Kreuzberger Immobilienentwicklung: Kreativ im Rigipswürfel

Ein Kreuzberger Unternehmen zieht nach Brandenburg und ein Partymacher wird Objektmanager. Die Geschichte des Aqua-Butzke-Carrés.

An der Ritterstraße Ecke Lobeckstraße ist Kreuzberg vergessen und öde. Der Bombenangriff vom Februar 1945 und die Bausünden der Siebziger haben Freiflächen und Plattenbauten zu einer stadträumlichen Vorhölle gemacht. Die betritt nur, wer hier wohnen muss oder sich einen Pritschenwagen ausleihen will, um in hoffentlich glücklicheren Gefilden zu landen.

Das war mal ganz anders: Die vergessene Ödnis unweit des Moritzplatzes war vor dem ersten Weltkrieg das sogar im Ausland berühmte "Exportviertel": Es gab Druckereien, Bechsteins Klaviere, Lampenfabriken, Elfenbeinschnitzer, Textil-, Metall- und Papierwarenfabriken. Und Aqua Butzke. Die Herstellerfirma für Badezimmerarmaturen, vor 135 Jahren gegründet, hielt es hier auch in der Mauerzeit aus. 1997 zog sie jedoch ins brandenburgische Umland, nach Ludwigsfelde. Der denkmalgeschützte Gründerzeit-Fabrikhof mit einem 70er-Jahre-Vorbau von ausgesuchter Hässlichkeit stand nun leer. Zehn Jahre lang.

Heute regiert hier die Kreativindustrie. 80 Ateliers sind eingerichtet und allesamt bezogen, von Textildesignern über Tanzstudios, Schmuckateliers bis zum Miniplattenpresswerk. Fünf Euro warm pro Quadratmeter zahlen die Hoffnungsvollen oder bereits Etablierten, die hinter neu eingezogenen Rigipswürfeln ihrem Tag- oder Nachtwerk nachgehen.

Von außen ist das neue Leben im Butzke-Werk oder "Aqua-Carré", wie es jetzt heißt, bislang kaum zu erahnen. Die einstige Pförtnerloge ist verrammelt, das alte Firmenschild verblichen, auf dem ersten der beiden Höfe liegen Müll und ein angeschlagener Pflanzenbetonkübel. So sah es hier auch aus, als Conrad von Rössing vor zwei Jahren hier vorbeikam - auf der Suche nach neuen Party-Locations. Rössing, 37, war Clubmacher, das "Helsinki" war sein Laden. Nun ging es ihm darum, ein neues Haus aufzutun, in Besitz zu nehmen, unauffällig. Nachts, temporär.

Es kam alles ganz anders. Conrad von Rössing, der smarte Niedersachse mit halblangen braunen Haaren, BWL-Absolvent und Freizeitkicker, der in T-Shirt und mit Jungslächeln durch Flure und Treppenhäuser des Industriehofs jagt, ist heute Objektmanager des Aqua-Carrés. Nachdem Aqua Butzke auszog, kaufte der Investor Norddeutsche Grundvermögen aus Hamburg das Areal. Rendite sollten Edel-Lofts für die Neue Mitte bringen. Doch dass die nicht an den Moritzplatz ziehen wollte, war auch den Hamburgern schnell klar. Bis 2006 brachten zumindest noch die Abschreibungen für den Leerstand Steuervorteile, dann wurde das Gesetz geändert. Es musste also etwas passieren. Was passierte, war Conrad von Rössing: Er hatte die Kontakte und den Stil für die einzige Berliner Wachstumsindustrie - für das Kreativmilieu, das auf der Suche nach günstigen Arbeitsräumen war.

"Eine billige Wohnung findest du schnell in Berlin", sagt Siebdruckdesigner John Mitchell aus London, der als einer der Ersten in sein Erdgeschossatelier im Aqua-Carré einzog. "Dafür kommen die Leute von überall her in diese Stadt. Aber bei Gewerberäumen wird es schwieriger. Alle wollen Sicherheiten." Conrad von Rössing will zwei Monatsmieten Kaution, aber nicht vorab. "Und bisher haben auch alle pünktlich ihre Miete gezahlt", sagt er und lächelt. "Ich bin ja auch jeden Tag im Haus und kann den Leuten notfalls auf die Nerven gehen." John Mitchell grinst - dann wendet sich der kleine Londoner wieder dem Arbeitstisch zu. Die Termine drängen, er ist gut im Geschäft.

