Torballspieler in Berlin: "Man muss den Ball aushorchen"

Torball könnte der Integrationssport schlechthin sein. Doch die Blindensportler haben schon große Mühe, Nachwuchs aus den eigenen Reihen zu rekrutieren.

Höhren, Fühlen, aber nichts sehen: Im Wettkampf müssen alle Spieler ihre Augen verbinden. Bild: taz

Riesige Tore hängen an der Decke, sieben Meter breit und 1,30 Meter hoch. Der Hallenwart lässt die Kästen herunter, während sich Willi tänzelnd warm macht. "Früher haben wir noch mit zwei Werfern und drei Torleuten gespielt", sagt er. Heute spielen drei Leute pro Mannschaft. Sie werfen einen Ball, in dem sich Schellen befinden. Der Ball muss nicht nur ins Tor, er muss auch Krach machen, denn die Torballspieler sehen nichts. Sie sind blind. Oder sehbehindert. Willi kann noch Schemen erkennen, weswegen er beim Aufwärmläufchen Norbert unterhakt. Zusammen zuckeln sie los, umkurven die Riesentore und kollidieren fast mit einer Mitspielerin, die gerade aus der Umkleide kommt. Willi Schulze hat seine besten Torballtage hinter sich. Seit 1965 betreibt er den Blindensport. "Wir haben so manche Meisterschaft gewonnen. Damals waren wir die jungen Spunde, und heute sind viele von uns nicht mehr", sagt er und dreht noch eine Runde mit Norbert, der bald schon schlapp macht.

Torball hat es schwer. In Berlin gibt es nur eine einzige Mannschaft. Paralympisch ist der Sport nicht. Gerade mal zwanzig Leute betreiben Torball in der Hauptstadt - immer montags ab 17 Uhr in der Blindenschule in Berlin-Steglitz. Die Halle dürfen sie kostenlos nutzen. Der Monatsbeitrag im Berliner Blindensportverein beträgt fünf Euro. "Das geht, wir sind ja alle keine Rockefeller", sagt Willi. Der Hallenwart ist gerade dabei, kleine Teppichrechtecke zu verkleben; sie dienen dem Dreierteam zur Orientierung vorm Tor, denn es ist wichtig, den Kasten mit den Leibern komplett zu verdecken. Der Hallenwart lässt rechts und links neben der Mittellinie zwei Stahlträger in den Hallenboden und spannt drei Schnüre übers Spielfeld. An den Schnüren hängen Schellen. Der Ball muss unten durchgeworfen werden. Wer an die Schnüre wirft, muss das Feld für einen Angriff verlassen.

"Das ist ein Sport, bei dem man sich ruckartig bewegt", sagt Thorsten Wolf. Er ist Präsident des Berliner Blindensportvereins. Wolf arbeitet als Jurist bei der Deutschen Rentenversicherung, bearbeitet Widerspruchsfälle und ist froh, zum Ausgleich Torball spielen zu können. Entsprechend energisch wirft er sich hin, wenn der Klingelball auf ihn zurollt. Wolf hat sich extra vom Sattler Polster anfertigen lassen, die seine Hüftknochen vor blauen Flecken schützen. Mit den Schonern sieht Wolf ein wenig unsportlich aus, aber die Dinger müssen sein: "Ich bin ja ein bisschen mager", sagt er, "unsere Dickerchen haben es da vielleicht besser." Matze ist so ein Dickerchen. Er trägt nur eine einfache Trainingshose.

Still muss es in der Halle sein, am besten totenstill. Zu Beginn des Trainings waren ein paar Beschwerden aufgekommen, weil die Heizung lief. Das Gebläse ist zu laut. Nach 15 Minuten wird die Heizung abgeschaltet. Sie frieren lieber, als einen Ball, der mit Schmackes unter den drei Wäscheleinen durchgepfeffert wird, zu überhören. "Man muss den Ball aushorchen, wir müssen es mit List und Verstand machen", sagt Thorsten Wolf, "wir haben ja nicht den Hammerwurf."

Im Wettkampf müssen alle Spieler ihre Augen mit Eye-Pads verkleben und überdies eine lichtundurchlässige Brille tragen, jetzt haben aber nur zwei Spieler die Augen verbunden. Willi zum Beispiel trägt keine Brille; fast scheint es, als könnte er alles überblicken. Thorsten Wolf erklärt den laxen Umgang mit den Regeln so: "Dadurch wird der Ball gezielt zurückgespielt. Das ist sozusagen der Trainingseffekt. Außerdem wollen sich die Spieler mit Sehrest nicht weiter einschränken", also eine komplette Blindheit simulieren. Wolf hat sich hingekauert, ganz nah rückt er an den Reporter heran, flüstert, damit er die Mitspieler nicht stört. Er hat Mitte der 70er mit Torball begonnen, ist in Marburg Deutscher Meister geworden und steht nun in Berlin vor einer Herausforderung. Im kommenden Jahr wird die Meisterschaft hier ausgerichtet. Sie wollen die Sache gut organisieren, sportlich haben sie eh keine großen Ambitionen: "Wir haben da nicht mehr als eine Außenseiterchance." Noch ist offen, ob der Senat einen Zuschuss bewilligt, sehr ernsthaft suchen die Berliner Torballer derzeit einen Getränkesponsor für das Turnier. "Das wäre klasse", sagt Wolf etwas zu laut. Sofort fängt er sich eine Rüge ein.

Im Grunde wäre Torball - oder das etwas dynamischere Goalball - ein idealer Sport für Blinde und Sehende. Doch es ist schon schwer genug, Nachwuchs aus der Stammklientel der Sehbehinderten zu rekrutieren. Das Berliner Team hat einen geschätzten Altersdurchschnitt von 50. Thorsten Wolf sagt: "Wichtig wäre eine stärkere Arbeit im Schulsport. Das läuft in Berlin nicht so gut. Hier sagt man: Es gibt kein Spielerpotenzial." Das ist teilweise richtig, an den Blindenschulen werden mehr und mehr Schüler mit Mehrfachbehinderung betreut. "Und jene, die beweglicher und fitter sind, werden integriert geschult. An die kommen wir nicht ran", sagt Wolf. Er muss zurück aufs Spielfeld. Er hechtet sich auf die Seite, steht auf, schleudert den Ball auf die andere Seite. Dort baut das Team eine Barriere aus Leibern auf, greift sich den Ball und kegelt ihn zurück. Sie haben Spaß. In der nächsten Pause zeigt Thorsten Wolf seine linke Hand, was heißen soll: So ohne ist Torball nicht. Wolfs Ringfinger ist ganz schief. Er hat einmal einen Ball mit voller Wucht draufbekommen, der Finger brach. "Da darf man nicht zimperlich sein", sagt er, ruckelt die Hüftpolster zurecht und wirft sich erneut in den Kampf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.