Debatte Schwarz-Grün in Hamburg: Offene Parteibeziehungen

Schwarz-Grün in Hamburg zeigt: Ergänzung ist besser als Überschneidung. Das Bündnis von CDU und Grünen kann gelingen, weil die Parteien nicht miteinander konkurrieren.

Was sollen die Grünen machen, solange die SPD zerbröselt und die Linkspartei sich hinter ihrem Linkspopulismus einmauert? Die grüne Partei muss sich bewegen, um nicht selbst zu zerfallen. Die Öffnung zu neuen Bündnissen und lagerübergreifenden Koalitionen ist erzwungen, sie entspringt nicht einer Anpassungs- oder Abenteuerlust grüner Akteure. Von den Kleinparteien haben die Grünen sich als Erste den neuen Herausforderungen gestellt. Aber auch das lag nicht an ihrem Mut, sondern an der Gelegenheit, die sich in Hamburg zuerst ergab.

Hamburg folgt fast vollständig einer lokalen Logik, wird unvermeidbar aber auch bundespolitisch gelesen. Ausschlaggebend ist die Perspektive einer prosperierenden Metropole mit Ökologie-, Armuts- und Bildungsproblemen. Alle Überlegungen der Beteiligten sind geradezu wohltuend auf die Stadt bezogen. Kein Stoiber oder Wulff in Sicht, die ihr Land als Steigbügel für eine bundespolitische Karriere benutzen. Die Berliner Spitzen von CDU und Grünen sehen das Hamburger Experiment mit Wohlwollen, ohne dass sie Einfluss darauf hätten.

Die Konsequenzen des Hamburger Schwarz-Grün aber werden sich auch bundespolitisch zeigen. Die Analyse mag noch so sehr die Hamburger Besonderheiten unterstreichen, ab sofort nimmt Schwarz-Grün, das hier genau 1,75 Millionen Bürger regiert (also eine große Kommune), teil an einem "Modellwettbewerb", in dem es nicht um mögliche, sondern um beste Koalitionen geht. Rot-Grün, Rot-Gelb, Ampel, Schwarz-Gelb, Jamaika, Rot-Rot, Rot-Rot-Grün, Schwarz-Rot - die neue Farbenlehre ist Ausgangspunkt für eine neue, komparative Koalitionslehre. Wie weit kommt man mit welchem Koalitionspartner? Wie sieht der Politikstil aus, welche Regierungsprofile sind möglich?

Bisher ist das Hamburger Ergebnis beachtlich. Viel Grünes steckt im Koalitionsvertrag, mehr als zu erwarten war. Schulreform und Moorburg bleiben Konfliktfelder, mit starken gesellschaftlichen Gegeninteressen. Man macht einen neuen Anfang in Hamburg, aber gelaufen ist Schwarz-Grün auch hier noch nicht. Nichts ist schwerer als der Wechsel eines eingespielten Koalitionsmusters, das für die Grünen seit mehr als 20 Jahren Rot-Grün heißt. Dabei muss man mit Wählerverlusten rechnen.

Aber die Länder sind - auch - ein Laboratorium für den Bund. Was hier scheitert, hat im Bund keine Chance. Was im Land gelingt, muss im Bund noch lange nicht funktionieren. Die Länder sind die Probebühne, auf der die leichteren Stücke gespielt werden. Es fehlen die dicken Brocken großer Haushaltsposten wie bei der Sozial- und Verteidigungspolitik oder bundesweiter Regelungen wie bei der Einwanderungs- und Energie-, der Umwelt- und Innenpolitik. Viel Klein-Klein, Einzelfallentscheidungen (Elbvertiefung, Moorburg), Umsteuern, aber wenig wirkliche Richtungsbestimmung - außer bei der Schulpolitik, wo das Schicksal der Hamburger Großreform die Debatte in anderen Bundesländern stark beeinflussen wird.

Es gibt in Hamburg drei besonders günstige Bedingungen für ein Gelingen von Schwarz-Grün:

1) Fähige Spitzenleute, die untereinander Vertrauen aufbauen, in ihre Parteien integrieren und in der Öffentlichkeit überzeugen können. Ohne von Beust und das grüne Duo Goetsch/Hajduk käme Schwarz-Grün nicht zustande. Sie sind auch in Zukunft die Garanten für dieses schwierige Bündnis, das sich im Kreuzfeuer der Kritik ja erst noch bewähren muss.

