Der nette Senator von nebenan

REGIERUNG Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ist laut Umfrage der zweitbeliebteste Politiker Berlins. Kein Wunder: Mit dem Flughafenchaos hat er nichts zu tun – und selbst die Opposition lobt ihn

„Czaja verkörpert einen lösungsorientierten Politikertyp“

RAMONA POP, GRÜNE

VON MARINA MAI

Mario Czajas Handy klingelt, als er in seinem Büro der taz-Autorin gegenübersitzt. Der Senator lächelt und entschuldigt sich. „Da muss ich rangehen. Das ist mein Chef Frank Henkel.“ Berlin hat gerade eine Flughafenkrise, die Senatskollegen müssen sich absprechen. Kein Grund für Czaja, mit 37 Jahren jüngstes Mitglied der Landesregierung, auf Höflichkeit und Kinderstube zu verzichten.

Schrottimmobilien, Flughafenchaos, NSU-Affäre: Nach einem guten Jahr ist Rot-Schwarz mehr als angeschlagen. An CDU-Gesundheits- und Sozialsenator Czaja hingegen ist das alles abgeprallt. Sein bisher heikelstes Thema war das Krisenmanagement um Keime in der Neugeborenenstation der Charité. Dafür bekam er sogar Lob von der Opposition. „Czaja verkörpert einen jüngeren, sachlichen und lösungsorientierten Politikertyp, der mit den alten Gräben nichts mehr zu tun hat“, erkennt die grüne Fraktionschefin Ramona Pop an. Und Regina Kittler, die für die Linke Czajas Hellersdorfer Nachbarwahlkreis gewann, ergänzt: „Er pflegt seinen Wahlkreis. Im Wahlkampf hat er mit dem Straßenausbau-Beitragsgesetz ein Thema besetzt, das den Leuten dort wichtig ist.“

Für einen Berliner Abgeordneten eher ungewöhnlich, betreibt Czaja schon seit Jahren ein Wahlkreisbüro in Mahlsdorf. Dort kümmert man sich um Bürgeranliegen und vermarktet den CDU-Mann. Grenzwertig findet Regina Kittler indes mitunter die Verquickung von Czajas Wahlkreisarbeit mit der Wirtschaft. So habe er im Wahlkampf zu einem Familienfest eingeladen, das vom Entsorger Alba gesponsert wurde – und dabei kräftig für Alba geworben.

Als die Mauer fiel, war Czaja 14 Jahre alt. Für ihn folgten „stürmische Jugendjahre“, wie er es heute nennt. Er brach das Gymnasium ab – was er heute als Fehler bezeichnet –, kellnerte, verbrachte viel Zeit in Clubs, fand schließlich über die katholische Jugendarbeit zur Jungen Union (JU) und lernte Versicherungskaufmann.

Verfolgt von Feldjägern

1997, da war er bereits kommunalpolitisch aktiv, wurde er wegen Fahnenflucht zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar eine Bewährungsstrafe gefordert, weil Czaja den Wehrdienst trotz mehrfacher Aufforderung nicht angetreten hatte und die Feldjäger ihn bis ins Rathaus Hellersdorf verfolgen mussten. Ein so laxes Verhältnis zum Waffendienst mag für einen CDUler ungewöhnlich erscheinen; für jemanden, der in der katholischen Kirche der DDR sozialisiert wurde, war es das aber nicht unbedingt.

Seit 1999 sitzt der CDUler im Abgeordnetenhaus. Mit Ausnahme von 2001, als er Gregor Gysi (Linke) unterlag, gewann er seinen Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 5, der Kaulsdorf-Süd und Mahlsdorf umfasst, direkt – obwohl die CDU hier eigentlich nichts zu melden hat: Mit 34 (2006) und 42 Prozent (2011) fuhr der Kandidat rund dreimal so viele Erststimmen ein wie seine Partei Zweitstimmen.

