Radio-Feature über Homosexualität: Das "Kein Thema"-Thema

Deutschlandradio Kultur beleuchtet die Schwulenbewegung der 70er und 80er Jahre - das Radio-Feature "Der Schwule und die Spießer" (Mi, 5.12., 0.05 Uhr)

Der Kirche noch immer ein Dorn im Auge: Gleichgeschlechtliche Liebe. Bild: dpa

Homosexualität ist ja längst "kein Thema mehr". Wie das mediale Inferno rund um das späte Coming-out von Anne Will einmal mehr gezeigt hat: "kein Thema", das die Menschen offenbar brennend interessiert, sei es auf taz.de, der Seite 1 der Bild oder beim Plausch auf der Party oder am Arbeitsplatz.

Historisch ist dagegen mittlerweile die Nachkriegsschwulenbewegung in Deutschland, deren prominentester Vorkämpfer Rosa von Praunheim gerade das Rentenalter erreicht hat. Ihr nähert sich die in New York und Berlin lebende Autorin Ulrike Heider mit ihrem Radio-Feature "Der Schwule und die Spießer" an. Darin verfolgt sie das Leben des 1992 an Aids verstorbenen Dichters und Rezitators Albert Lörken zurück ins Frankfurt am Main der 70er-Jahre. Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen. Begriffe wie Rotz (Rote Zelle Schwul) und HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin) fallen - Namen, die heute keiner mehr kennt und die daran erinnern, dass die Schwulenbewegung anfangs stark an die Neue Linke zwischen Spontis und K-Gruppen angedockt war.

So kommt denn auch Gottfried Ensslin, der Bruder von Gudrun, zu Wort und beklagt, dass die Bewegung heute zur reinen Lobby verkommen sei - im Gegenzug kommt Grünen-Politiker Volker Beck als "Vater" der Homoehe zu Wort. In der Logik jener 70er: ein schwuler Spießer. Es singt Rio Reiser, der sich weder in den 70er-Jahren noch danach näher zu seiner Homosexualität geäußert hat, vielleicht auch, weil seine Fans - "kein Thema" - lieber doch nicht so genau wissen wollten, wer mit "Für immer und Dich" gemeint ist?

Ulrike Heider war im Frankfurt der 70er-Jahre mit Albert Lörken befreundet, der dank auf Tonband erhaltener Rezitationen regelmäßig zu Wort kommt. Sein Leben wirft ein Rätsel auf: Der hochbegabte, ausnahmeschöne Bauernsohn aus der Provinz hat sein Coming-out in der Großstadt, widmet sich streckenweise obsessiv dem Nachtleben und den Verheißungen der Promiskuität, wird zum Mitbegründer der neuen, radikalen Schwulenbewegung, die nicht nur für ihre Befreiung, sondern die der ganzen Gesellschaft antritt. Um dann, an Aids erkrankt, einsam in seinem katholischen Heimatdorf zu sterben, mit einem Jesus an der Wand, der zwar einen Cockring trägt, ihn jedoch nie losgelassen hat.

Die Autorin tritt als Icherzählerin auf und lässt zahlreiche Wegbegleiter des Verstorbenen zu Wort kommen - ein kluger dramaturgischer Kunstgriff. Albert Lörken ist nurmehr ein Geist, dessen Tod für den größten Rückschlag der Nachkriegs-Homobewegung steht, ein Rückschlag, der erst im späteren Verlauf zu einem umso größeren emanzipatorischen Durchschlag wurde: die Aids-Krise der 80er. Ulrike Heider erzählt sowohl von ihrer Zuneigung zu als auch von ihren Projektionen auf diesen personifizierten Antispießer, dieses schrill-schöne Symbol für den Geist der Zeit. Eine lehrreiche Geisterstunde, sowohl für nachgeborene Homosexuelle, die sich bequem ins einigermaßen gemachte Nest setzen dürfen, als auch für ihre heterosexuellen Freunde, die sich so gerne gegenseitig auf die Schultern klopfen, um sich ihrer Toleranz zu versichern: "Kein Thema".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.