Grüner Özdemir zum Ludwigshafen-Brand: "Erdogan macht's besser als Böhmer"

Grünen-Politiker Özdemir lobt den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Ludwigshafen - und Schäubles Kooperationsbereitschaft.

"Erdogan hat alles richtig gemacht": Europaabgeordneter Cem Özdemir Bild: dpa

taz: Herr Özdemir, ist Recep Tayyip Erdogan der neue deutsche Integrationsminister?

Cem Özdemir: Zumindest macht er seine Sache besser als Frau Böhmer. Die erinnert mich an die Frau Rottenmeier aus "Heidi", die immer mit erhobenem Zeigefinger sagt, was man nicht darf.

Wie bewerten Sie Erdogans Auftritt am Donnerstag in Ludwigshafen? Seitdem mäßigen sich die türkischsprachigen Zeitungen hierzulande im Ton. Statt von Verdächtigungen war gestern in der Hürriyet unter der Überschrift "Schürt kein Misstrauen" zu lesen: "Wir wollen zusammenleben."

Erdogan hat alles richtig gemacht: Er war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und hat den richtigen Ton getroffen. Aber das grundsätzliche Problem wird dadurch natürlich nicht gelöst: die schrillen Töne in den türkischsprachigen Medien. Allerdings darf man nicht über Hürriyet reden, ohne über die Bild zu reden. Die beiden sind Brüder im Geiste.

Was macht die türkische Regierung für die Integration der Deutschtürken?

Besser als frühere Regierungen hat sie zumindest erkannt, dass das ganze Gerede von Diaspora der Vergangenheit angehört. Die türkischen Politiker singen nicht mehr das hohe Lied vom unterdrückten, armen Opfermigranten, sondern weisen die Leute darauf hin, dass sie sich einbürgern lassen und am politischen Prozess teilnehmen sollen. Sie wollen, dass die Leute die Sprache lernen und die Möglichkeiten des Bildungssystems nutzen. Aber die Probleme der Migranten werden nicht in Ankara gelöst. Sie müssen hier gelöst werden.

Spricht nicht der Einsatz von Ermittlern aus der Türkei in Ludwigshafen dennoch für ein grundsätzliches Misstrauen?

Das war von beiden Seiten ein kluger Schachzug. Bundesinnenminister Schäuble hat richtig reagiert, indem er das zugelassen hat. So hat er Spekulationen, dass möglicherweise etwas vertuscht würde, im Keim erstickt. Das hat Druck rausgenommen.

Viele haben nach dem Brand in Ludwigshafen an den Brandanschlag in Solingen gedacht, bei dem 1993 fünf Mitglieder der Familie Genç starben.

Ich kann diesen Reflex gut nachvollziehen, auch dass viele diese Angst haben und hoffen, dass es kein Anschlag war. Aber egal was die Brandursache war, es macht die Toten nicht wieder lebendig. Der Schmerz der Hinterbliebenen bleibt. Der aber spielt sowohl in der deutschen als auch in der türkischen Öffentlichkeit eine zu geringe Rolle.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl ist nicht nach Solingen gereist und hat sich sogar abfällig über "Beileidstourismus" geäußert. Von Ihnen wird erzählt , dass Sie deshalb beschlossen haben, Abgeordneter zu werden.

Ja, Mölln und Solingen waren wirklich eines der Motive. Aber auch Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, diese rechtsradikalen Aufstände am helllichten Tag und mit Massenbeteiligung. Damals traf auch der Vorwurf zu: Die Polizei hat nicht eingegriffen. Das ist ein wichtiger Unterschied zu heute.

Meinen Sie, andere Deutschtürken reagieren auf den Brand in Ludwigshafen oder auch auf den hessischen CDU-Wahlkampf ähnlich wie Sie damals auf Solingen? Sehen Sie einen Mobilisierungseffekt? Oder wird eher Resignation die Folge sein?

In der breiten Bevölkerung gibt es eine Verunsicherung und ein zutiefst empfundenes Misstrauen. Aber es gibt auch die gegenteilige Entwicklung. und die macht mir Hoffnung: dass ein Teil der Vorsitzenden in den Organisationen, wie Kenan Kolat von der Türkischen Gemeinde oder Ali Ertan Toprak von der Alevitischen Gemeinde und einige andere, die ich kenne, sich vom Diktat der türkischen Zeitungen befreien, die Tagesordnung bestimmen und mithelfen wollen, dass die Deutschtürken in dieser Gesellschaft ankommen. Dafür fordern sie auch ein, dass sie Gehör finden und nicht nur von Frau Böhmer zum Kaffee eingeladen werden, ohne dass sich irgendetwas ändert.

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