Gesellschaft in Bewegung: Glasnost-Atmosphäre auf Kuba

Während an Kubas Spitze der Wachwechsel vollzogen wird, herrscht Aufbruchstimmung. Funktionäre müssen sich Fragen stellen lassen, die lange undenkbar gewesen sind.

"Revolution heißt, all das zu ändern, was geändert werden muss": Straßenbild in Havanna Bild: dpa

HAMBURG taz Unerhörte Dinge geschehen auf Kuba. Während sich oben der lang erwartete Wachwechsel von Fidel zu Raúl vollzieht, kommt die Gesellschaft auch von unten in Bewegung. Von einer "Revolution innerhalb der Revolution" gar spricht die Parteizeitung. Was ist passiert?

Vor einem halben Jahr hatte Raúl Castro Bürger, Medien und Parteikader zu mehr Debatten und Kritik aufgerufen. Die üblichen Betriebsversammlungen entsprachen zunächst dem, was die Kubaner "Fahrstuhl-Dialog" nennen: Hinter geschlossenen Türen und in vorsichtiger Sprache wurden Probleme benannt, auf dass sie zwecks Information der Staatsführung emporgereicht würden. Mehr als eine Million Eingaben habe man auf diesem Weg erhalten, bilanzierte Raúl im Dezember.

Doch dabei blieb es nicht. Inzwischen müssen sich die Funktionäre Fragen stellen lassen, so direkt, selbstbewusst und respektlos, wie das in der Vergangenheit undenkbar war. Prominent geworden etwa ist das Treffen der Studenten der Informatikuniversität UCI mit Parlamentspräsident Ricardo Alarcón. So offen, wie früher kaum denkbar, flogen dem Spitzenfunktionär Fragen um die Ohren: von der Kluft zwischen Devisenshops und Peso-Gehältern bis zum Verbot von Google und Yahoo, von fehlender Reisefreiheit bis zur Einheitsliste bei Wahlen. Doch die Debatten werden auch öffentlicher geführt. Ein Videomitschnitt der Diskussion mit Alarcón ist bei YouTube weltweit zu sehen.

Auch auf der Insel machen solche Ereignisse rasch die Runde. Während nur wenige Kubaner regelmäßigen Zugang zum World Wide Web haben, entwickeln sich E-Mails immer stärker zu einem horizontalen Medium, das die staatlichen Verlautbarungsorgane wirkungsvoll umgeht. Die Angestellten der deutschen Botschaft etwa haben per E-Mail ihren Protest gegen den Plan artikuliert, eine neue Steuer auf die Deviseneinkünfte derjenigen Kubaner zu erheben, die über staatliche Leiharbeitsfirmen an die Joint-venture-Betriebe und Botschaften vermittelt werden. Nicht die Steuer an sich ist der Skandal, sondern die Tatsache, dass sie kommt, ohne dass die in harter Währung gezahlten Gratifikationen bisher formal als Gehälter legalisiert sind.

Obwohl diese "Glasnost von unten" offenkundig eine Herausforderung darstellt, ist es umso bemerkenswerter, dass die Führung unter Raúl der Öffnung weiterhin den Rücken stärkt. Ein Leitartikel in der Parteizeitung verdammte die internationalen Medien, die in dem Video der Studenten mit Alarcón politisch Brisantes sehen wollten - solche Selbstkritik sei für die kubanische Revolution das Normalste der Welt, nämlich genau das, wozu Raúl aufgerufen habe. Das Problem sei allenfalls, dass Kubas Medien in der Vergangenheit in der kritischen Reflexion nicht konsequent genug gewesen seien. Womöglich sei der internationale Medienhype um das Studentenvideo ja auch eine Provokation, um zu erreichen, dass die kubanische Führung diese Öffnung wieder bremse - das aber würden die Gegner der Revolution nicht erreichen. Zur Absicherung endet der Leitartikel mit dem Verweis auf ein sieben Jahre altes Fidel-Zitat: "Revolution heißt, all das zu ändern, was geändert werden muss." Genau das setze man nun in die Tat um.

Fidel ist nun nicht mehr in der Position, um zu erklären, ob er sich mit dieser Interpretation wirklich richtig verstanden fühlt. BERT HOFFMANN

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