Auch Heike Mühlhaus kann sich über Auftragsmangel nicht beklagen. Die Produktdesignerin machte sich schon in den Achtzigern mit dem Label "Cocktail" einen Namen - Design aus Westberlin, genauer: aus Kreuzberg. Für Mühlhaus ist der Umzug in die oberste Etage des alten Fabrikbaus mit Keramikatelier und abgeteiltem Büroraum also eine Rückkehr. "Ich wohne in Mitte, und jetzt bin ich zumindest mit meiner Arbeit wieder in Kreuzberg. Das finde ich sehr schön."

Von Kreuzberg aber bekomme man hier fast nichts mit, sagen Sabrina Dehoff und Till Helmbold. Und die Versorgung mit ordentlichen Croissants lasse in der direktem Umgebung auch zu wünschen übrig, lästern die Schmuckdesignerin und der Grafikdesigner, der unter anderem für Herbert Grönemeyer die Website entwarf, augenzwinkernd. "Aber dann geht man eben wieder mal die Oranienstraße runter", fügt Helmbold hinzu, "das bringt neue Horizonte." Die beiden Designer sind überzeugte Prenzlberger, dort wohnen sie, ihr letztes gemeinsames Büro war in Mitte. Sie fremdeln hier noch ein bisschen.

Eine riesenhafte Künstler-WG ist das Haus auf keinen Fall, das wird schnell klar. Die Flure der einst großzügigen Fabriketagen sind durch die Einbauten verengt und ungastlich, zu den Treppenhäusern sind schwere Stahltüren aufzustemmen. Eine Sicherheitsmaßnahme. "In jedem Büro sind Werte, und eine Rigipswand ist kein Schutz, das akzeptiert keine Versicherung", erklärt Conrad von Rössing. Es gab bereits Einbrüche. So hat nun jeder Mieter einen Schlüssel, mit dem er in sein eigenes Stockwerk kommt, an jeder Tür prangen Ermahnungen auf Deutsch und Englisch, die Türen nach 18 Uhr verschlossen zu lassen. "So hat man ganz wenig miteinander zu tun, wir sind sehr abgeschottet", resümiert Sabine Dehoff. "Eine Freundin ist auch hier im Haus, aber in einem anderen Flügel - um sie zu besuchen, muss ich einmal außen herumgehen."

Sebastian Bagge, der mit seinem Magazin 44 flavours gerade am anderen Ende des Komplexes eingezogen ist, sieht das anders. "Ich kann hier überall klopfen und die Leute um Rat fragen, das ist ein sehr offenes Haus", findet er und wendet sich dann wieder seinem Monitor zu.

Conrad von Rössing wirft kurz einen Blick in die unaufgeräumten Partygewölbe und schwärmt von der Silvesterparty mit 5.000 Besuchern, die sie dort und im Hof gefeiert haben. Für den Sommer will er dem Asphaltgrau mit einer portablen Liegewiese zu Leibe rücken: acht Europaletten mit Rollrasen darauf. Rössing deutet zum Flachbau, in dem zur Straße hin Galerieräume für die Künstler im Haus eingerichtet wurden. "Da sollen noch anderthalb Stockwerke draufgesetzt werden", verrät er. "Die vermieten wir dann aber zu anderen Konditionen."

Es ist das alte Spiel: Die Kreativen sollen die Stimmung verändern, und der scheinbar generöse Investor hofft im Hintergrund auf Gentrifizierungsgewinne. Rössing ist offensichtlich der richtige Mann am richtigen Platz - er wirkt in beiden Welten heimisch. Und das ist besonders passend für das ganz Neue Berlin. Die Ritter- Ecke Lobeckstraße aber zeigt sich unbeeindruckt öde wie immer.

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