Debatte: Feminismus braucht Solidarität

Opfer oder Ego (1): Es gibt eine neue Frauenbewegung. Ihre Protagonistinnen gehen von erfolgreichen, starken Frauen aus, die keine Quote brauchen.

Immerhin reden wir heute wieder darüber, über das F-Wort. Wobei mit dieser Abkürzung natürlich schon eine Distanzierung einhergeht. Denn frau kann es nach Belieben übersetzen - es muss nicht unbedingt Feminismus heißen, sondern passt auch für Frauen, Freiheit oder Fun. So jüngst Mirja Stöcker unter dem Buchtitel "Das F-Wort ist sexy". Nun habe ich als sogenannte Altfeministin inzwischen gelernt, die Distanzierung jüngerer Frauen vom Feminismus zu verstehen. Wer will schon, selbstbewusst, klug und möglicherweise erfolgreich durchgestartet, auf Frausein oder gar Feminismus festgelegt werden. Dazu kommt, dass der Antifeminismus insbesondere in Deutschland eine ungebrochene und längere Tradition hat als alle Emanzipationsbewegungen zusammen.

Die Soziologin Ute Gerhard hatte bis zur Emeritierung 2004 den ersten bundesdeutschen Lehrstuhl für Frauen- und Geschlechterforschung an der Uni Frankfurt inne. Nach ihrem Text erscheint ein Beitrag von Katja Kullmann, weitere folgen.

Und schließlich lehrt die Geschichte auch, dass eine soziale Bewegung nicht auf Dauer gestellt werden kann - dann wäre sie ja keine Bewegung mehr. Deshalb können ihre Anhängerinnen nicht erwarten, dass die jeweils jüngere Generation ihre Vorgehensweisen und Zielsetzungen kritiklos übernimmt.

So weit geht mein Verständnis. Was jedoch irritiert, ist die Tatsache, dass die "neuen" Frauen meinen, die Verhältnisse durch individuelle Leistung stemmen zu können. Sie sind es, die in der "F-Klasse" reüssieren (wie die Schriftstellerin Thea Dorn diese Frauen getauft hat), die kürzlich im Spiegel als "Alphamädchen" gefeiert wurden. Es ist dies ein grundsätzlicher Mangel, ja die Verweigerung von Mitgefühl und Solidarität für alle, die nicht so gelagert sind, dass sie kraft individueller Leistung in die Klasse der Karrierefrauen aufsteigen und sich nur mit Hilfe anderer Frauen ein Familienleben leisten können.

So etwa bei Thea Dorn, die zwar in "Die neue F-Klasse" einräumt, dass "das Rad der Emanzipation nicht neu erfunden" werden müsse. Doch lautet ihre Botschaft: "Warum nicht zugeben, dass es in diesem Buch nicht um Frauensolidarität um jeden Preis geht, sondern um eine bestimmte Klasse von Frauen, die sich [] einzig und allein durch das von ihr Erreichte definiert?"

Die Wiederauflage von Individualisierungstheorien und ein vorherrschender neoliberaler Common Sense sorgen dafür, dass Konzepte wie Solidarität, Quotierung oder institutionelle Formen der Frauenförderung für überholt, altmodisch, ja ideologisch gehalten werden. "Wer heute diskriminiert wird, ist selbst schuld", heißt es dann. Damit aber sind die Problematiken, die von der ehemals neuen Frauenbewegung mühsam auf die Agenda gesetzt wurden, unbemerkt wieder privatisiert worden. Das, mit Verlaub, ist kein Feminismus.

Tatsächlich ist die Modernisierung der Geschlechterverhältnisse doch nur sehr einseitig und unvollständig gelungen. Zwar gehen junge Frauen heute, anders als ihre Mütter, selbstverständlich davon aus, dass sie berufstätig sein werden. Dass gleichwohl in allen späteren Karrierestufen der Frauenanteil dramatisch abnimmt, ist das Ergebnis jener strukturellen Barrieren, die auch als "gläserne Decke" beschrieben werden.

