Libyens Abschiebelager: Weg in die Unmenschlichkeit

Immer mehr Afrikaner, die nach Europa wollen, landen in libyschen Lagern. Derzeit sitzen dort 60.000 illegale Migranten. Wenn sie überleben, werden sie abgeschoben.

Für viele Flüchtlinge endet der Weg nach Europa in der totalen Erschöpfung. Bild: dpa

Beyene erinnert sich gut an seine Zeit in libyscher Haft. "Wir waren mindestens 700", erzählt er. "100 Äthiopier, 200 Eritreer und 400 Sudanesen. Wir schliefen auf dem Boden, einer über dem anderen, weil es keinen Platz gab. Wir aßen einmal am Tag: 20 Gramm Reis und eine Brotstange, gegen Bezahlung. Jede Nacht nahmen sie mich in den Hof und ich musste Liegestütze machen. Als ich nicht mehr konnte, schlugen sie mich."

Die Erinnerungen des Eritreers handeln von einem der verrufensten Orte in der düsteren Geografie afrikanischer Migration Richtung Europa: Das Gefangenenlager Kufrah im Südosten Libyens, tief in der Sahara-Wüste in Richtung Sudan. Die Zellen, berichten Insassen, die es wieder herausgeschafft haben, messen ungefähr sechs mal acht Meter, und darin wohnen zwischen 20 und 78 Menschen, teils monatelang, ohne Ausgang außer Zwangsvorführung vor der Polizei und ohne Ausweg außer Freikauf oder Deportation. Es ist entweder unerträglich heiß oder empfindlich kalt, Krätze, Läuse und Tuberkulose grassieren. "Nach drei Monaten traten wir in den Hungerstreik", berichtet ein anderer Häftling, der Eritreer Zerit. "Aber das war der Polizei egal."

Diese Erinnerungen stehen in einem neuen Bericht der europäischen Flüchtlingskoalition "Fortress Europe" über "Lebensbedingungen von Transitmigranten in Libyen" mit Aussagen von Augenzeugen und Statistiken über das Schicksal von Afrikanern, die entweder in Libyen aufgegriffen oder von Europa dorthin abgeschoben werden. Mindestens 20 Haftanstalten für illegale Migranten gibt es demnach in Libyen. Drei davon wurden mit Geld aus Italien finanziert - eines davon Kufrah.

Libyen ist eines der Haupttransitländer für Afrikaner, die nach Europa wollen. Die klassische Transsahararoute aus dem südlichen Nachbarland Niger ist derzeit dicht, weil in Nigers Wüstengebieten Krieg herrscht. Doch die Krisen in Sudan und am Horn von Afrika machen Libyen als Durchgangsland für Sudanesen, Äthiopier, Eritreer und Somalier interessant. Dazu kommen Ägypter und immer öfter Marokkaner, seit die Routen über die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla schwieriger geworden sind. Von Libyens sechs Millionen Einwohnern sind rund ein Fünftel Ausländer, viele davon illegal und rechtlos.

Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi gibt sich in Afrika gern als Vorreiter der Einheit des Kontinents. Aber mehrmals hat es in den letzten Jahren in Libyen Massendeportationen afrikanischer Migranten gegeben. Seit Februar 2007 herrscht Visumpflicht für fast alle Afrikaner, mit der Folge schärferer Kontrollen. Von Anfang 2006 bis Mai 2007 griff Libyens Grenzpolizei 6.725 Afrikaner auf dem Weg nach Europa auf und sammelte 360 Leichen ein. Über 50.000 Migranten wurden 2006 aus dem Land deportiert.

Wie viele dabei gestorben sind, ist nicht bekannt. Aber "Fortress Europe" dokumentierte mehrere Fälle von in der Wüste ausgesetzten Flüchtlingen und von Migranten, die unterwegs Leichen im Sand finden. "Tod in der Wüste und im Meer vor Sizilien; Folter und sexuelle Gewalt in den Lagern; Deportationen in die Sahara; kollektive Ausweisungen; Mord in Polizeikommissariaten; rassistische Angriffe in Tripoli" - so fasst "Fortress Europe" das Los der Illegalen zusammen. Derzeit sind nach EU-Angaben in Libyen 60.000 illegale Migranten in Haft - auch in Lagern wie Kufrah.

Die Zustände in Kufrah sind in Europa bekannt. Eine Delegation der EU-Grenzschutzbehörde "Frontex" besuchte das Lager dieses Jahr während einer einwöchigen Libyen-Reise - am 30. Mai genau zwischen 11 und 11.30 Uhr, laut dem Frontex-Reisebericht, der der taz vorliegt. "Die Umstände in dieser Struktur können als rudimentär bezeichnet werden, mit einem Mangel an Grundversorgung", heißt es in dem Bericht.

Es ist auf 42 Seiten der einzige auch nur annähernd kritische Satz über die Situation der Illegalen in Libyen. Weiter heißt es: "Viele hohe Beamte und Tripoli und in besuchten Regionen verwiesen auf die schwere Last, vor allem finanzieller Art, die die Umsetzung der Politik von Festnahme, Inhaftierung und Repatriierung für Libyen darstellt." Von den Opfern ist keine Rede.

Konsequenzen daraus wurden keine gezogen. Dafür aber nahm die EU eine detaillierte Auflistung libyscher Wünsche zur Effektivierung des Umgangs mit Flüchtlingen entgegen: "Toyota-Geländewagen, regelmäßige Lieferungen von Ersatzteilen und Reifen, hochwertige Kommunikationsgeräte, spezialisierte Überwachungssysteme, Nachtsichtgeräte, Hubschrauber, ausgestattete Migrantenzelte, Trainingskurse, Krankenwagen, wüstentaugliche Fahrzeuge, Satellitennavigationssysteme."

Europa hat mit so etwas kein Problem. Gaddafi ist in den letzten Jahren vom Paria zum Partner geworden. Wegen seines Öl- und Gasreichtums ist Libyen eines der attraktivsten Investitionsziele im arabischen und afrikanischen Raum, es vermittelt im sudanesischen Darfur und wird von 2008 an im UN-Sicherheitsrat sitzen. Libyen lässt sich laut "Fortress Europe" eigene Abschiebeflüge von Europa bezahlen und soll 2008 das erste afrikanische Land werden, das an den Frontex-Meerespatrouillen gegen Flüchtlinge teilnimmt.

Italien lieferte Libyens Sicherheitskräften schon vor vier Jahren 1.000 Leichensäcke für tote Flüchtlinge. Mindestens 600 Migranten, sind "Fortress Europe" zufolge seit 2005 von Italien, Malta, Libyen oder Tunesien auf hoher See oder bei der Landung in Europa abgefangen und nach Libyen abgeschoben worden, wo sich ihr Schicksal verliert.

Die EU sollte ihre migrationspolitische Zusammenarbeit mit Libyen aussetzen und die Freilassung inhaftierter Migranten und politischer Gefangener dort verlangen, fordert "Fortress Europe". Das ist kaum zu erwarten. Das Frontex-Budget ist der am schnellsten wachsende Haushaltsposten der EU: 17,5 Millionen Euro 2006, 42 Millionen Euro 2007, 70 Millionen Euro in der Haushaltsvorlage 2008. Die Patrouillen in Mittelmeer und Atlantik sollen ab 2008 zur Dauereinrichtung werden, in Zusammenarbeit mit den afrikanischen Anrainern. Libyen wird da kaum das erste Land sein, an dem Europa ein menschenrechtliches Exempel statuiert.

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