Neue Perspektiven: Die Straßen der Touristiker

Bierregionen, Industriekultur oder deutsche Märchen sind die Themen der Ferienstraßen. Sie verbinden Sehenswürdigkeiten in Deutschland

Mandelblütenallee bei Neustadt/Weinstraße Bild: Kongress- und Saalbau GmbH, Neustadt a.d. Weinstraße/DZT

Sehr idyllisch ist das alles, was die Fachwerkstadt Rothenburg ob der Tauber ihren Besuchern bietet. Rothenburg ist perfekt restauriertes Mittelalter, eine Bilderbuchidylle inmitten kleiner, verwinkelter Gassen, ansprechend und heimelig. Hier fand der Maler Spitzweg seine Motive von Biedermeier und Kleinbürgersinn. Rothenburg ist wie geschaffen für ausländische Besucher, die einen Zipfel der berühmten deutschen Romantik erhaschen wollen. US-Amerikaner machten dabei den Anfang, später folgten Japaner und in jüngster Zeit immer mehr Koreaner. Die Speisekarten der örtlichen Gastronomie sind schon lange vielsprachig. Und so war es auch gedacht, als vor gut einem halben Jahrhundert die Romantische Straße entwickelt wurde. Man hoffte auf Touristen aus Übersee, die nach dem überwundenen "Dritten Reich" und der Kriegszeit das historische Deutschland wiederentdecken wollten. Auf der rund 350 Kilometer langen Romantischen Straße liegen auch Würzburg, Dinkelsbühl und König Ludwigs Märchenschloss Neuschwanstein. Ein pralles Programm.

Noch älter als die Romantische Straße ist die Deutsche Alpenstraße, eröffnet im Jahre 1927. Sie folgte einem anderen Ziel, sie wollte ein automobiles Abenteuer bieten. Damals war das noch etwas ganz Neues und etwas ganz Besonderes, ein Vergnügen für die ersten bourgeoisen Autobesitzer. Man musste es sich leisten können, auf der Panoramastraße von Lindau nach Salzburg auf windungsreichen und noch engen Bergstraßen über kühne Alpenpässe zu kutschieren.

Rund 50 Ferienstraßen stellt die Deutsche Zentrale für Tourismus auf ihrem Portal ausführlich vor: www.deutschland-tourismus.de

Um eine vollständige Sammlung bemüht sich eine Vermarktungsinitiative der Deutschen Ferienstraßen (noch im Aufbau): www.ferienstrassen.info

Durch schöne Landschaften zwischen Nord- und Süddeutschland leiten die Deutsche Märchenstraße (zwischen Hanau und Bremen): www.deutsche-maerchenstrasse.com und die Romantische Straße (zwischen Würzburg und Füssen): www.romantischestrasse.de; die Deutsche Fachwerkstraße zwischen der Elbe und dem Bodensee unterteilt sich auf insgesamt 2.800 Kilometern in 9 Regionalstrecken: www.deutsche-fachwerkstrasse.de

Mittelalterliches und wehrhaftes Deutschland macht zwischen Mannheim und Heidelberg, Nürnberg, Bamberg und Bayreuth (mit Verlängerung nach Prag) die Burgenstraße zum Thema: www.burgenstrasse.de

In Sachsen-Anhalt hat die Straße der Romanik tausend Jahre Deutschland im Programm: www.romanikstrasse.de

Ob auf den Höhen des Schwarzwalds oder der Alpen - Panoramastraßen bieten wundervolle Landschaftserlebnisse:

www.schwarzwaldhochstrasse.de; www.oberbayern.de

Eine Themenstraße mit dem Prädikat "sozialverantwortlicher" Tourismus: www.lehm-backsteinstrasse.de und www.fal-ev.de

Wein und Bier satt: Aus der großen Zahl der Wege zur Wein- und Bierseligkeit finden sich 15 Ferienstraßen im Info-Service-Portal: www.ferienstrassen.info

Alte Industrie und altes Handwerk zwischen Edelsteinen und Spielzeug, Glas und Uhren: rund um das Edelsteinzentrum Idar-Oberstein: www.deutsche-edelsteinstrasse.de; die Nürnberger Spielwarenmesse ist ein Eckdatum der Spielzeughersteller, produziert wurde im ländlichen Raum bis weit ins Thüringische hinein: www.spielzeugstrasse.de; die Kuckucksuhr wurde im Schwarzwald erfunden: www.deutsche-uhrenstrasse.de, in bayerischen und böhmischen Wäldern ist die Glasherstellung beheimatet: www.dieglasstrasse.de, der Ruhrpott als Industriedenkmal: www.route-industriekultur.de

