Nichtraucherschutz in Berliner Gaststätten: Raucher außer Kontrolle

Die Schonfrist für Raucher ist vorbei - theoretisch. Zwar soll seit 1. Juli der Nichtraucherschutz durchgesetzt werden, doch das Personal fehlt. Einige Bezirke verzichten komplett auf Kontrollen in Gaststätten, andere werden nur nach Beschwerden aktiv.

In Berlin wird weiter kräftig inhaliert Bild: AP

Die Berliner rauchen in vielen Kneipen weiter - auch nachdem bei Verstößen gegen das Rauchverbot seit dem 1. Juli eigentlich Bußgelder fällig werden. Denn in der Realität haben kaum ein qualmender Gast und kaum ein rauchtoleranter Wirt etwas zu befürchten: Dafür gibt es einfach viel zu wenige Kontrollen. Beim Nichtraucherschutz nimmt der rot-rote Senat sich selbst nicht ernst - flächendeckende Kontrollen, die allein das Verbot hätten durchsetzen können, waren von Anfang an nicht vorgesehen.

Mehringdamm, 1 Uhr morgens: kein Rauch, keine Kundschaft. Ein einziger Gast zischt an der Bar noch ein Pils. Der Wirt spült ein paar große Biergläser ab. Der 42-Jährige nimmt das Verbot sportlich: "Ich hab heute mal wieder aufgehört zu rauchen", erzählt er. "Vielleicht erleichtert mir das Gesetz das ja auch." In seiner Traditionskneipe herrscht absolutes Rauchverbot. "Wir haben hier große Fenster, da können wir nichts riskieren", erklärt der Kneipier und holt einen Zeitungsartikel hervor, der die Problematik erörtert. Im Januar hat er das Gesetz schon einmal für vier Wochen durchgesetzt. Das hatte Folgen: Der Umsatz brach um mehrere tausend Euro ein. "Im Sommer fängt die Terrasse das ab", hofft der Wirt. "Aber ich glaube, dass das Rauchverbot Arbeitsplätze kosten wird." Ihm bleibt nur ein bittersüßer Trost: Ein Besucher habe sich schon über das Rauchverbot gefreut und sich bei ihm bedankt. "Ein einziger!"

Bergmann-Kiez, 2 Uhr: Der Wirt versteht die Welt nicht mehr. "Wenn ich eine rauchen will, muss ich aus meinem eigenen Laden rausgehen, um den Kellner - also mich selbst - zu schützen." Das sei absurd. In der Traditionskneipe ist alles wie immer: Bier fließt, Softrock dudelt. Und: Es wird geraucht. Wirt und Stammgäste haben sich verschworen - sie fühlen sich sicher. "In diesen historischen Gewölben wurde seit 1870 geraucht", weiß Stammgast Michael. Ganz klar: Es geht um ein Stück Kiezkultur. Für Restaurants, da sind sich alle einig, sei das Verbot sinnvoll - aber nicht für Einraumkneipen. "Hier kommen keine Schwangeren hin und trinken Tomatensaft", meint der 27-Jährige. Bald könnte das Ordnungsamt aber für dicke Luft sorgen. Sollte die Einhaltung des Gesetzes hart kontrolliert werden, meint der Wirt, dann "wird das rigoros umgesetzt". Bis dahin stellt er drinnen Aschenbecher auf.

Bergmannstraße, 2.30 Uhr: Draußen wird gequalmt, drinnen wird gequalmt. Einer pafft nicht mit: "Ich bin Nichtraucher, ich soll geschützt werden", jammert der Wirt zur Unterhaltung seiner Gäste - denn von dem Rauchverbot hält der 43-Jährige wenig. "Ich brauche keinen, der mich beschützt, ich habe mir diesen Job ausgesucht." Die meisten Kellner in der Bar, in der um diese Zeit Metal läuft, rauchen selbst. Sie fürchten Umsatzrückgänge - und um ihren Job. Doch zunächst hat das Lokal von dem Gesetz profitiert. Als Anfang Januar die ersten Bars der Umgebung das Verbot umsetzten, war der Laden rappelvoll. "So viele Leute habe ich hier noch nie gesehen", berichtet Stammgast Bob, die Tabakdose vor sich. "Die Luft war sogar mir als Raucher zu stickig." Drinnen schreitet der Wirt zur Tat: "Obwohl hier ja nicht geraucht wird", sagt er zwinkernd, "muss ich jetzt doch mal die Aschenbecher auswechseln." FB

Eigentlich müssen die Bezirke das Rauchverbot durchsetzen. Dafür - und für die Überwachung der neuen Umweltzone - brauchen sie Mitarbeiter. Doch der Senat gestand den Bezirken nur 88 zusätzliche Stellen zu - die vorwiegend aus dem Stellenpool besetzt werden sollen. Darin sind rund 7.000 Mitarbeiter des Landes verzeichnet, deren bisherige Stellen nicht mehr benötigt werden. Doch geeignetes Personal war kaum im Pool. Bislang haben nur 43 Mitarbeiter ihren Dienst angetreten. Weitere werden noch umgeschult.

Und so boykottieren Spandau und Neukölln das Rauchverbot: ohne Mitarbeiter keine Kontrollen. Andere Bezirke wie Mitte und Pankow verzichten auf Kontrollgänge. Sie werden nur dann tätig, wenn sich Kneipengäste beschweren. "Wir haben 3.200 Gaststätten im Bezirk, wir wissen gar nicht, wo wir mit den Kontrollen anfangen und wo aufhören sollen", meint der Wirtschaftsstadtrat von Mitte, Joachim Zeller (CDU). Von den sechs versprochenen neuen Mitarbeiter hat er erst drei bekommen - und die können erst eingesetzt werden, wenn ihre Schulung abgeschlossen ist.

Bis alle 88 Mitarbeiter im Dienst sind, kann es nach Auskunft der Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke) noch zwei bis drei Monate dauern. Sie selbst sieht auch gar keinen Grund dafür, den Nichtraucherschutz flächendeckend zu kontrollieren. Denn nach ihrer Beobachtung werde das Gesetz breit umgesetzt - das entspricht allerdings eher Lompschers politischem Wunsch als der Realität. Lediglich in Restaurants ist der Nichtraucherschutz wirklich akzeptiert - die meisten Gäste freuen sich darüber, rauchfrei essen zu können. Zum Bier in der Kneipe gehört dagegen für viele die Zigarette nach wie vor dazu.

Vielleicht werden aber auch gar nicht so viele zusätzliche Ordnungsamtsmitarbeiter gebraucht - denn voraussichtlich bis Ende Juli wollen die Verfassungsrichter in Karlsruhe über mehrere Klagen gegen die Rauchverbote entscheiden, darunter auch über die Klage von Sylvia Thimm, der Wirtin des "Doors" in Prenzlauer Berg.

Die Berliner Industrie- und Handelskammer fordert bereits, das Rauchverbot bis zu der Entscheidung auszusetzen. Ohne eine abschließende Klärung der Rechtmäßigkeit des Gesetzes mache es keinen Sinn, dass die Bezirke mögliche Verstöße sanktionieren, findet der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer Christian Wiesenhütter. Auch das Verfassungsgericht Berlins entscheidet noch über eine Klage gegen das Rauchverbot.

Unbeeindruckt von den Diskussionen wurde unterdessen in der Uckermark die diesjährige Tabakernte gestartet: Nach langer Trockenheit begannen die Arbeiter bei hochsommerlichen Temperaturen damit, 60 Hektar Virgin-Tabak zu ernten.

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