Czajas Wahlkreis ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was sich die Westberliner meist unter Marzahn vorstellen: Einfamilienhaus-Siedlungen zwischen idyllischen Seen und Feuchtbiotopen. Die Wuhle schlängelt sich mittendurch. Czajas Familie ließ sich hier unmittelbar nach Kriegsende nieder. „Mein Großvater wurde in der Innenstadt ausgebombt und floh in seine Laube“, erzählt der Senator. Wenn er, der im Dezember seine Lebensgefährtin geheiratet hat und im April das erste Kind erwartet, von seiner Familie erzählt, ist er kaum zu bremsen. Man erfährt, dass Großvater Czaja wie viele Nachbarn ein Haus aus der Laube machte: „Immer wenn Material da war, wurde ein neues Zimmer angebaut.“ In den 80er Jahren bekamen Czajas Eltern dann ein Ausbauhaus vom Staat. Ausbauhaus? So nannten die DDR-Behörden abrissreife Häuser, die man mit viel Eigenleistung und Organisationsgeschick bewohnbar machen musste. „Gewünscht hätten sie sich eher eine Plattenbauwohnung mit fließend Warmwasser und Heizung.“

Wer im Siedlungsgebiet wohnte, war meist nicht privilegiert: S- und U-Bahn waren weit weg, viele Straßen verfügten noch nicht über Anschluss an die Kanalisation. Erst in den letzten Jahren der DDR begann sich das zu ändern. Dafür kannten sich die Nachbarn, bedingt durch den dörflichen Charakter. Die familiäre Verankerung ist aus Czajas Sicht ein wichtiger Faktor für seine ersten Wahlerfolge: „Manchmal höre ich, die Czaja-Familie kennen wir schon so lange, so schlecht kann der nicht sein.“

Ein weiterer Faktor für den Erfolg des Jungpolitikers: „Ich habe frühzeitig die Themen im Siedlungsgebiet aufgegriffen: Kanalisation, Straßenbefestigung, Verhinderung der Kostenexplosion.“ Diese Themen lagen brach, denn die damalige PDS im Bezirk habe sich vor allem um die Sorgen der Plattenbaubewohner im Bezirk gekümmert. Dabei arbeitete Czaja schon in den 90ern ganz selbstverständlich mit PDSlern zusammen – in der CDU damals noch ein Tabu. Aber aus der PDS kamen ein Tiefbauingenieur und andere Fachleute in den Arbeitskreis, den Czaja im Siedlungsgebiet gegründet hatte. Sollte der Schulabbrecher die Fachleute nach Hause schicken?

„Die BVV-Fraktion der CDU, der ich seit 1995 angehörte, schloss mich 1999 wegen meiner Zusammenarbeit mit der PDS in Sachen Kanalisation aus“, erzählt Czaja. Als der damalige CDU-Finanzsenator Elmar Pieroth versuchte, einen Fuß in die linke Hochburg Hellersdorf zu bekommen und sich mit Petra Pau zum Gespräch aufs Sofa setzte, gehörte Czaja mit anderen JUlern zu den Sofaträgern. „Erst als ich das Direktmandat gewonnen hatte, versöhnten wir uns wieder.“

Bei den Christdemokraten ist der smarte Czaja längst nicht mehr der Exot aus kurz vor Sibirien, auch wenn viele Parteifreunde aus den westlichen Außenbezirken seinen pragmatischen Umgang mit Linken bis heute nicht verstehen. Praktisch ist er nach Innensenator Frank Henkel die Nummer zwei in der Berliner CDU – obwohl er kein Amt im Landesvorstand bekleidet und es der Partei und ihrer Lobby nicht immer leicht macht.

Streit mit Bezirksfürsten

Im Streit um Flüchtlingsunterkünfte legt er sich mit den Bezirksfürsten der schwarzen Hochburgen Steglitz-Zehlendorf und Reinickendorf an, die diese Einrichtungen bei sich gerne verhindern würden. Und im Streit um die Verteilung der Arztpraxen innerhalb Berlins hatte er abzuwägen zwischen den Interessen der mächtigen Fachärztelobby und denen der Patienten in den mit Fachärzten unterversorgten Ostbezirken und Neukölln. Er entschied sich für die Patienten. Das Gesetz, für das Czaja sich stark machte, regelt nun, dass künftig bei der Aufgabe von Praxen neue vor allem in unterversorgten Gebieten entstehen.

Die einzige große Scharte in Czajas Biografie lag vor seiner Senatorenzeit. 2006 deckten Medien auf, dass er sich im Abgeordnetenhandbuch und auf seiner Homepage als „Diplom-Ökonom“ ausgab. Den Abschluss hatte er allerdings an der Freien Universität Teufen/St. Gallen in der Schweiz erworben, die als Titelmühle gilt und deren Abschlüsse in Deutschland nicht als akademische Grade anerkannt sind. Als die Vorwürfe bekannt wurden, räumte Czaja den Fehler ein und legte die Mitgliedschaft im Wissenschaftsausschuss nieder. Anschließend absolvierte er ein Wirtschaftsstudium an einer Brandenburger Hochschule.