Islamexperte zu Muslim-Studie: "Es gibt auch eine gute Nachricht"

Den Islamexperten Michael Kiefer freut, dass der Großteil der Muslime in Deutschland Gewalt ablehnt. Antisemitische Einstellungen bereiten ihm hingegen Sorgen.

"Besorgniserregendes Ergebnis": Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Bild: dpa

taz: Herr Kiefer, Innenminister Schäuble spricht von einem "besorgniserregenden Ergebnis" der neuen Studie über Muslime in Deutschland. Es habe sich ein "ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotenzial" entwickelt. Ist Schäubles Warnung berechtigt?

Michael Kiefer: Ja, es gibt durchaus Grund zur Sorge, aber man muss diese Studie differenzierter bewerten, als es Schäuble tut. Die Studie liefert ja zwei zentrale, sehr unterschiedliche Erkenntnisse. Die eine lautet, dass die Zahl der Muslime, die gewaltbereit sind oder Gewalt gutheißen, deutlich geringer ist, als man bisher annahm. Nur 6 Prozent der Muslime befürworten Gewalt. Das ist die gute Nachricht.

Und die schlechte?

Was tatsächlich besorgniserregend ist, sind Aussagen der befragten Schüler. Hier zeigt sich, dass ein Viertel der jungen Muslime große Distanz zur Demokratie aufweist. Und antijüdische Vorurteile sind erheblich stärker ausgeprägt als bei der nichtmuslimischen Vergleichsgruppe.

Laut der Studie sind 40 Prozent der Muslime in Deutschland als "fundamental orientiert" einzuordnen. Was sagen Sie zu dieser Einstufung?

Es gibt unter jungen Muslimen eine stärkere Hinwendung zur Religion als früher. Allerdings sollte man genau auf die Verwendung von bestimmten Begriffen achten. Fundamental darf man nicht mit fundamentalistisch verwechseln.

Warum wird Religion für junge Muslime wichtiger?

Das hat sicher damit zu tun, dass viele Jugendliche mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft nicht so angekommen sind, wie sie sich das wünschen. Sie machen im Alltag viele Diskriminierungs- und Deklassierungserfahrungen, vor allem in der Schule. Ich denke, dass der Islam für die Identitätsbildung eine wichtige Rolle spielt, weil er den jungen Menschen etwas anbietet, was die Gesellschaft nicht anbietet - nämlich eine Orientierung und auch Wertschätzung.

Je religiöser, desto demokratieskeptischer, so lautet ein Fazit der Studie. Stimmt das mit ihren Erfahrungen überein?

Ja. Diese Tendenz gibt es. Das hat damit zu tun, dass die Pluralität in unserem demokratischen System Positionen ermöglicht, die von religiösen Muslimen als dekadent empfunden werden.

Mehr als 40 Prozent der jungen Muslime stimmen dem Satz zu: "Muslime, die im bewaffneten Kampf für den Glauben sterben, kommen ins Paradies." Wie passt das zur guten Nachricht, dass nur 6 Prozent Gewalt befürworten?

Diese Zustimmungsrate klingt in der Tat erschreckend hoch. Aber es kommt darauf an, was damit konkret gemeint ist. Zunächst besagt diese Aussage nur, dass die Befragten glauben, dass Märtyrer ins Paradies kommen. Da der Kontext unklar ist, sollte man die Aussage nicht überbewerten oder als spezifisch muslimische Einstellung bezeichnen. Die Vorstellung, dass Leute, die für den Glauben kämpfen, in den Himmel kommen, gibt es auch unter Christen. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass terroristische Gewalt von den befragten Muslimen eindeutig abgelehnt wurde.

Welche Konsequenz soll die Politik aus der Studie ziehen?

Gegen die antisemitischen Einstellungen muss etwas unternommen werden. Da ist mehr Werteerziehung in den Schulen nötig. Das Allerwichtigste ist aber, dass die Bildungschancen für junge Migranten verbessert werden, mit mehr Sprachförderung. Problematisch ist auch das gegliederte Schulsystem, in dem frühzeitig ausgesiebt wird. Das führt dazu, dass Migrantenkinder oft in Hauptschulen landen.

Schäuble sagt, er wolle den Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen fördern. Ist die Studie dafür ein guter Beitrag?

Ja, ich bin dankbar, dass diese Studie jetzt da ist. Sie liefert sehr umfangreiches und brauchbares Material. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte man die Probleme weder klein- noch großreden. Es wäre gut, wenn auch Schäuble auf die positiven Aspekte hinweisen würde.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF

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