Marathonsitzung für eine neue Verfassung: Bolivien ist gespalten

Gegen die Proteste der Opposition verabschieden die Verbündeten von Präsdident Morales eine neue Verfassung. Eine Volksabstimmung soll für Mehrheit sorgen.

Der bolivianische Präsident Evo Morales will mit der Verfassung die Rechte der indigenen Bevölkerung stärken. Bild: dpa

PORTO ALEGRE taz Bolivien ist einer neuen Verfassung näher gekommen. In einer 15-stündigen Marathonsitzung des Verfassungskonvents verabschiedeten die ParteifreundInnen des linken Präsidenten Evo Morales am Wochenende fristgemäß die 411 Artikel des Grundgesetzes. "Es ist eine große Freude für die indianische Bauern- und Volksbewegung", meinte Morales zufrieden und kündigte für kommenden Samstag ein Volksfest an. Die rechte Opposition sieht das etwas anders: "Das ist ein Wisch Papier, der so viel wert ist wie gebrauchtes Klopapier", hatte Expräsident Jorge Quiroga bereits vor Wochen verkündet.

In der neuen Verfassung werden vor allem die Rechte der indigenen Bevölkerung und die Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik gestärkt. Das Privateigentum habe eine soziale Funktion zu erfüllen, heißt es weiter. Die "Enteignung von Ressourcen an ausländische Mächte, Firmen oder Personen" gilt als Vaterlandsverrat, ebenso separatistische Bestrebungen. Geplant sind hingegen erstmals "originäre indigene bäuerliche Territorien", in denen die Selbstverwaltung nach den dortigen "Normen, Institutionen, Autoritäten und Prozeduren" ausgeübt wird, solange diese nicht im Widerspruch zu den Landesgesetzen stehen.

Die ursprüngliche Idee, die Wiederwahl des Präsidenten unbegrenzt oft zuzulassen, zog das Regierungslager in letzter Minute zurück. Evo Morales könnte sich nun, wenn er in einem Jahr erneut gewählt werden sollte, nur noch ein weiteres Mal zur Wiederwahl stellen und somit bis maximal 2018 regieren. Auch auf das Reizwort "Sozialismus" verzichtete Morales' Partei Mas ("Bewegung zum Sozialismus") - für Vizepräsident Álvaro García Linera steht der ohnehin erst in einigen Jahrzehnten auf der Agenda.

Wegen der Straßenschlachten in der Hauptstadt Sucre, bei denen vor 14 Tagen drei Menschen getötet wurden, hatte die Mas-Mehrheit die Bergarbeiterstadt Oruro als Tagungsort ausgewählt. Die Veranstaltung gemahnte an einen Kongress indigener GewerkschafterInnen - eine "Volkswache" verrammelte die Türen, um "schlappe" Delegierte von einem vorzeitigen Rückzug abzuhalten. Insgesamt beteiligten sich 164 von 255 Abgeordneten des Verfassungskonvents an der Abstimmung. Das Gros der Opposition, allen voran Quirogas Partei Podemos, boykottierte die Sitzung.

Die Abgeordneten der Mitte-rechts-Partei Unidad Nacional kritisierten lautstark das "barbarische" Vorgehen des Regierungslagers. Besonders empörte sie ein Verfahrenstrick, mit dem die Regierung die Bestimmung umgehen will, dass die Verfassung von zwei Dritteln der gewählten Abgeordneten verabschiedet werden muss. Nach der Geschäftsordnung wäre dies nämlich auch mit zwei Dritteln der Anwesenden möglich, allerdings erst, nachdem die Bevölkerung direkt über strittige Punkte entschieden hat. Daher wird als nächster Schritt ein Referendum über die Frage angesetzt, ob die Obergrenze des Großgrundbesitzes bei 5.000 oder bei 10.000 Hektar liegen soll. In einer weiteren Volksabstimmung, so das Kalkül von Morales & Co., ist eine Mehrheit wahrscheinlich. Dann hätte Bolivien in sechs bis neun Monaten tatsächlich eine neue Verfassung. Die Spaltung des Landes jedoch, zu deren Überwindung sie hätte beitragen sollen, dürfte bis dahin noch tiefer werden.

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