Afghanistan: Nicht mehr mitmachen!

Am Samstag ist Antikriegsdemonstration in Berlin. 62 Prozent der Bürger halten den Bundeswehreinsatz in Afghanistan für "eher falsch".

"Die Tornados nützen nicht viel, sie schaden aber auch nicht viel." Bild: dpa

Braunschweig/ Berlin taz Was er denn täte, wäre er Verteidigungsminister? Moritz zögert keine zwei Sekunden. "Ich würde die Bundeswehr sofort abziehen." Er sieht nicht aus, als wolle er dem noch etwas hinzufügen. Man muss schon nachhaken. Also: Warum? "Phhht", macht er da.

Keine Verlängerung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan. Das ist die zentrale Forderung, mit der 170 Organisationen der Friedensbewegung sowie andere soziale Bewegungen für diesen Samstag (15. 9.) zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin aufrufen.

Die Ziele der Militäreinsätze - Terrorismusbekämpfung, Demokratisierung, Wiederaufbau - seien nicht erreicht worden, heißt es in dem Aufruf des Bündnisses. Stattdessen verschlechtere sich die Lage in Afghanistan. Die dortige Bevölkerung, so die Demoveranstalter, "lehnt den Krieg und die ausländische Besatzung überwiegend ab".

An die Stelle der Militäreinsätze müssten Abrüstung, zivile Konfliktregulierung und diplomatisches Verhandeln treten. Ziviler Wiederaufbau sei nur ohne ausländische Truppen möglich.

Moritz, 17 Jahre, Schüler an einem Braunschweiger Gymnasium und an diesem Abend im Publikum einer Diskussionsveranstaltung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan, sieht genervt aus. "Weil sich die Situation im Land nicht gebessert hat." Woher er das weiß? "Ich habe mich informiert." Wo? "Ich sage doch, ich habe mich informiert." Er wird rot. Vorsichtshalber behält er seinen Nachnamen für sich.

Dabei gibt es keinen Grund, sich zu schämen. Zu Afghanistan hat jeder in diesem Land eine Meinung, aber kaum jemand einen Plan. Moritz ist da keine Ausnahme. Nach einer Forsa-Umfrage ist jeder zweite Bundesbürger der Ansicht, die Bundeswehr solle nicht bis zum Abschluss des Militäreinsatzes in Afghanistan stationiert bleiben. Das Meinungsforschungsinstitut Emnid gar ermittelte, 62 Prozent der Bevölkerung hielten die Bundeswehrbeteiligung in Afghanistan für "eher falsch". An diesem Samstag werden in Berlin 15.000 Menschen zu einer Demonstration gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan erwarte.

Es fällt den meisten schwer, Gründe für die Ablehnung zu benennen - und zu sagen, wie denn stattdessen mit Afghanistan umgegangen werden solle. "Wer weiß denn schon, wie es am Hindukusch tatsächlich aussieht und was Militär dort überhaupt ausrichten kann", fragt sich beispielsweise der 30-jährige Telefonist Michael Ciappa, "man kann ja nicht einfach hinreisen und sich ein Bild machen."

Ciappa ist wie der Schüler Moritz in Braunschweig einer Einladung des Kreisverbands der Grünen gefolgt. Der sucht an diesem Septemberabend die öffentliche Afghanistandebatte und hat dazu Jürgen Trittin als Redner eingeladen hat. Trittin ist jetzt außenpolitischer Sprecher seiner grünen Bundestagsfraktion, 53 Jahre alt und will noch was werden in seiner Partei. Da kommt es ungelegen, dass die Basis gerade so heillos zerstritten ist über den Afghanistaneinsatz, dass sie sogar einen Sonderparteitag dazu durchgesetzt hat. "Es wird so dargestellt, als stünden die Grünen vor einer Zerreißprobe", sagt Trittin - und setzt hinzu: "Das ist falsch." Mehr an Festlegung ist von ihm, der grüner Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl werden möchte, nicht zu bekommen. Zur Sache sagt er Sätze wie diesen: "Ich würde sagen, die Tornados nützen nicht viel, sie schaden aber auch nicht viel."

Viele im Publikum interessieren grüne Befindlichkeiten und Karrierepläne eines einzelnen Abgeordneten herzlich wenig. Sie sind parteilos, und sie sind gekommen, um dem Abgeordneten Trittin zu sagen, was sie von deutschen Soldaten in Afghanistan halten: nichts.

"Ist es denn so, dass wir wieder wer sein müssen, dass wir Deutschen dabei sein müssen bei so schrecklichen Dingen", empört sich eine grauhaarige Dame, "können wir das viele Geld denn nicht besser in zivile Aufbauprojekte stecken?" "Kriegskind" sei sie, 72 Jahre alt, erzählt sie später, "ich habe sie alle gesehen, Flüchtlinge, Kriegsgefangene, Verschleppte, ich weiß, was Krieg ist, oben drückt einer auf den Knopf, und unten ist das Krepieren".

