Debatte SPD-Umfragetief: Wie der Sinkflug zu stoppen ist

Das Umfragetief der SPD sagt wenig über ihre Chancen bei den nächsten Wahlen aus. Kurt Beck sollte daher Parteichef bleiben - und Steinmeier Kanzlerkandidat werden.

In den Umfragen setzt die SPD seit Wochen ihren scheinbar unaufhaltsamen Sinkflug fort, in manchen Kommentaren macht schon das Wort von der "Implosion" der Volkspartei SPD die Runde. Aber wer die SPD bereits abgeschrieben hat, könnte im nächsten Jahr eines Besseren belehrt werden. Die demoskopisch gemessenen Momentaufnahmen der gegenwärtigen Stimmungslage in Deutschland taugen wenig für eine zuverlässige Prognose für die nächste Bundestagswahl. Allerdings kommt alles darauf an, ob die Parteiführung in der Lage ist, jetzt die Weichen für 2009 richtig zu stellen - und zwar programmatisch, personalpolitisch und koalitionspolitisch.

Programmatisch steckt die SPD in einem Dilemma. Sie hat - trotz der von Kurt Beck vorgenommenen Kurskorrekturen an der rot-grünen Regierungspolitik - bisher kein Rezept gefunden, um traditionelle und linksgerichtete Wähler von der LINKEN zurückzugewinnen. Aber auch die Wähler der 1998 erfolgreich umworbenen "neuen Mitte" wandern seit langem ab. Auf beiden Seiten streben die entsprechenden Wählergruppen von der SPD weg, weil von der Parteiführung ständig widersprüchliche Signale ausgehen. Weder hat sich der Mindestlohn als integrative Klammer nach links erwiesen, noch übt die Steinbrücksche Haushaltskonsolidierung eine anziehende Wirkung auf die Wähler der Mitte aus. Programmatisch kann die SPD aber nur mit einer Doppelstrategie, die wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenzen nicht der Union überlässt und gleichzeitig sozialpolitische Kompetenzen den LINKEN streitig macht, bei der Bundestagswahl 2009 in die Nähe der magischen 34 Prozentpunkte kommen. Dies würde wenigstens eine Dreierkoalition unter Führung der SPD möglich machen.

Die SPD muss also möglichst schnell die Lücke zwischen diesen beiden Polen schließen. Das neue Grundsatzprogramm bietet mit Begriffen wie vorsorgender Sozialstaat, Integration durch Teilhabe und Zukunftsfähigkeit durchaus Ansatzpunkte für eine Doppelstrategie. Es fehlt bisher aber an der Übersetzung dieser Begriffe in für die Wähler identifizierbare Reformprojekte und deren Einbindung in eine Narration neuer Formen sozialer Gerechtigkeit. Die SPD wäre jedenfalls gut beraten, sich auf einem Parteitag noch in diesem Jahr darüber zu verständigen, wie sie als moderne Volkspartei der linken Mitte die Themen Gerechtigkeit, Modernisierung und Innovation in einer globalisierten Gesellschaft verbinden will.

Wie eine kluge Doppelstrategie auf der personalpolitischen Ebene aussehen könnte, hat der Wahlkampf 1998 gezeigt. Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder repräsentierten damals die beiden Pole, die eine Volkspartei wie die SPD ansprechen muss, wenn sie bei der Wahl eine breite Wählerkoalition zusammenbringen will. Das Problem der SPD ist, dass sie im Unterschied zu damals auf der Führungsebene gegenwärtig keine Person hat, die Fragen der sozialen Gerechtigkeit glaubwürdig, aber nicht traditionalistisch und linksgewendet in die Öffentlichkeit kommunizieren kann.

