Forscherin über Islamunterricht: "Islamlehrer sind oft überfordert"

Erste Unis bilden islamische Religionslehrer aus. Ein richtiger Schritt, meint Islamforscherin Irka Mohr - denn viele Lehrer könnten auf die realen Probleme der Schüler mit dem Islam nicht eingehen.

Viele Lehrer wissen nicht, wie sie praktische Fragen zum Islam verhandeln sollen - und ziehen sich zurück. Bild: ap

taz: Frau Mohr, Sie arbeiten an einem Projekt mit dem seltsamen Namen "Islamische Fachdidaktik als Agent der Institutionalisierung des Islams". Was bedeutet diese unheimlich klingende Formulierung?

Irka Mohr: Wir gehen davon aus, dass der islamische Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen für die Beheimatung des Islams in Europa eine wichtige Rolle spielt. Die universitäre Ausbildung für Islamlehrer ist noch neu. Sie hat nur eine Hand voll Absolventen hervorgebracht.

Soll das heißen, dass die LehrerInnen bislang gar nicht an Unis ausgebildet wurden?

Ja. Wir untersuchen, wie die LehrerInnen Unterrichtsinhalte vermitteln, das nennt man die Fachdidaktik des Islamunterrichts. Und die ist noch in einer Entwicklungsphase.

Welche Ausbildung haben Islamlehrer bisher genossen?

Die Lehrkräfte durchliefen meist nur kurze Fortbildungsmaßnahmen. Viele spätere Lehrer kommen bislang aus dem türkischen oder arabischen Muttersprachunterricht. Andere sind Islamwissenschaftler oder fertige GrundschullehrerInnen, die man fortbildet. In Berlin übernimmt die Islamische Föderation die Qualifizierung der Lehrer.

Sind die LehrerInnen selbst Muslime?

Sie haben immer einen muslimischen Hintergrund, ja.

Ihre Studie untersucht den Unterricht in vier Ländern. Läuft er inhaltlich ähnlich ab?

Alle Rahmenpläne, die ich kenne, setzen voraus, dass es so etwas wie einen einheitlichen Islam gibt, den man von kulturellen, regionalen Eigenarten reinigen kann. Also so etwas wie eine pure Religion, die an jedem Ort und zu jeder Zeit gültig ist.

Gelingt den LehrerInnen die Vermittlung eines solchen reinen Islams im Unterricht?

Die Lehrer geraten in eine schwierige Situation. Das Problem ist, dass die Idee des reinen Islams nur ein Konstrukt ist. In der Praxis müssen die Lehrer im Unterricht jeweils selbst entscheiden, welche Inhalte sie als islamisch, also religiös legitimiert, bewerten, und welche als kulturell. Das jedem einzelnen Lehrer zu überlassen, ist eine große Herausforderung - manchmal eine Überforderung.

In öffentlichen Debatten geht es fast immer um die Frage, was Islam ist - und was Kultur. Etwa bei Zwangsverheiratungen. Kann der Islamlehrer solche Fragen klären?

Derzeit vermeiden Lehrer solche Diskussionen. Sie grenzen ihren schulischen Religionsunterricht vom außerschulischen islamischen Erziehungsbereich ab. Wenn etwa eine Schülerin kommt und fragt, ob das Verbot der Teilnahme am Schwimmunterricht berechtigt ist, dann wird sie keine Antwort bekommen.

Warum nicht?

Die Lehrer sind nicht darauf vorbereitet, mit solchen Konflikten umzugehen. Dabei denke ich, dass gerade in den Schulen Fragen wie diese diskutiert werden sollten: Gehe ich zum Schwimmen oder nicht? Die Lehrer wissen aber nicht, wie sie das im Unterricht verhandeln sollen. Deswegen ziehen sie sich zurück.

Wie groß ist die Bandbreite der Islaminterpretationen, mit denen die Kinder in die Schule kommen?

Die Lehrer sind konfrontiert mit ganz verschiedenen Ausprägungen und Auslegungen des Islams. Auf diese Vielfalt, die die SchülerInnen mitbringen, sind die Lehrkräfte didaktisch nicht vorbereitet. Es gibt ja kaum Unterrichtsmaterialien. Die Lehrerkraft muss alles selbst machen. Dadurch bekommt sie als Person eine große Bedeutung.

Inwiefern?

