Das Interview: "Meine Schüler finden es irre, dass ich Hippie war"

Er war mit Rudi Dutschke befreundet, kämpfte beim SDS für die Revolution und lebte als umherschweifender Haschrebell in Charlottenburg. Günter Langer war vor 40 Jahren mittendrin. Wie sieht er 68 heute? Interview: Nina Apin

"Mal pennte man hier, mal da": Günter Langer lebt heute im Reihenhaus Bild: Wolfgang Borrs

taz: Herr Langer...

Als Benno Ohnesorg erschossen wurde, war Günter Langer ganz in der Nähe: Er hatte sich am 2. Juni 1967 mit anderen Anti-Schah-Demonstranten in die Krumme Straße gerettet, rannte nur nicht auf den Hof, aus dem wenig später die Schüsse tönten. Das hielt Langer für Böller, echte Schüsse hatte er noch nie gehört.

1967 lebte der 20-jährige Volkswirtschaftsstudent bei den Eltern in Britz, zum Revolutionsprofi wurde er erst später: Er engagierte sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), freundete sich mit Rudi Dutschke an und gründete mit ihm das "Internationale Nachrichten- und Forschungsinstitut" (Infi). Auch sonst ließ Langer, der nun in einer Kommune wohnte, nichts aus: Er ließ sich in der K1 von Rainer Langhans die Seele untersuchen, verkrachte sich mit dem späteren Namenspatron des "Rauch-Hauses", Georg von Rauch, und wohnte mit Bommi Baumann bei Gammlern.

Nach wilden Jahren als "umherschweifender Haschrebell" wurde er Lehrer an einer Kreuzberger Handelsschule. Heute genießt der 61-Jährige mit seiner zweiten Frau die Altersteilzeit zwischen Rudow und Florida. Die taz empfing er im Wohnzimmer des Eigenheims - im karierten Hemd, aber mit Nietengürtel: wohl, um die jüngere Generation nicht zu enttäuschen.

Günter Langer: Ach, so ist das jetzt bei der taz, man siezt sich? Aber gut, Sie sind jung. Und ich soll von damals berichten. Womit soll ich anfangen: SDS, Infi, Wielandstraße, Haschrebellen?

Rudi Dutschke wäre für eine Nachgeborene ein guter Einstieg. Sie arbeiteten zusammen beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und waren befreundet. Wie erfuhren Sie von dem Attentat?

Ich war gerade dabei, das neu gegründete Forschungsinstitut des SDS am Kudamm zu renovieren. Das Institut sollte Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt gegen den Imperialismus unterstützen. Die Räume stammten von meinem Vater, er hatte uns sein ehemaliges Versicherungsbüro zur Miete überlassen. Am 11. April 68 saß ich auf einer Großlieferung Bücher von Feltrinelli...

Feltrinelli?

Der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli, bekannt durch die Veröffentlichung von Boris Pasternaks "Doktor Schiwago", das in der Sowjetunion nicht erscheinen durfte.

Danke.

Er hatte uns eine Bibliothek, Reprints der internationalen Arbeiterbewegung, im Wert von 50.000 Mark geschenkt, die ich vom Zoll abgeholt hatte. Ich saß zwischen Kisten und unmontierten Bücherregalen und wartete auf Rudi. Aber er kam nicht. Irgendwann erreichte mich die Nachricht vom Attentat. Ob er noch lebte, wusste man nicht. Ich fuhr erst einmal zur Demo vor dem Springer-Hochhaus, wo schon eine Menge Leute waren.

Waren das nur Studenten, die dort ihrer Wut gegen Springer Luft machten?

Nein, ein dreiviertel Jahr nach dem 2. Juni 67...

...der Ermordung Benno Ohnesorgs bei einer Demo durch einen Polizisten...

...erlebte die Linke eine große Solidarisierungswelle. Nicht nur an den Unis. Unsere Bewegung hatte längst die Stadt erfasst: Jugendliche, Schüler und versprengte Linke, wie mein Vater, der als ehemaliger Kommunist frustriert war von der politischen Entwicklung. Unsere Position war für viele interessant geworden. Rudi war in dieser Zeit ständig unterwegs, hielt Vorträge.

Und auf dem Höhepunkt der Popularität wurde er angeschossen.

Dadurch gab es einen weiteren Aufschwung. Aber auch die Feindschaft von der anderen Seite wurde größer: Presse, Senat und die Mehrheit der Berliner Bevölkerung hassten uns. Das Klima war unglaublich aufgeheizt. Wäre ich mit meinen Freunden in eine Neuköllner Kneipe gegangen, hätte es vermutlich eine Prügelei gegeben.

Also trafen Sie sich in Charlottenburger Studentenkneipen. Dort, so stellt man sich das heute vor, wurde pausenlos Revolution gemacht.