Kurt Beck wirkt selbst dort, wo er einen vermeintlichen Linksschwenk verkündet, zu pfälzisch-bieder und provinziell, um die Lücke zu besetzen. Andrea Nahles fehlt die Ausstrahlung und das sozialdemokratische Kolorit eines Franz Müntefering. Wähler der Mitte können dagegen glaubwürdig mit den beiden Stones umworben werden. Mit Gesine Schwan ist eine weitere Person ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, die zwar aufgrund ihrer Kandidatur für das Bundespräsidentenamt keine unmittelbar parteipolitische Rolle in der Führungsspitze der SPD übernehmen kann, die aber in ihrer unverbrauchten Art die rhetorische Brücke zwischen einem modernen Verständnis von gesellschaftlicher Solidarität und Gerechtigkeit sowie notwendiger Modernisierung und Reformbereitschaft herstellen könnte. Darüber hinaus stellt Gesine Schwan so etwas wie ein natürliches Pendant zu Angela Merkel dar und zeichnet sich durch intellektuelle Brillanz sowie Witz und Humor aus.

Was bedeutet diese Konstellation für das Personaltableau der SPD? Ein weiterer Führungswechsel im Amt des Parteivorsitzenden (der vierte in den letzten Jahren) wäre der Versuch, erneut nur über Personen die Probleme der Partei zu lösen. Er würde wie das Eingeständnis eines fortwährenden Versagens wirken. Besser ist es, Kurt Beck bleibt Parteivorsitzender, versucht sich aber nicht länger an strategischen Richtungsänderungen, die nicht zu ihm passen, sondern konzentriert sich darauf, die verschiedenen Flügel der Partei zusammenzuhalten.

Führung heißt in seinem Fall, innerparteilich mehr zu moderieren, zu kommunizieren und auszugleichen, statt zu polarisieren. Außerdem müsste er endlich in der Parteizentrale das "strategische Zentrum" schaffen, das der Parteienforscher Joachim Raschke immer wieder beschwört - unter Einbeziehung der Personen, die bis zur Bundestagswahl eine Hauptrolle spielen müssten. Steinmeier sollte noch in diesem Jahr zum Kanzlerkandidaten gekürt werden, um ein Signal zu setzen, mit wem die SPD in den Wettbewerb um die Kanzlerschaft eintreten will. Er müsste in der Zwischenzeit daran arbeiten, noch mehr Politiker zu werden, sein Image als verbeamteter Außenminister ablegen.

Es bleibt die Lücke auf der linken Seite, die vorerst personell nicht besetzt werden kann. Kurt Beck könnte allenfalls Franz Müntefering reaktivieren und in das zu schaffende strategische Zentrum einbeziehen. Müntefering gilt zwar im linken Spektrum wegen der Rente mit 67 als Verräter, ist aber einer der wenigen, der der LINKEN Paroli bieten könnte, weil er traditionelle sozialdemokratische Wählerschichten anspricht, die gegenwärtig zur Wahlenthaltung übergegangen sind.

Bleibt die Frage, wie die SPD auch koalitionspolitisch wieder in die Offensive kommen kann. Hier hat Kurt Beck, bei allen Schwächen seiner Rede auf dem Zukunftskonvent, alles richtig gemacht. Für die SPD ist nur eine Ampelkoalition eine realistische und politisch vertretbare Alternative zur Fortsetzung der großen Koalition im nächsten Jahr. Eine Ampelkoalition liegt auch im grünen Interesse, und die FDP wird mit Sicherheit die Tür nicht zuschlagen, wenn sich die Möglichkeit bietet, die lästige Oppositionsrolle nach elf Jahren Abstinenz gegen einen Platz auf den Regierungsbänken einzutauschen.

Wenn man sich einmal auf diese Koalitionspräferenz festgelegt hat, darf man aber bis zur Bundestagswahl nicht mehr wackeln, sondern muss daran arbeiten, dass die Brücken gebaut werden, die zur Bildung einer solchen Koalition notwendig sind. Dabei könnte Beck eine wichtige Rolle spielen. Schließlich verfügt er über langjährige Erfahrungen mit einer sozialliberalen Koalition in Rheinland-Pfalz.

In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob die SPD ihre Position in diesem Sinne konsolidieren kann. Oder ob sie sich weiter ins Abseits manövriert. LOTHAR PROBST

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