NPD Schulhof-Propaganda: Strafe für Zivilcourage gegen rechts

Sie sahen einen Rechtsextremen am Schulzaun NPD-Propaganda verteilen und schritten ein. Dafür sollen drei Mecklenburger Geldstrafen zahlen. Jetzt kommt der Fall vor Gericht.

So ist der Wahlkampf auch nicht schön - aber erlaubt. Bild: dpa

WAREN (MÜRITZ) taz Es wäre so einfach gewesen. Wegschauen, weiterarbeiten. Die Kinder hätten die Flugblätter in ihre Schultaschen gepackt, auf dem Heimweg ein paar NPD-Bonbons gelutscht, zu Hause die Schulhof-CD in die Stereoanlage gelegt und vielleicht ein bisschen mitgegrölt: "Können Verbote ein krankendes System schützen? Können Verbote die Wahrheit unterdrücken? Können Verbote demokratisch sein? Können Verbote uns gar verhindern? NEIN!"

Auf jeden Fall hätten sich Stefan Garmshausen und seine zwei Kollegen einigen Ärger erspart. Sie müssten nicht als Angeklagte vor Gericht erscheinen. Sie würden sich auch nicht fragen: Was meinen die Politiker eigentlich, wenn sie Zivilcourage von den Leuten fordern?

Die Tat: Während ihrer Arbeit an einer Schule in Waren (Müritz) bemerken drei Gärtner, dass ein Mann rechtsextremes Werbematerial an Kinder verteilt. Sie fordern den NPD-Politiker auf, zu verschwinden, nehmen ihm schließlich das Werbematerial ab und werfen es in den Müll.

Die Angeklagten: Der Diplomingenieur Stefan Garmshausen, 40 Jahre, hat einen eigenen Gartenbaubetrieb. Die zwei Mitangeklagten waren seine Mitarbeiter. Garmshausen steht zu der Tat. Er bestreitet aber, dass er dem NPD-Mann Gewalt angedroht hat.

Das Strafmaß: Das Amtsgericht Waren wertet das Verhalten der Männer als Beleidigung, Sachbeschädigung und Nötigung. Es erließ Strafbefehle in Höhe von insgesamt 6.000 Euro. Die Angeklagten legten dagegen Widerspruch ein. Nun muss das Gericht den Fall verhandeln. Ihre Verteidiger hoffen, dass das Verfahren eingestellt wird.

Stefan Garmshausen stoppt seinen dunkelgrünen Landrover vor dem Schulzaun, er blickt durch die regenbesprenkelte Windschutzscheibe nach draußen auf den Pausenhof. Vor einem Jahr, da kniete er hier vor der Realschule am Friedrich-Engels-Platz in Waren an der Müritz mit seinen Leuten in der Rabatte. Sie schaufelten Rindenmulch um die Sträucher herum. Es war der Freitag vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern.

Garmshausen zeigt zum Gehsteig auf der anderen Straßenseite gegenüber der Schule. "Da drüben", sagt er, "da stand dieser Typ und fing die Schüler ab." Der Typ war Raimund Borrmann - damals noch NPD-Wahlkämpfer, inzwischen einer von sechs NPD-Abgeordneten im Schweriner Landtag. Ein schmächtiger Herr mit dunklem Haar und runder Kunststoffbrille. Die Gärtner schnauzten den NPD-Mann an, er solle die Kinder in Ruhe lassen und abhauen mit seinem braunen Dreck. Und als er nicht ging, da nahmen sie ihm seinen Karton ab und kippten den Inhalt auf den Gehsteig: NPD-Bonbons und NPD-Schulhof-CDs, Wahlprogramme und Flugblätter. Sie zertraten die CDs und stopften die Reste in die Mülltonne vom "Bombay Pizza Service", einer Imbissbude neben der Schule. Borrmann griff sein Handy, schoss ein paar Beweisfotos. Dann rief er die Polizei.

Wahlkampfbehinderung, Morddrohung, sogar Raub warf Raimund Borrmann den Männern in seiner Anzeige vor. So steht es in der Akte. Auch der Schaden wurde sorgfältig berechnet: 35 kaputte CDs à 3,50 Euro, 30 Aktionsprogramme der NPD à 1 Euro, etwa 50 Infoblätter à 1 Euro, rund 100 Bonbons im Wert von insgesamt 5 Euro - macht 207,50 Euro.