Mag sein, aber die wichtigen Entscheidungen wurden im SDS-Zentrum am Kudamm getroffen. Auf den Versammlungen diskutierten vorwiegend die älteren, erfahrenen Genossen, was möglicherweise vorher abgesprochen war. Ich war erst 21 und ein Küken im SDS, sodass ich manchmal Mühe hatte, die wirklichen Beweggründe für bestimmte Redebeiträge oder Entscheidungen zu erfassen.

Aha?

Ja, aber einige Genossen wollten Transparenz. Dutschke schien mir ein solcher Genosse zu sein. Er war nicht arrogant, nahm alle ernst. Aber er gehörte ja auch zum antiautoritären SDS-Flügel.

Sie haben ihn bewundert!

Das kann man so sagen, ja. Er hatte Charisma und Ideen, er konnte mitreißen. Seine Reden werden heute als schwer verständlich beschrieben.

Ich dachte, es liegt an meinem Alter, dass ich diese Dutschke-Reden nicht verstehe.

Ich war damals allerdings der Meinung, ich hätte sie verstanden. Dutschkes Stärke war die Rhetorik, das Auftreten.

Und er sah gut aus!

Finden Sie? Damals war er ganz und gar kein Frauentyp: ziemlich klein, mit dieser schwarzen Haarsträhne. Aber er war unheimlich belesen. Er las ständig, versuchte die Geschichte der von den Nazis zerstörten linken Bewegung aufzuarbeiten. Das konnte er alles aus dem Effeff zitieren. Damit machte er Eindruck - als Popidol taugte er nicht.

Er war auch verheiratet. War das damals nicht extrem uncool?

Für mich war es okay, er war ja älter. Aber andere, die mit ihm eine Kommune gründen wollten, nahmen ihm übel, dass er stattdessen Gretchen heiratete. Die Kommune 1 gab es dann trotzdem, wie Sie sicher wissen. Nur ohne Dutschke.

Sie dagegen waren jung und unverheiratet, saßen aber auf einem Haufen Bücher. Musste man sich damals entscheiden zwischen Politik und Spaß, SDS und Kommune?

Das schloss sich nicht aus. Ich zog selbst auch in eine Kommune. Nur nicht in die K1, wo man jeden Abend seine Seele auf den Tisch legen musste. Ich hab mal an einer vorbereitenden Sitzung der K1 teilgenommen - aber fühlte mich dafür noch zu unerfahren. Leute wie Dieter Kunzelmann konnten jeden in Grund und Boden reden. Dem hätte ich damals nicht standhalten können.

Sie zogen lieber mit den späteren Stadtguerilleros Georg von Rauch und Bommi Baumann zusammen in die Wielandstraße. Wie darf man sich so eine Sponti-WG vorstellen?

Das hieß damals nicht WG, sondern Kommune! Wir wohnten nicht einfach zusammen. Wir wollten gemeinsam revolutionär wirken, eine Einheit von Leben und Politik bilden - ohne Privateigentum. Die Wohnung, die uns Otto Schily zur Verfügung stellte, war ideal. Wir schliefen zu acht im Berliner Zimmer, aßen zusammen, planten Aktionen. Ab und zu kam mein Vater, brachte uns Essen und Geld. Der fand ganz gut, wie wir lebten.

Und die freie Liebe überließen Sie der K1?

Nein, das praktizierten wir auch, nur ohne Psychoterror. Trotzdem verkrachten wir uns schon nach vier Monaten. Bommi Baumann und ich zogen aus und krochen in einer Hascher- und Fixerkommune in der Lietzenburger Straße unter. Dort wohnten Hippies aus der ehemaligen Gammlerbewegung, die seit Anfang der 60er existierte. Aber die flogen bald raus, weil sie nie Miete zahlten. Danach hatte ich keine feste Wohnung mehr, schweifte nur noch umher.

Sie gehörten zu den "umherschweifenden Haschrebellen". War das eine poetische Umschreibung für totales Durchhängen?

Klar, das Studium litt. Ich vergaß sogar, mich zurückzumelden. Aber der Begriff "Haschrebellen" trügt vielleicht. Ich war nie von irgendeiner Droge abhängig, von morgens bis abends zu kiffen war für mich nie ein Lebensinhalt. Es ging mir vor allem um Kontakte zur Szene, die sich nach 1968 kaum noch an der Uni abspielte.

Was passierte mit dem SDS-Forschungsinstitut, das Sie aufbauen wollten?

