Münchner Streit um Stolpersteine: Wer gedenkt am besten?

Die jüdische Gemeinde in München lässt Stolpersteine entfernen, und schreibt damit Holocaust-Überlebenden vor, wie sie ihrer ermordeten Verwandten zu gedenken haben.

Zwischen Kaugummis und Zigarettenstummeln: Stolpersteine im Berliner Scheunenviertel. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Da wohnte der Schorschi. Da drüben sind sie in die Isar gestiegen, was allerdings ein zweifelhaftes Vergnügen war, weil Peter Jordan danach einen Ausschlag am ganzen Körper bekam. Und am Straßenende, am Kufsteiner Platz, wo die Kinder von Thomas Mann in die Tram stiegen und sich geheime Handzeichen gaben, dort drüben saßen sie immer auf den ruhenden Hirschen des Diana-Brunnens; auf den Rücken der steinernen Tiere, festgeklammert an deren Ohren, die irgendwann abfielen. Und hier, erzählt Jordan mit einer Geste Richtung Boden, ja hier vor der Mauerkircherstraße 13 waren im Trottoir die Gedenksteine an seine ermordeten Eltern angebracht - bis die Stadt München diese "Stolpersteine" herausreißen ließ. Vor dem Elternhaus des 85-jährigen Briten erinnert nichts mehr an seinen Vater und seine Mutter, die von den Nazis umgebracht wurden. Die Eltern tot, die Erinnerung beseitigt.

Jordan ist ein Münchner Kindl, und das hört man ihm auch an. Der pensionierte Architekt wurde 1939 im Alter von 16 Jahren nach Großbritannien verschickt. Den Eltern gelang die Flucht nicht mehr. Siegfried und Paula Jordan wurden 1941 im litauischen Kaunas ermordet. Nach dem Abschied im schlichten Jahrhundertwendebau an der Mauerkircherstraße in München-Bogenhausen sah er sie nie wieder.

Die jüdische Gemeinde hat ihre Namen auf Gedenktafeln unterhalb des neuen Gemeindezentrums am Jakobsplatz verzeichnet. Das aber will Jordan nicht. Er streitet sich deshalb mit Charlotte Knobloch, der Chefin der Münchener Gemeinde und Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Nun hat er sie getroffen, um den Streit über die rechte Art des Trauerns aus der Welt zu schaffen.

Aber wie kann das sein: Warum streiten sich zwei Münchner Holocaust-Überlebende, die beide so viele Angehörige in der Shoah verloren haben und selbst nur knapp dem Tod entgingen, so öffentlich und so erbittert um das richtige Gedenken an die Opfer? Und warum ist dies mehr als eine traurige Provinzposse? Die Antwort hat viel mit Knobloch, einiges mit München und noch mehr mit der Erinnerungskultur in Deutschland zu tun.

Wolfgang Brix, Vorstandsmitglied der "Initiative Stolpersteine für München", bemüht sich in der Hochschule für Musik und Theater am Münchner Königsplatz darum, dieses Gedenkknäuel zu entwirren. In Hitlers früherer Residenz erläutert der ehemalige Bankmanager im Gewusel vorbei laufender Studentinnen und Studenten, wie es dazu kam, dass die Gedenksteine für Jordans Eltern hier gelandet sind.

Die 10 mal 10 Zentimeter großen Messingplatten wurden wie über 14.000 andere Stolpersteine vom Kölner Künstler Gunter Demnig und einem Mitarbeiter in Handarbeit gefertigt. In mehr als 300 Städten und Gemeinden, überall in Deutschland, mittlerweile sogar auch in Österreich, Polen und Ungarn, sollen die schlichten Gedenktafeln an die deportierten und ermordeten Juden erinnern. Demnig wurde für dieses künstlerische Mammutwerk im öffentlichen Raum national und international mit Preisen überhäuft.

Nur in München hat sich das Stadtparlament, das hier Stadtrat heißt, im Jahr 2004 mit großer Mehrheit dazu entschlossen, die Verlegung von Stolpersteine in der Landeshauptstadt generell zu verbieten - auf Wunsch der jüdischen Gemeinde. Schon am Morgen nach diesem Beschluss entfernten städtische Bedienstete die Gedenksteine für Jordans Eltern aus dem Bürgersteig der Mauerkircherstraße. Es waren die ersten und einzigen Stolpersteine, die überhaupt auf öffentlichem Grund in München verlegt wurden. Nach einer Zwischenstation auf dem jüdischen Friedhof sind die Jordan'schen Steine nun Teil einer künstlerischen Installation in der Münchner Musikhochschule, wenige Meter von Hitlers Kaminzimmer entfernt. Was für eine Pointe!

Es sollte nicht die letzte sein.

Denn nach der Entfernung der Gedenksteine fing der Streit zwischen Jordan und Knobloch erst richtig an. Obwohl damit im Zentralrat, ja selbst in den jüdischen Gemeinden Bayerns isoliert, machte die resolute Gemeindevorsitzende aus ihrer Empörung über die Stolpersteine nie einen Hehl. Sie empfindet sie als entwürdigend, unter anderem weil Nazis auf ihnen rumtrampeln und Hunde auf sie pinkeln könnten. Vor zwei Jahren schimpfte sie auf dem Chanukka-Fest im Hinblick auf die Stolpersteine über die "Gedenktäter", die solche Steine verlegen wollten.