Erhellendes aus dem Booklet der NPD-Schulhof-CD. Bild: ausriss/taz-archiv

Garmshausen greift einen Ordner von der Rückbank des Landrovers. 71 Seiten hat die Ermittlungsakte inzwischen. Die Polizei nahm die Anzeige auf, sicherte Beweismaterial, befragte Schüler. Der Fall ging an die Staatsanwaltschaft, von dort zum Amtsgericht Waren, das schließlich ohne Verhandlung Strafbefehle über 1.600, 2.000 und 2.400 Euro gegen die drei Landschaftsgärtner erließ - wegen Sachbeschädigung, Beleidigung und Nötigung.

Nach Ansicht der Justiz hatten sich die Gärtner strafbar gemacht. Denn der NPD-Mann war außerhalb des Schulgeländes geblieben, und er hatte den Kindern nichts Verbotenes angedreht. Garmshausen und seine Kollegen legten Widerspruch ein. Am heutigen Donnerstag muss das Gericht den Fall deshalb neu aufrollen. Zehn Zeugen sind zur Verhandlung geladen. Einer davon heißt Borrmann.

Der NPD-Politiker behauptet in seiner Anzeige, die Männer hätten ihn wüst bedroht. "Wehe, du gibst einem Schüler die CD - dann schlage ich dir den Schädel ein!" Oder: "Mach, dass du abhaust, sonst drücke ich dir die Brille ein!" Seine Strafanzeige hat der Rechtsextreme gleich auch ins Internet gestellt. Sie liest sich wie eine Räuberpistole aus Adolfs Zeiten: Der tapfere "Kamerad Borrmann", überfallen und beraubt von drei aggressiven "Bauarbeitern" - einem "großen Blonden", einem "Wuscheligen" und einem "bulligen Kahlen". Am Schluss erstattet "Kamerad Borrmann" Strafanzeige gegen die Ganoven - "so wie es sich für einen rechten Deutschen gehört".

Stefan Garmshausen, 40 Jahre, streicht sich über seinen blanken Schädel. "Ich bin also der bullige Kahle. Das trifft mich ja schon ein bisschen." Er grinst breit. Glaubt man dem NPD-Mann, hat Garmshausen ihm gedroht: "Warte, du braunes Dreckschwein, ich komme und mach dich kurz und klein!" Der Beschuldigte bestreitet das. "Das ist eine Lüge", sagt er. "Richtig doller Blödsinn."

Garmshausen ist ein lockerer Typ mit Holzfällerstatur. Der Familienvater hat Gartenbau an der Humboldt-Universität in Berlin studiert und sich mit seinem Ingenieursdiplom selbstständig gemacht. Vor sieben Jahren gründete er seine Firma, zog weg vom Prenzlauer Berg in einen Backsteinhof am Ende von Groß Gievitz hinter Klein Gievitz bei Sorgenlos an der Mecklenburgischen Seenplatte. Inzwischen ist er dort sogar Kirchenältester.

Der Fall ist für Garmshausen ein Exempel. "Es nützt doch niemandem, wenn die Politiker weiter große Floskeln ablassen, wie jeder mit Zivilcourage dem Rechtsextremismus begegnen kann", sagt er. "Die Wirklichkeit ist viel komplizierter."

Zu kompliziert jedenfalls für die Pädagogen der Realschule Waren West. Kein Lehrer ließ sich blicken, als sich Garmshausen und seine Kollegen mit dem NPD-Mann anlegten. Und der Direktor hält sich auch heute lieber aus dem Thema heraus. Dabei kennt er die brisanten Inhalte der von Rechten vor Schulen verteilten CD. Das Vorgehen der Männer könne er deshalb "schon verstehen", sagt Eberhard Schulz. "Mehr will ich dazu nicht sagen." Zivilcourage werde in Deutschland gern gefordert. "Man würde aber vom Staat nie Rückendeckung dafür kriegen. Deshalb traut sichs ja auch kaum jemand." Wird seine Schule zu dem Vorfall öffentlich Stellung beziehen? Schulz schüttelt den Kopf. Das sei nicht geplant. "So viele Lehrer sind einfach schwer unter einen Hut zu kriegen."

Der Schulhof-Fall hat sich inzwischen weit über Waren hinaus herumgesprochen. Selbst im Schweriner Landtag fürchtet man, von dem Verfahren könne ein verheerendes Signal ausgehen. Die Botschaft würde lauten: Wer hinschaut und eingreift, ist am Ende der Dumme.

Landespolitiker von SPD und Grünen haben den Gärtnern bereits ihre Unterstützung zugesichert. Und auch der örtliche CDU-Landtagsabgeordnete Wolf-Dieter Ringguth will den Fall nicht dem Stammtisch überlassen. Er hat deshalb zur öffentlichen Diskussion geladen.