Mit dem Infi waren wir Jüngeren überfordert: Rudi war weg, der Mitgründer Gaston Salvatore spurlos verschwunden und der Mietvertrag lief aus. Es gab zwar Arbeitskreise und Publikationen, aber die Bedeutung, die wir uns erhofft hatten, erreichte das Infi nie. Einige Genossen, die dort Arbeitskreise leiteten, gründeten später eine maoistische Partei und nahmen unsere Bibliothek gleich mit. Rudi hätte das mit Sicherheit verhindern können, aber ich hatte dazu keine Chance.

Hatten Sie damals noch Kontakt zu Dutschke?

Anfangs nicht, es ging ihm so schlecht, dass er erst wieder sprechen lernen musste. Wiedergesehen habe ich ihn erst im Sommer 1969, als er bei Erich Fried in London war. Ich kam mit Baumann und zwei von den Haschrebellen vorbei. Es war ermutigend: Rudi war wach und sehr interessiert an dem, was wir in Berlin machten. Nur seine Frau war ein bisschen schockiert von uns militant erscheinenden bunten Vögeln.

Machten Sie damals noch was Politisches?

Um 1969 zersplitterte der antiautoritäre Flügel des SDS: Die einen wollten Stadtteilarbeit machen, andere Medienkampagnen wie "Enteignet Springer". Die Dutschke-Fraktion hatte als Zielscheibe den Imperialismus. Irgendwann konnte man sich nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Man war über die Universität hinausgewachsen, die Stadt wartete auf neue Ideen. Damit war eine Studentenorganisation wie der SDS überfordert: Er löste sich auf. Es gab zwar die APO und den Revolutionären Club und so weiter, aber eine Figur wie Dutschke gab es nicht mehr.

Und die Kommunarden Rainer Langhans und Fritz Teufel?

Die haben ganz gut mit den Medien gespielt und waren dementsprechend in der Öffentlichkeit. Mit Sicherheit halfen sie damit, unsere Ideen landesweit bekannt zu machen. Aber sie hatten nie den Anspruch, organisierend zu wirken. Damit wären sie ohnehin überfordert gewesen.

Ärgert es Sie, dass 68 heute oft auf Spaß und freie Liebe reduziert wird?

Nein, für mich waren meine Kommunenjahre eine schöne Zeit: Man pennte mal hier, mal da, jeweils bei einer anderen Frau. Das war nicht, wie manche heute sagen, eine Machokiste. Eher umgekehrt. Ich traf nicht nur einmal eine Genossin auf der Straße oder in der Kneipe, die sagte: "Heute bist du mal dran, heute gehst du mit mir ins Bett."

Und was setzte dem Spaß ein Ende - das erwachende Karrierebewusstsein oder die erste ernsthafte Zweierbeziehung?

Eher der Zerfall der Bewegung, die Gründung der K-Gruppen, inklusive der Guerillagruppen. Ich war Redakteur bei der Zeitschrift 883, wo fast alle Gruppen publizierten. In einem Text sollte ein Polizeispitzel zum Abschuss freigegeben werden. Da musste ich Farbe bekennen, ich verhinderte den Abdruck. Vendetta war nicht meine Sache.

Also zogen Sie die Reißleine und gingen wieder studieren?

Die letzte große Sache war die Demo im Frühjahr 1970 gegen den Überfall der USA auf Kambodscha, die maßgeblich von 883 und den Haschrebellen organisiert wurde. Das war der Höhepunkt dieser Bewegung, danach war sie tot. Einige gingen in den Untergrund, andere zogen sich aufs Land zurück. Ich fing wieder an zu studieren und zog in eine Politkommune, die einer heutigen WG glich.

Also die schleichende Rückkehr zur bürgerlichen Lebensform?

Ich zog mich später tatsächlich mit einer Frau aus der WG in eine Kleinfamilie zurück. Zusammen sind wir nicht mehr, aber wir haben einen Sohn.

Sind Sie Lehrer geworden, um die Gesellschaft aus ihren Institutionen heraus zu verändern?

Ach nee, das war eher Zufall, dass ich in einem Kreuzberger Oberstufenzentrum landete. Ins Referendariat musste ich mich meiner politischen Vergangenheit wegen einklagen - das tat ich schon aus Prinzip.

Können Ihre Schüler mit Ihrer Vergangenheit was anfangen?

Die finden es irre, dass ich Hippie war und gegen Krieg. Alles andere kann man heute schwer erklären. Dem Antiautoritären fühle ich mich immer noch verpflichtet. Der erlernte kreative Umgang mit Regeln kommt mir im Berufsleben zugute.

Ihre rebellische Phase war also keine verlorene Zeit?

Viele bedauern, die Revolution nicht geschafft zu haben. Aber ich fühle mich nicht als Verlierer. Vieles, was wir damals vertreten haben, ist heute selbstverständlich. Dass wir Krieg und Hunger auf der Welt nicht beenden konnten, nun gut. Das ist damals wie heute Aufgabe aller.

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