Besonders die ältere, kriegserfahrene Generation ist es, die Militäreinsätze im Ausland aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus strikt ablehnt. Doch etwas kommt hinzu: die Angst, aufgrund der deutschen Truppenbeteiligung selbst Ziel von Attentaten zu werden. "Dieses Raushalten aus dem Irakkrieg hat Deutschland erst mal geschützt", sagt die ältere Dame. "Damals war ein gewisses Ansehen in der arabischen Welt."

Ansehen, Terrorrisiken, Pazifismus hin oder her - Ute Lampe ist die Debatte über die Auslandseinsätze leid. "Es gibt ja keine Überlegungen seitens der Regierung, wohin die Reise gehen soll, was das Ziel des Einsatzes ist und unter welchen Bedingungen ein Abzug erfolgen soll", sagt die 46-jährige Geoökologin. Die Erfahrung hat sie zudem gelehrt, dass man dem politischen Versprechen, Militäreinsätze exportierten Demokratie und Stabilität, keinen Glauben schenken kann. Lampe ist deswegen bereits vor vier Jahren dem Friedensbündnis Braunschweig beigetreten. "Durch militärischen Zwang", sagt sie, "ist nirgends eine Befriedung erreicht worden, der Irak ist das beste Beispiel dafür". Und dann fährt sie Jürgen Trittin an: "Sie lügen sich in die eigene Tasche!" Beim Afghanistaneinsatz gehe es nicht darum, Ursachen zu bekämpfen, das sei eine reine Symptombekämpfung. Politikprofi Trittin dreht ein paar rhetorischen Schleifen und sagt dann: "Ich glaube, die Menschen sind für diese Symptombekämpfung dankbar."

So wie Lampe denken mittlerweile viele, nicht nur in Braunschweig, sondern auch in Berlin. Dort sitzt in einem Begegnungszentrum im Stadtteil Kreuzberg an einem Abend Anfang der Woche Oberstleutnant Jürgen Rose, 49, SPD-Mitglied, notorischer Bundeswehrkritiker, erfolgreicher Verweigerer des Tornado-Einsatzes und mit seinem Arbeitgeber wie mit seiner Partei in einer Art Hassliebe verbunden. Rose, an diesem Abend in zivil, erklärt auf Einladung der Linken vor knapp 20 Zuschauern, dass deutsche Soldaten sich völkerrechtswidrig in Afghanistan aufhielten und durch ihre Präsenz nicht Frieden, sondern Gewalt provozierten. Selbst Menschen, die den Krieg gegen den Irak noch begrüßten und damals in Deutschland zu einer angefeindeten Minderheit gehörten, lauschen dem Mann mit Schnauzbart und Brille jetzt.

Der pensionierte Ingenieur Rasak Alamily ist so einer. Vor 74 Jahren wurde er im Irak geboren, 1970 verließ er seine Heimat, lebte erst in Großbritannien, später in Deutschland, wo er heiratete und deutscher Staatsbürger wurde. "Ich habe dem Sturz der Diktatur entgegengefiebert, ich fand diesen Krieg richtig", sagt er. Mittlerweile lässt er sich von Freunden und Verwandten berichten, wozu "dieser Kolonialkrieg", als den er ihn inzwischen empfindet, geführt hat: "Der Irak ist total ruiniert, es gibt überhaupt keinen Plan, was eines Tages nach dem Abzug der Truppen geschehen soll, und meine Befürchtung ist, dass Afghanistan ein zweites Irak wird."

Alamily erzählt, deshalb sei ausgerechnet er, der Irakkriegsbefürworter, vor wenigen Wochen Mitglied der Linken mit ihrem Antikriegspopulismus geworden. "Die sind immerhin die Einzigen, die in Afghanistan nicht mehr mitmachen wollen."

Nicht mehr mitmachen. Es ist ja nicht so, dass sich die Menschen, die hier in Berlin dem Bundeswehrkritiker Rose applaudieren, wenn er einen kompletten Rückzug der ausländischen Truppen binnen fünf Jahren skizziert, nicht verantwortlich fühlen würden für das, was anschließend in Afghanistan passieren soll. Im Gegenteil. Keiner hier plädiert dafür, das Land sich selbst zu überlassen oder gar das Geld, das die Bundeswehreinsätze kosten, besser hierzulande zu investieren. "Natürlich muss sich Deutschland am Wiederaufbau beteiligen", sagt die 48-jährige Anna Allex, die im Berufsleben Seminare zur Sozialgesetzgebung leitet und weiß, was sich mit den Mitteln für die Bundeswehr alles anstellen ließe, könnte man sie umwidmen. "Aber zum Aufbauen braucht man kein Militär", glaubt sie.

Sondern? Zivile Helfer und Verhandlungen zwischen allen beteiligten gesellschaftlichen Kräften. Nur so lasse sich ein Waffenstillstand erreichen, da ist sich das Publikum in Braunschweig wie in Berlin einig. "Vermutlich", sagt in Berlin Oberstleutnant Rose, "muss man da dann auch die Taliban einbeziehen". Für einen Moment wird es still. Dann nicken sie tapfer

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