit für seine ungezählten Fabrikanlagen, seine Baustellen und hässlichen Satellitenstädte bekannt, doch heute erscheint die Stadt erstaunlich sauber und gepflegt. Und noch etwas fällt auf: Auf den Straßen, in den Bussen und in der U-Bahn laufen auffällig viele modisch gekleidete, gut aussehende junge Menschen herum. "Wir können davon ausgehen, dass die meisten von ihnen mit dem Sex-Business zu tun haben", sagt Leui Cheong von Midnight Blue, einer Organisation aus Hongkong, die sich speziell um Sexarbeiter kümmert. Denn Shenzhen ist heute nicht nur Chinas modernste und wohlhabendste Stadt. Sie ist auch die Hauptstadt der Prostitution.

Rund 10.000 männliche und über 200.000 weibliche Prostituierte leben und arbeiten in Shenzhen. Angesichts der insgesamt zwölf Millionen Einwohner mag diese Zahl auf den ersten Blick nicht groß erscheinen. Absolut gesehen sind es dennoch so viele Sexarbeiter, dass sie im Stadtbild nicht zu übersehen sind - in Deutschland würden sie alle zusammen genommen eine Großstadt ausmachen. Und so ist in der südchinesischen Metropole in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Wirtschaftszweig entstanden, der weltweit seinesgleichen sucht: Bordelle firmieren hier als Nachtclubs oder Karaokebars, in Massagesalons wird einiges mehr massiert als nur der Nacken, der Rücken oder die Waden. Und wer hier einen Friseursalon betritt, der darf sich nicht wundern, wenn außer einer Haarschneiderin sich noch drei weitere junge Frauen um das Wohl der zumeist männlichen Kunden bemühen. Selbst in Kaufhäusern ist es nicht ungewöhnlich, zwischen den Kleiderstangen freundlich aber eindringlich "Dienste" angeboten zu bekommen. Auch die Rotlichtzonen erstrecken sich bei weitem nicht nur über ein oder zwei Straßenzügen wie in anderen Städten üblich. Das Viertel Shangsha gilt als Wohnort der so genannten Zweit- oder auch Langzeitfrauen, im Ortsjargon daher auch "Konkubinendorf" genannt, Huang Beiling und Xiasha sind für ihre Ausgehkneipen bekannt, wer männliche Begleitung sucht, wird in Buji fündig. Und in Buxin und Shawan wimmelt es ebenfalls nur so an Salons, Spa-Einrichtungen, Bars und Stundenhotels. Trotz I-Pod-City, Elektronikriesen wie Huawei, Xunlei oder ZTE - die Freier sind Shenzhens größter Arbeitgeber.

Cathy Song ist eine der 200.000 jungen Frauen, die ihr Leben mit Sex-Arbeit bestreitet. Sie sitzt in einem Schnellrestaurant und isst Wassermelone. "Melone ist gut für die Haut", sagt sie. Und das sei in ihrem Job wichtig. Seit sechs Jahren lebt sie in der Stadt. Von festem Einkommen und geregelten Arbeitszeiten spricht sie. Mit 1.400 Renminbi (rund 140 Euro) verdiene sie mehr als in einer Fabrik. Dort habe sie gearbeitet, als sie mit 16 nach Shenzhen kam. Nun ist sie in einer festen "Service-Einrichtung" tätig. Mit 22 gilt sie für ihre Branche bereits als alt. Sie konzentriere sich deswegen darauf, den Mann ihres Lebens zu finden. "Wo sonst habe ich die Gelegenheit, auf wohlhabende, reiche Männer zu stoßen?", fragt sie. Es gebe wahrlich schlimmere Jobs. "Wenn mal tagsüber nicht so viel los ist, dürfen wir auch die Karaokebar nutzen."

