Unterwandern und untergraben

AUSSTELLUNG Kann Kunst gleichzeitig affirmativ und subversiv sein? Fragen wie diesen geht die Gruppe Bewegung Nurr im Projektraum Spor Klübü in Wedding noch bis heute nach

■ ist eine Berliner und Dresdner Künstlergruppe. Alekos Hofstetter, Christian Steuer und Daniel H. Wild begannen als Graffitikünstler in der Dresdner Neustadt. In Videos, Gemälden und Installationen beschäftigen sie sich seit 1989 mit Markt und Medien, Marketing und repräsentativen Codes in westlichen Gesellschaften. In der aktuellen Schau haben sie diverse KünstlerInnen eingeladen, zu diesen Themen zu arbeiten. Zuletzt hatten sie dem Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann in Dresden ein temporäres Denkmal errichtet.

www.nurr.net

VON MARCUS WOELLER

Als sich Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin, München oder Wien die Secessionen gründeten, hat das niemand subversiv genannt. War es aber. Die Künstler, die den Aufbruch in die Moderne vollzogen, lehnten sich gegen die herrschende Ordnung im Kunstbetrieb auf. Sie untergruben die Hegemonie der Kunstakademien und organisierten selber Ausstellungen, die mit den hierarchischen Gepflogenheiten brachen. Auf lange Sicht zersetzten sie die Vormachtstellung der angepassten Künstlerschaft und gelten heute als die wirklichen Erneuerer. Vor allem jene, die die bald schon wieder etablierten Secessionen durch Neue Secessionen unterwanderten.

Mittlerweile sind subversive Strategien längst zum Mainstream geworden. Was Künstler Hand in Hand mit Philosophen während der Sechzigerjahre noch als Situationismus und Kommunikationsguerilla formulierten, nennt sich heute PR. Werbeagenturen nerven mit Viralem Marketing und Eventkultur. Ehemals subversive Avantgarde wie die Street-Art hat sich von der Konsumgüterindustrie vereinnahmen lassen.

Der Tabubruch funktioniert vor allem als kommerzielle Pose. Inwieweit ist Subversion, bezogen auf die Kunst, überhaupt noch möglich oder zielführend? Das fragt die Gruppe Bewegung Nurr und hat andere Künstler und Theoretiker eingeladen, sich an der Ausstellung „Subversion & Abgrund“ zu beteiligen, die heute mit einer Abschlussdiskussion zu Ende geht.

Die Bewegung Nurr wurde 1989 von Alekos Hofstetter, Christian Steuer und Daniel H. Wild in Dresden gegründet und beschäftigt sich nach eigener Aussage mit den „omnipräsenten Marketing- und Repräsentationscodes der westlichen Dienstleistungsgesellschaft“. Für die Ausstellung hofft sie jedenfalls auf den künstlerischen Anspruch, die bestehende gesellschaftliche Ordnung aus Machtkonzentration, Autorität und Abhängigkeit verändern zu wollen. Doch ist Unterwanderung überhaupt noch eine Alternative? Oder stehen die Umstürzler selbst am Abgrund?

Eine Antwort auf die Frage, ob sich Subversion und Erfolg ausschließen oder ob ein subversives Image dazu geeignet ist, im Establishment anzukommen und vielleicht auch am Markt zu bestehen, könnte Andreas Koch haben. Er hat viele Jahre eine Galerie betrieben, arbeitet als Künstler und gibt die Kunstzeitschrift Vonhundert heraus. In der Ausstellung zieht er sich elegant mit einem Reenactment aus der Affäre, also der Wiederinszenierung einer Arbeit, die er vor zehn Jahren schon einmal gemacht hat.

Im Unterschied zum Video von einst trägt er im neuen Loop nur kürzere Haare und eine Brille. Was er damals über seine Biografie und Arbeit sagte, kann er mit der gleichen Betonung und der gleichen Aussage auch heute wiederholen.

Sein Namensvetter Andreas A. Koch und Peter Funken betätigten sich als Kunsträuber. In einer kleinen Wandinstallation versammeln sie unter anderem ein Steinchen der Pyramiden von Gizeh, einen Fetzen Filz von einem Beuys-Objekt, das Puzzleteil einer Arbeit von Yoko Ono und einen Keilrahmen von Imi Knoebel. Gefunden oder gestohlen? Die Frage kann man bei so manchen berühmten Exponaten in den Museen auch stellen – Nofretete lässt grüßen.

Rainer Bellenbaum beweist, dass selbst der Anarchismus untergraben werden kann. Man muss ihn nur mit den eigenen Waffen schlagen. Er zitiert ein Statement des amerikanischen Künstlers Christopher D’Arcangelo, der mit anarchistischen Aktionen gegen Museumsinstitutionen opponierte. Indem Bellenbaum allerdings alle Vokale aus dem Zitat entfernt, wird es nahezu unlesbar.

Auch auf einem Foto von Robert Sokol und der Bewegung Nurr ist augenscheinlich ein subversiver Akt dokumentiert. In schönstem Sprayerlatein wurde etwas auf die hölzernen Einbauten in der denkmalgeschützten Halle der Neuen Nationalgalerie gesprüht: „Tamen subversione affirmatur“, was wohl in diesem Fall so viel heißt wie „Trotzdem wird der Umsturz bekräftigt“. Tatsächlich wurde hier nichts direkt auf eine Wand geschrieben, der Fake wirkt nur auf den ersten Blick real. „Ein interessanter Lösungsansatz für diese Unwirksamkeit von Subversion liegt daher in ihrem Gegenteil, nämlich in der Affirmation“, erklärt Daniel H. Wild.

„Kann man ein System dadurch unterwandern, indem man es völlig bestätigt?“, fragt sich Wild weiter. Und kommt zu dem Ergebnis: „Diese Überlegung gibt dem Prinzip Subversion eine ironische Utopie zurück: Nur durch eine vollendete Bestätigung kann das System seiner Macht beraubt werden, obschon auch diese Umkehrung genauso naiv wie der Glaube an eine subversive Kraft ist“, sagt Wild. Die Rückkehr zur Subversion wird also vorerst wohl ein Traum bleiben.

■ Podiumsdiskussion zum Thema „Subversion und Kunst“. Teilnehmer: Julia Lazarus, Kerstin Karge, Jens Meinrenken, Andreas Koch. Moderation Peter Funken. Beginn 19 Uhr. Danach um 21 Uhr Liveperformance von Burqadizcomaschine. Projektraum Spor Klübü, Freienwalder Str. 31, Wedding