Che Guevara: Lateinamerikas Superstar

In Lateinamerika ist die heutige Bedeutung Che Guevaras heftig umstritten: Ist der Revolutionär nun eher "rein wie ein Kind" oder doch mehr ein "Beitrag zur allgemeinen Verblödung"?.

Che Guevara: Leuchtendes Vorbild oder "ungewaschenes Schwein" Bild: ap

"In Kuba ist Ernesto 'Che' Guevara der oberste Heilige der guevaristisch-fidelistischen Staatsreligion", sagt sein bester Biograf, der US-Amerikaner John Lee Anderson. In Santa Clara, unweit des Che-Mausoleums mit seiner bronzenen Sieben-Meter-Statue, eröffnete der Revolutionsbarde Silvio Rodríguez am Sonntagabend die offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Todestag Guevaras mit dem Lied "Amerika, ich erzähl dir von Ernesto". An den Toren der zentralkubanischen Stadt empfängt die Besucher ein blau-weißes Transparent mit dem Gedichtzitat: "Wir sehen dich jeden Tag, rein wie ein Kind oder wie einen reinen Mann, Kommandant Che, Freund".

Aber doch ist es ganz anders als vor zehn Jahren, als die Gebeine des argentinisch-kubanischen Revolutionärs aus dem bolivianischen Vallegrande nach Santa Clara geschafft wurden. Damals, zur Hochzeit des Neoliberalismus, schien die Isolation der kommunistischen Karibikinsel perfekt. Mittlerweile hat eine rosarote Welle große Teile Lateinamerikas erfasst: 1998 gewann der Che-Guevara- und Fidel-Castro-Anhänger Hugo Chávez seine erste Wahl in Venezuela.

Seitdem konnte die Linke so manch historischen Wahlsieg bejubeln: 2002 in Brasilien, 2003 in Argentinien, 2004 in Uruguay, 2005 in Bolivien und 2006 in Ecuador. Zwar sind bei vielen Wählern und Aktivisten überzogene Illusionen schon längst der Ernüchterung über die sehr pragmatische Regierungspraxis mancher Staatschefs gewichen, doch Kuba beispielsweise bildet jetzt zusammen mit Venezuela, Bolivien und Nicaragua die Linksallianz "Bolivarianische Amerika-Alternative" (Alba). Che wäre darüber "sehr glücklich", meint sein früherer Kampfgefährte Harry Villegas. "Die neoliberale Globalisierung hat den Kampf auf die weltweite Ebene gehoben", sagt Emir Sader. Guevara habe dasselbe "mit dem revolutionären Kampf" getan, "nur viel früher", findet der brasilianische Linksintellektuelle, der nicht nur Chávez, sondern auch Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador in die Tradition des bärtigen Guerilleros stellt. Morales selbst sieht sich als Anführer einer "friedlichen Revolution" - das sei der "einzige Unterschied" zu Che, der "Gleichheit und Gerechtigkeit mit der Waffe in der Hand" erreichen wollte, behauptet der bolivianische Indígena-Präsident. Während er gestern in Vallegrande eine kurze Rede hielt, gedachten die Militärs in den Kasernen ihrer Gefallenen. "Che Guevara hat gegen Freiheit und Demokratie gekämpft", sagte Wilfredo Vargas, der Chef der bolivianischen Streitkräfte.

Radikalliberale Publizisten wie der Peruaner Álvaro Vargas Llosa räumen zwar ein, Guevaras konsequente Haltung verdiene Respekt und habe seinen Mythos mitbegründet, aber ansonsten trage das Phänomen zur "Verblödung" der Latino-Linken bei: "Idioten sind diejenigen, die die Fehler der Vergangenheit mehrmals wiederholen." In Brasilien servierte das auflagenstarke Wochenmagazin Veja zum Jubiläum die Titelgeschichte "Che - Die Farce des Helden". Ihr stärkstes Argument: "Für seine Genossen war er nur 'el chancho', das Schwein, weil er nicht gerne badete und nach gekochter Niere stank." Die Vehemenz solcher Attacken erklärt der Journalist Alon Feuerwerker so: "Die südamerikanische Rechte hat kein Symbol, das sie Che entgegensetzen kann."

"In Lateinamerika hat er auch heute noch politische Sprengkraft, ganz anders als in Europa", sagt Biograf Anderson. "Für Millionen Menschen symbolisiert er radikalen Wandel. Dafür müssen sie nicht an all das glauben, wofür er damals stand." In Argentinien, wo die Peronisten Néstor und Cristina Kirchner die zersplitterte Linke geschickt in ihr Machtprojekt eingebunden haben, ist die Popularität der Revolutionsikone ungebrochen: In einer TV-Abstimmung über "argentinische Helden" besiegte Che vor einigen Wochen die Präsidentengattin Evita Perón mit 60 zu 40 Prozent. Popsänger Kevin Johansen (43) ist sich sicher: "Trotz aller Manipulation und schamloser Vermarktung seines Bildes weiß das Volk, wer Ernesto Guevara wirklich war."

Der 9. Oktober 1967 markiere den Beginn eines "lateinamerikanischen, dunkelhäutigen und mystischen Marxismus", analysiert der brasilianische Soziologe José de Souza Martins: "Ches Tod hat die konservative, gemeinschaftliche, religiöse und antikapitalistische Volkstradition zum Kern eines neuen Sozialismus gemacht. Darin stellen Mestizen, Indígenas und Schwarze die ungerechte Sozialpyramide imaginär auf den Kopf."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.