Shenzhen ist eine der ersten Sonderwirtschaftszonen Chinas, die in den frühen 80er Jahren von Chef-Reformer Deng Xiaoping dem Weltmarkt überlassen wurde. Damals war die Stadt noch ein Fischerdorf. Doch schnell siedelten sich die ersten Produktionsstätten von Textilien, Spielzeug und Elektronik an. 1990 hatte Shenzhen bereits 3.000 Betriebe. Neben einer runden Million offiziell registrierter Einwohner lebten damals 2,5 Millionen Wanderarbeiter in der Stadt, die ohne offizielle Aufenthaltserlaubnis und damit auch ohne Anspruch auf Sozialleistungen zu Hungerlöhnen ihre Arbeitskraft anboten. Schnell gesellten sich auch andere Dienstleitungen dazu. Heute zählt die Stadt mit zwölf Millionen Einwohnern doppelt so viele Menschen wie das benachbarte Hongkong. Acht Millionen von ihnen sind Wanderarbeiter - viele von ihnen in der Sexbranche tätig.

"Eigentlich waren wir nur in Hongkong aktiv", erzählt Leui von der Initiative Midnight Blue, die sich auf Aidspräventionsarbeit spezialisiert hat. "Doch als in der ehemaligen Kronkolonie binnen kurzer Zeit die Aids-Rate rapide angetiegen war, wussten wir: Nicht in Hongkong haben sich die meisten Betroffenen den Virus zugezogen, sondern in Shenzhen." Seit 2004 setzt sich Leui regelmäßig in den Zug und versucht die Prostituierten in Shenzhen zu erreichen. Er läuft die Clubs ab, spricht die Jungs und Mädchen auf dem Straßenstrich an oder stellt sich vor die Appartmenthäuser, in denen die Zweitfrauen wohnen, und verteilt Aufklärungsbroschüren. "Ein sehr harter Job", sagt Leui. "Es sind einfach zu viele."

Li Hong war zwei Jahre im "Sex-Business" tätig. Reiche Ehefrauen aus Hongkong, die sich langweilten und für ein Nachmittag mal schnell in die Schnellbahn setzten, schwule Geschäftsleute aus Japan, die hier unerkannt ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben konnten, aber auch viele Amerikaner und Europäer hat er zu seinen Kunden gezählt. "Ich wusste anfangs gar nicht, worauf ich mich einlasse", erzählt er. Er habe einfach eine Menge Geld gesehen, die er sich auf anderen Wegen nie hätte erarbeiten können. "Ich verdiente an manch einem Tag mehr als meine Eltern im ganzen Jahr." Erzählt hat er ihnen nie davon. "Das macht hier keiner." Nun arbeitet er als Wachmann in einem Fünfsternehotel.

Prostitution ist in China offiziell verboten. Während es in anderen Städten auch immer wieder zu Polizeirazzien kommt und Clubs geschlossen werden, bleiben die Tausenden von Einrichtungen in Shenzhen aber seit Jahren unbehelligt. Das vor allem weit verbreitete Konkubinat ist ohnehin nur schwer zu verbieten. Zudem gelten selbst bei vielen Parteiangehörigen Zweitfrauen als Statussymbol. Und schließlich ist die Prostitution ein so bedeutender Wirtschaftszweig, dass sie in Shenzhen nicht nur weitgehend von den Stadt- und Provinzbehörden geduldet wird. Ende der 90er Jahre wollte ein hoher Parteifunktionär sogar eine Einkommenssteuer für Prostituierte einführen. Die Zentralregierung stoppte das Ansinnen mit der plausiblen Begründung, dass man nichts besteuern könne, was offiziell verboten ist.

Im Stadtviertel Xiasha wird gerade ein Nachtclub abgerissen. Nicht, weil der Staat ihn geschlossen hat. Der Besitzer will einen neuen Club errichten mit Spa, Karaoke und einem Fitnesszentrum. Noch größer, noch pompöser und mit einer noch größeren Auswahl an jungen Frauen und Männern, heißt es in einer Werbebroschüre. Ein Casino soll außerdem in dem neuen Club entstehen. Dabei ist auch das Glücksspiel in China eigentlich verboten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.