Montagabend im feinen Warener Seehotel Ecktannen. Auf dem Podium des Festsaals sitzt CDU-Mann Ringguth, neben ihm ein Staatssekretär aus dem Schweriner Innenministerium und ein Mitarbeiter des Regionalzentrums für Demokratische Kultur. Die Landrätin ist da, eine Schulleiterin, ein Polizist in Uniform, einige Rechtsanwälte aus der Region, sogar der Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Der Saal ist zur Hälfte gefüllt.

"Ich begrüße ganz besonders auch den Stefan", sagt Ringguth zu Beginn. Er nimmt seine Brille ab und setzt feierlich nach: "Ein toller Kerl, ein junger Unternehmer, der weiß, was er will. Der noch selber zupackt und für seine Mitarbeiter damit ein Vorbild ist." Stefan Garmshausen sitzt mit einem seiner Kollegen in der dritten Reihe, die beiden verziehen keine Miene. "Ja, meine Damen und Herren", fährt Ringguth fort, "wo beginnt die Zivilcourage, und wo endet sie? Was kann und soll der Einzelne tun?" Er lächelt verbindlich. "Ein schwieriger Parcours, auf den wir uns heute Abend begeben werden! Gut, dass wir Profis hier haben."

Doch die Profis wirken, als hätten sie die Idee der Zivilcourage bisher zwar gerne propagiert, aber nie praktisch getestet. "Ich möchte eingangs betonen, dass dies ein sehr komplexes Thema ist", sagt Roger Müller, der Referent des Regionalzentrums für Demokratische Kultur. Es klingt wie eine Entschuldigung. Dann wirft er mit ein paar Schlagworten an eine Leinwand im Saal, redet von "Handlungskategorien", "öffentlichem Mut" und "wichtigen Elementen", die für "andere erfahrbar gemacht werden" müssten. Die entscheidende Frage aber lässt der Fachmann weg: Sind Garmshausen und seine Leute nun Vorbilder? Sind sie Straftäter? Vielleicht beides?

Auch der Abgesandte aus dem Schweriner Innenministerium redet sich erst einmal mit harmlosen Allgemeinplätzen warm. "Man darf nicht weghören", fordert Staatssekretär Thomas Lenz. "Jeder muss sich kümmern. Das muss eine Ehrensache sein." Und er respektiere selbstverständlich die Unabhängigkeit der Justiz. Zivilcourage dürfe auch "kein Freibrief zum Rechtsbruch" sein.

Schließlich aber wird der CDU-Mann doch konkret: Die Entscheidung des Warener Gerichts sei für ihn "auch überraschend" gewesen, räumt Lenz ein. "Wenn ich sehe, wie viele Hitlergrüße oder SS-Zeichen nicht bestraft werden!" Er könne "nur an das Gericht appellieren, bei der Beurteilung dieser Angelegenheit Augenmaß zu wahren", sagt der Ministerialbeamte. "Die Richter wissen doch auch, wie wichtig Zivilcourage ist."

Einigen Zuhörern reicht das nicht. "Das ist ja zum Einschlafen hier!", ruft ein grauhaariger Herr. "Viel zu bürokratisch! Ich fand das gut und richtig, was der Stefan Garmshausen da gemacht hat!"

Das will der Staatssekretär so nicht stehen lassen. Das Gewaltmonopol müsse beim Staat bleiben, doziert er, die NPD sei schließlich keine verbotene Partei. Außerdem dürfe man Zivilcourage nicht mit Selbstjustiz verwechseln.

"Eigentlich war es gut, aber irgendwie war es auch schlecht", brummt der ältere Mann entrüstet. "Na, was denn nu?"

Es ist längst dunkel über dem Müritzsee, als die Zuhörer nach knapp drei Stunden das Hotel verlassen. Ein Mann im Anzug kommt auf Garmshausen zu und klopft ihm auf die Schulter. Es ist sein Verteidiger Markus Astfalck. Auch er lebt in Groß Gievitz. Als Astfalck von dem Fall erfuhr, erklärte er sich bereit, seinen Nachbarn zu verteidigen. Kostenlos. Welche legalen Möglichkeiten die Männer gehabt hätten, den NPD-Politiker von den Kindern fernzuhalten? "Keine", sagt Astfalck. "Sie hätten Borrmann nicht mal umzingeln dürfen. Selbst das wäre schon Nötigung gewesen." Astfalck setzt darauf, dass das Gericht dieses Dilemma erkennt - und das Verfahren einstellt.

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