Diese Ansicht wiederum empörte Jordan. Anfang 2005 schrieb er aus seiner neuen Heimatstadt Manchester an Knobloch einen Brief, in dem er sie aufforderte, dafür zu sorgen, dass in einer geplanten Gedenkstätte zugunsten der 4.500 Münchner Opfer der Shoah unterhalb des entstehenden neuen jüdischem Gemeindezentrums die Namen seiner Angehörigen nicht verzeichnet werden. Mit Bezug auf die ganz offiziell heraus gerissenen Stolpersteine schrieb er: "Ich könnte an nichts Schlimmeres denken, als das Gedächtnis meiner Verwandten in einem stets von der Polizei bewachten und der Öffentlichkeit nur beschränkt zugänglichem Gebäude einsperren zu lassen. Der Gedanke ist mir, um Ihren eigenen Ausdruck zu benutzen, unerträglich."

In einem knappen Antwortschreiben sicherte Knobloch drei Wochen später zu, seiner Bitte zu entsprechen. Doch im "Gang der Erinnerung", dem Gedenkort unter dem neuen Gemeindezentrum, waren die Namen der Familie Jordan dann doch zu lesen. Daraufhin schaltete er einen Anwalt ein; schließlich wurde ein Treffen vereinbart.

Nun sitzt Jordan neben seiner 89-jährigen Cousine Ursula Gebhardt auf deren Balkon in einem schicken Münchner Viertel und genießt die kleinen Törtchen, die Urschl mit Beeren aus dem eigenen Garten gezaubert hat. Jordan hat die Ruhe und Selbstsicherheit eines Mannes, der recht zufrieden auf sein Lebenswerk zurückblicken kann. Er ist viel zu sehr Gentleman, um zu sagen: Von einer Knobloch lasse ich mich nicht wie ein Schuljunge behandeln. Aber sein Ton ist in der Sache knapp und klar, fast wortgleich wiederholt er, was er schon in dem Brief an Knobloch geschrieben hat: "Ich muss Sie fragen, wie Sie eigentlich dazu kommen, sich öffentlich darüber zu äußern, was ich für meine Eltern und andere Familienangehörige als richtig finde. Es geht Sie doch so wenig an, wie es mich etwas angeht, was Sie für Ihre Familienangehörigen als richtig finden."

Über 120 Stolpersteine für Münchner Juden sind bereits fertiggestellt und lagern meist in den Wohnungen der Spender. Am 1. September 2007 wurde in der Schwabinger Viktor-Scheffel-Straße ein weiterer Stolperstein angebracht - allerdings nur auf Privatgrund. Am Ende dieser Straße, am Kaiserplatz, wohnt übrigens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der die Stolpersteine ebenfalls ablehnt. Wolfgang Brix sagt, man werde mit den Stolpersteinen "so lange auf Privatgrund ausweichen, bis es auf offiziellem Grund möglich ist". Und dann wagt er, leicht verzweifelt, sogar einen Witz: "Wir woll'n ,ne Duldung!" ruft er lachend.

Zum Lachen ist Marian Offman im Jüdischen Museum gegenüber dem neuen Gemeindezentrum überhaupt nicht zumute. Es ist der Morgen vor dem Treffen zwischen Knobloch und Jordan. Offman ist der Vizechef der jüdischen Gemeinde, im Gegensatz zu Knobloch spricht er mit den Medien über die Stolpersteine. Das CSU-Stadtratsmitglied hielt bei der Entscheidung des Stadtparlaments gegen die Stolpersteine eine Rede, die diesen Beschluss stützte. Der 60-jährige Unternehmer ist ein freundlicher Herr, dem man abnimmt, dass ihm das deutsch-jüdische Miteinander eine Herzenssache ist. Jede Woche macht er Führungen durch die neue Synagoge, erklärt den Nicht-Juden das Judentum, im "Bayern Journal" von SAT 1 hat er sogar eine Sendung, die sich der desselben Aufgabe widmet. Der Name der Sendung: "Miteinander". Er erzählt: "Den Menschen, die den ,Gang der Erinnerung' begehen, stehen nicht selten Tränen in den Augen - Juden wie Nicht-Juden." Dass nun auch die Namen der Jordans dort verzeichnet seien, leicht zu finden unter den Namen mit "J", "war bestimmt keine Absicht von Charlotte Knobloch", meint er.

Offman berichtet mit warmen Worten von einem Treffen mit Jordan vor zwei, drei Jahren, genauer weiß er es nicht mehr. Damals habe er den alten Mann umarmt und gesagt: "Herr Jordan, wir sollten uns vertragen." Im Gespräch sagt Offman: "Ich verstehe seinen Schmerz, es ist mir schwer, ihm zu widersprechen." In der Sache aber bleibt er hart: "Mir läuft es eiskalt den Rücken runter, wenn Menschen, denen vollends die Würde genommen wurde, im Straßenschmutz verewigt werden." Dann huscht Offman noch schnell durch die neueste Ausstellung des Jüdischen Museums, gelegen im Obergeschoss des Hauses. Besucherinnen und Besucher des Museums konnten für die Schau "ein gewisses jüdisches Etwas" mitbringen, einen persönlichen Gegenstand, der ihn oder sie mit dem Judentum verbindet. Offman hat sein "Bayern Journal"-Mikro mitgebracht, oben wird es ausgestellt.

Am Mittwoch nun trafen sich Knobloch und Jordan, dabei war außerdem dessen Anwalt und ein Rabbiner. Zwar deutete Knobloch an, dass sie in diesem Fall zu einem Kompromiss bereit sei: Ein Gedenken an Jordans Eltern könne an der Mauerkircherstraße vielleicht doch stattfinden, etwa in Form einer Tafel am Haus. Doch Jordan ist das zu wenig. Charlotte Knobloch wolle keine Stolpersteine, berichtet er nach Treffen, weder in München noch irgendwo anders. Der angedeutete Kompromiss ist ihm zu wenig: "Entweder kommen alle Stolpersteine in Müchen auf den Gehweg oder keine. Ich will keine Sonderlösung."

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