2) Hamburg ist ein gutes Beispiel für ein neues Koalitionsverständnis. Dabei geht es nicht um "gemeinsame Schnittmengen". Hamburg kann zeigen, dass "Ergänzung" besser als "Überschneidung" ist. Gerade das Fehlen gemeinsamer Schnittmengen bringt Vorteile der Nichtkonkurrenz. Dagegen schafft die Nähe ihre eigenen Probleme: Konkurrenz auf dem gleichen Terrain, Kampf um ähnliche Wählergruppen, Unklarheit der Erfolgszurechnung. Das Hamburger Beispiel zeigt die Vorteile einer Politik der Differenz.

Die CDU repräsentiert weniger als die Hälfte der Gesellschaft, Kompetenz wird ihr nur bei Wirtschaft, Finanzen, innerer Sicherheit zugerechnet. Damit lässt sich keine Stadt regieren, auch nicht mit einem guten Regierungschef. Es fehlen die Kompetenzen für Schule, Bildung, Familie, Soziales, Integration, Klima und Umwelt, Bürgerrechte. Auf all diesen Feldern gibt es rot-grüne Kompetenzmehrheiten und starke Werte der Grünen. Was liegt näher, als die zwei Seiten der Medaille zusammenzubringen? Das schließt Konflikte zwischen Wirtschaft und Ökologie, Sozialem und Finanzen, Teilhabe und Elitenförderung nicht aus. Kompromissfähigkeit und die Bereitschaft zur Berücksichtigung breiter gesellschaftlicher Interessen brauchen beide.

3) Zu den günstigen Rahmenbedingungen gehören die Kontinuität einer liberalen politischen Kultur, eine gute Konjunktur und eine Springer-Presse als Beust-Fanclub, die bislang auch die Grünen schützt. Hamburg ist eine rot-grüne Stadt, in der die Grünen die rot-grüne Agenda und Werteskala vertreten und mit der CDU die Regierung bilden, weil die SPD die Finanz-, Wirtschafts- und Sicherheitskompetenz verloren hat.

Die grünen Wähler erwarten von der Partei eine Politik der sozialen Gerechtigkeit. Eine moderne Agenda setzt dabei Armut, Bildung und Teilhabe vor alles andere. Trotz Beiträgen zur Armutsbekämpfung ist die anspruchsvolle Schulreform das Schlüsselvorhaben zur Umverteilung zukünftiger sozialer Chancen, die wesentlich auf Bildung beruhen. Dabei muss man aushalten, dass die Folgen für ein definitives Mehr an sozialer Gerechtigkeit sehr viel später als die Reform eintreten. Das Zusammenführen von Bildungs- und Gerechtigkeitsfrage gehört zu den Chancen, die sich in Hamburg eröffnen.

Lager, die nicht gebraucht werden, verfallen. Noch sind die alten Lager (Rot-Grün, Schwarz-Gelb) in den Köpfen der Wähler präsent, aber sie erodieren von unten, von den Kommunen und Ländern her. Und von den Problemen her. Die Linkspartei ist heute der eifrigste Betreiber neuer Lagerbildung, mit Frontstellung zur Union und eigenem Programmunterwerfungsanspruch. Eine autoritäre Form der Lagerbildung, die SPD und Grüne einbinden soll. Das kann schon deshalb nicht gutgehen, weil man nicht gleichzeitig an Lagerpolarisierung und an Lagerrelativierung mitwirken kann. Große Koalition, Schwarz-Grün, Ampel, Jamaika, all diese lagerübergreifenden Kombinationen sind Reaktionen auf die Lagerpolitik der Linkspartei. Erst wenn die Linke das Konzept offener Parteibeziehungen akzeptiert, kann auch Rot-Rot-Grün eine ganz normale Koalition im Fünfparteiensystem werden.

Schwarz-Grün ist kein Projekt. Man bildet keine Wertegemeinschaft, behält seine unterschiedlichen Milieus, Stile und Generationserfahrungen. Man braucht nicht den Kult gemeinsamer Fraktionssitzungen. Schwarz-Grün ist ein Bündnis auf Zeit. Das muss in der Demokratie genügen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.