So lassen sich die in die Strukturen eingelassenen Ungleichheiten nach wie vor an der schlechteren Stellung der Frauen im Beruf, den niedrigeren Einkommen oder der im Vergleich zu Männern miserablen sozialen Absicherung im Alter ablesen. Zugleich kommen die neuen Lebensmuster junger Frauen einer kulturellen Revolution gleich. Doch die kulturelle Modernisierung der Geschlechterverhältnisse ist den durch Ungleichheit geprägten Verhältnissen und der alltäglichen sozialen Praxis von Männern und Frauen weit vorausgeeilt. Zentrum der Ungleichheit im Geschlechterverhältnis ist nach wie vor die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Und zwar insbesondere in Bezug auf die private Alltagsarbeit wie auch im Hinblick auf den immer noch nach Geschlecht geteilten Arbeitsmarkt.

Dabei hatten Frauenbewegung und Frauenforschung auf keinem anderen Feld so radikal angesetzt und eine Revolution in den Köpfen vorbereitet. Die Kritik der traditionellen Arbeitsteilung, insbesondere an der Abwertung und Unsichtbarkeit der Haus- und Erziehungsarbeit, war der Aufhänger für politische Kampagnen und ein Motor der sozialen Bewegung der Frauen weit über das akademische Milieu hinaus. Ein neuer, erweiterter Arbeitsbegriff, der alle Tätigkeiten der Pflege, Erziehung und Sorge für andere (care) umfasst, ist bis heute der Dreh- und Angelpunkt feministischer Analysen und einer notwendig anderen, nicht nur am Arbeitsmarkt ausgerichteten Sozialpolitik.

Der Skandal liegt heute darin, dass trotz aller Kämpfe und Einsichten auch die heute junge Frauengeneration den gleichen Barrieren bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegenübersteht wie ehedem. Denn obwohl Frauen und Männer im jungen Erwachsenenalter heute einander so gleich sind wie niemals zuvor, übernehmen Frauen in Paarbeziehungen, sowie Kinder geboren werden, den Hauptteil der Familien- und Hausarbeit und stellen ihre beruflichen Ambitionen zumindest zeitweise zurück.

Diese neue/alte Geschlechterdifferenz wird jedoch nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen, sondern wiederum persönlichem Geschick überantwortet. In der Öffentlichkeit kommen die Probleme in einer aufgeregten politischen Diskussion über den Geburtenrückgang zum Ausdruck. Kinderlosigkeit oder die Verschiebung des Kinderwunsches aber sind die Antwort vieler gut ausgebildeter Frauen auf die anhaltende Unvereinbarkeit von Familie und Beruf und die Tatsache, dass Frauen in der Kinderfrage alleingelassen werden.

Wenn nun ausgerechnet eine Familienministerin der christlich Konservativen das heiße Eisen fehlender Krippenplätze und die frühkindliche gesellschaftliche Erziehung zu ihrem Thema macht, so fragt sich, wo die politischen Akteure, wo die Frauen sind, die jenseits des Parteienstreits nur gemeinsam so stark sein können, Allianzen zu bilden und politischen Druck zu erzeugen.

Und wir versäumen bei all unseren verspäteten innerdeutschen Geschlechterdebatten, dass sich seit den 1990er-Jahren international vielfältige Frauennetzwerke und transnationale neue Frauenbewegungen gebildet haben, die sich, auch mithilfe von EU und UNO, durchaus bereits als dritte Welle des Feminismus definieren und vielfältig Einfluss nehmen.

Um hier den Anschluss nicht zu verpassen, müssten wir allerdings auch pragmatischer werden und die bundesrepublikanisch so tapfer verteidigten unterschiedlichen Handlungsfelder von Frauen- und Gleichstellungspolitik, feministischer Wissenschaft und Frauenbewegung strategisch bündeln - und auch Männer, die etwas verstanden haben, einbeziehen. Feministinnen im europäischen Kontext bezeichnen die hierzu notwendige Kooperation als velvet triangle (samtenes Dreieck) und streiten auf diese Weise für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Die F-Klasse trägt dazu bisher leider wenig bei.

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