Wo die Hanse einst ihren Machtbereich entfaltete und an der Ostsee reiche Städte hinterließ, leitet die Europäische Route der Backsteingotik: www.eurob.org

Über 100 Ferienstraßen gibt es hierzulande. Die Deutsche Märchenstraße zwischen Hanau und Bremen auf den Spuren der Brüder Grimm ist ein Renner geworden, sie wurde 1975 gegründet. Doch beim gefühligen Programm deutscher Märchen, Burgen und Schlösser und Landschaftspanoramen allein blieb es nicht. Unter den Ferienstraße gibt es zahlreiche Themenstraßen, die Deutschland noch auf anderen Wegen erschließen. Sie leiten durch Weinanbaugebiete und Bierregionen, sie folgen den Spuren der ehemals bedeutsamen Edelsteinschleiferei, der Uhrenherstellung oder der Industriekultur. Sie bündeln ehemals bekannte Heilbäder, sie folgen auch bestimmten Baustilen wie etwa die Deutsche Fachwerkstraße auf 2.800 Kilometern zwischen Elbe und Bodensee.

Mit einer Straße der Romanik hat sich Sachsen-Anhalt inzwischen ins historische Bewusstsein gebracht. Wo der legendäre Kaiser Barbarossa seine Heere sammelte und wo heute noch die berühmtesten Domschätze lagern - auf 80 Stationen sind hier Schauplätze des Frühmittelalters zu besuchen, sie erinnern an die Gründungszeit Deutschlands.

Die Straßen der Touristiker erschließen ein Land, an das sich noch jeder Reisende gern erinnert. Oder das man hierzulande vielleicht gerne so hätte. Ein liebenswertes Land voller Glanz und Glorie, geprägt von heiler Welt, großer Kultur und besseren Zeiten. Noch jede Zeitreise auf jeder Straße wird durch kulturelle Veranstaltungen verschönert, die vor Ort vor allem in den Sommermonaten für Abwechslung sorgen. Viele der Events, die die Initiatoren anbieten, gehen über pures Sightseeing weit hinaus.

Eine der besonderen Ferienstraßen ist die Lehm- und Backsteinstraße westlich der Mecklenburgischen Großseenlandschaft. Sie erhielt 1999 als bislang einziges deutsches Projekt den begehrten To Do!-Preis des Ammerland-Studienkreises für Tourismus, und zwar als "partizipativ organisiertes Projekt mit eindeutig kommunal- und regionalpolitischer Ausrichtung". Der Studienkreis, der einen explizit sozialverantwortlichen Tourismus in aller Welt fördert, prämierte hier ein gesellschaftspolitisches Abenteuer der Nachwende-Ära im deutschen Osten. Die Region, ehemals geprägt von Ziegeleien und Landwirtschaft, entwickelte die Initiative für eine Ferienstraße im Rahmen eines Vereins "zur Förderung angemessener Lebensverhältnisse" (FAL e. V.). Heute lässt sich hier Wissenswertes über die überkommene Lehmbauweise erlernen.

Schloss Lichtenstein bei Reutlingen Bild: Dieter Poschmann/pixelio.de

Ging es den Organisatoren der deutschen Ferienstraßen anfangs um eine autogerechte Erschließung der touristischen Highlights dieses Landes, so kommen inzwischen auch Radler und Wanderer auf ihre Kosten. Die Route der Industriekultur etwa, die wie ein Oval auf dem Ruhrpott liegt, erschließt ihre Standorte perfekt durch ein dichtes Netz von Rad- und Wanderwegen. Für die Romantische Straße gibt es seit Langem eine spezielle Radroute und ausgewiesene Wanderwege. Auf dieser deutschen Starroute ist zwischen Mai und Ende Oktober auch der Europabus der Deutschen Touring ab Frankfurt am Main oder ab München im täglichen Linienverkehr unterwegs. Und er transportiert nicht nur smarte Japaner und jugendliche Backpacker aus Übersee, sondern auch deutsche Radler und im Anhänger deren Fahrräder.

Neue Perspektiven für die Ferienstraßen ergeben sich nun vor allem im Zuge der EU-Erweiterungen. Grenzüberschreitende Routen treten auf den Plan, es sind die von der EU ausgewiesenen und geförderten europäischen Kulturrouten. Spektakulär ist etwa das Konzept der Europäischen Route der Backsteingotik. Rund um die Ostsee, dem Einflussbereich der ehemaligen Hanse folgend, beteiligen sich an diesem Projekt neben Deutschland auch Dänemark, Schweden, Polen, Litauen, Lettland und Estland. Hier gilt es alte Hansestädte zu entdecken, Perlen der Vergangenheit, nicht nur in Deutschland. Die Hanse hinterließ ein europäisches Erbe.

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