Sie ist Vorbild für die Kinder. Und die fragen auch nach, wenn die LehrerIn nicht ihren Vorstellungen entspricht. Eine deutsche Konvertitin, die islamischen Religionsunterricht erteilt, erzählte mir, dass die Kinder immer wieder ihre Zweifel daran äußerten, ob sie wirklich Muslimin sein könne. Religion und Herkunft sind also auch in den Köpfen der Kinder sehr stark.

Ist das ein Problem?

Das ist einerseits eine große Chance für den Islamunterricht, weil Kinder dort eben mit Lehrern konfrontiert sind, die nicht ihrer Vorstellung von Religiosität und religiösem Leben entsprechen. Anderserseits sind die Lehrer aber überfordert, etwa wenn nach ihrer eigenen religiösen Praxis gefragt wird. Was mache ich, wenn ein Kind mich fragt, ob ich im Ramadan faste - und ich das womöglich nicht tue?

Wie reagieren die Lehrer?

Das ist abhängig davon, ob das Land Träger des Islamunterrichts ist oder eine Religionsgemeinschaft wie in Berlin. Dort bestellt die Religionsgemeinschaft nur LehrerInnen, die den Islam sichtbar praktizieren - also Kopftuch tragen. Aber in Niedersachsen, wo viele Lehrer einen säkularen Hintergrund haben und kein Kopftuch tragen, da ist die Irritation bei Eltern und Kindern oft groß.

Die Lehrkräfte müssen also den Begriff von Religiosität zurechtrücken, welche die Kinder von zu Hause mitbringen?

Ja. Und da sind sie nach unseren Erkenntnissen sehr zurückhaltend. Die Tendenz geht eher dahin, den Kindern Raum für neue Erfahrungen zu öffnen. Also nicht zu sagen: Das, was du mitbringst, ist falsch, vergiss das. Sondern das stehen zu lassen und daneben einen Raum zu öffnen, wo die Kinder Neues über ihre Religion lernen können.

Der Islamunterricht zeigt, dass der Islam unterschiedlich interpretierbar ist? Das klingt doch gut.

So sollte es sein. Nur hat es der islamische Religionsunterricht nicht geschafft, diese Spannung didaktisch aufzufangen.

Welches der Modelle von Islamunterricht - staatlich organisiert oder privat - erscheint Ihnen das geeignete?

Ich glaube, dass es für die Professionalisierung der Islamlehrer, aber auch als Anschub für eine Debatte innerhalb der muslimischen Bevölkerungsgruppe sehr wichtig ist, die verschiedenen Modelle noch weiterzuführen. Die Länder sollten zunächst die Ausbildung von Lehrkräften für diesen Unterricht regeln.

Wie ist da der Stand?

Es gibt mittlerweile drei Universitäten, die religionspädagogische Lehrstühle für den Islam eingerichtet haben: Münster, Osnabrück und Erlangen. Aber die Arbeit dort beginnt erst, das Fach ist inhaltlich noch nicht entwickelt. Interessant ist, dass alle drei Lehrstuhlinhaber in der muslimischen Community Außenseiter sind. Das kann ein Problem werden, wenn die von ihnen ausgebildeten Lehrkräfte eine Lehrerlaubnis von den islamischen Gemeinden wollen.

Sie befürchten, dass die Gemeinden den Lehrkräften die Lehrerlaubnis vorenthalten?

Das wird bereits diskutiert.

Wo liegen Unterschiede zwischen den akademischen und den Gemeindelehrern?

Etwa in der Frage, ob es theologisch legitim ist, im Unterricht mit Abbildungen zu arbeiten. Für die Grundschuldidaktik spielen Bilder ja eine große Rolle. Der Islam verbietet aber Abbildungen, etwa von Propheten oder von Engeln. Nun wird darüber debattiert, ob die Verwendung von Bildern theologisch legitim ist oder möglicherweise gar keiner theologischen Absicherung bedarf, sondern einfach pädagogisch begründet werden kann.

Immerhin, es gibt eine Debatte.

Ja. Wenn ich es auch sehr schade finde, dass diese Debatte darüber, was Islam und Kultur ist, so abgekoppelt läuft. Sie erreicht den muslimischen Mainstream nicht. Daher ist die Lehrerausbildung so wichtig: Die Lehrer sind eine Brücke zwischen der akademischen Debatte und der Praxis.

INTERVIEW ALKE WIERTH

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