Suizid-Rock: Instant Melancholie

Das neue Interpol-Album ist perfekt für alle, die für eine echte Depression zu beschäftigt sind. Auf "Our Love To Admire" klingen Gitarren eckig wie Einbauschränke.

Desolater Dandy-Style aus den Staaten: Interpol Bild: emi

Auf dieser Seite des Ärmelkanals ist oft nur schwer zu verstehen, welchen Stellenwert im Königreich Ihrer Majestät ein gewisser Ian Curtis genießt. Im düsteren Entwurf seiner Band Joy Division kristallisierte sich die Depression des Nachkriegsbritannien ein allerletztes Mal. Nach dem frühen Selbstmord von Curtis im Jahre 1980 konnten die Nation und ihre Popmusik zu neuen Ufern aufbrechen. Der Märtyrer Curtis wurde im Gegenzug dafür heilig gesprochen.

Die Heldenverehrung erreicht aktuell gerade ein neues Niveau mit "Control", Anton Corbijns Film über das Leben des Heilands, der in Cannes unlängst warmherzige Kritiken erhielt. New Order, die Nachfolgeband von Joy Division, mag sich im Juni aufgelöst haben, aber der Strom der Epigonen will seit bald drei Jahrzehnten nicht abreißen. Die leidenschaftlichsten und von der britischen Musikpresse ausgiebig hofierten Wiedergänger kommen allerdings ausgerechnet aus dem Land des popmusikalischen Erzfeindes.

Ihre Herkunft New York ist aber auch schon das Amerikanischste an Interpol. Das Quartett kleidet sich nicht nur stets korrekt mit dreiteiligem Anzug und akkurat sitzendem Krawattenknoten im Stile britischer Dandys. Bassist und Mode-Vorbild Carlos Dengler leistet sich zudem noch onduliertes Haar und einen veritablen Schnäuzer. Auf ihrem dritten Album "Our Love To Admire" überführen sie wieder einmal die Blaupause von tanzbarer Düsternis, die Joy Division dereinst vorlegten, am konsequentesten in die Jetztzeit: Das Schlagzeug hastet atemlos voran, der Bass wirkt getrieben von einer dunklen Macht und die Gitarren schieben sich daher wie Einbauschränke, so groß und eckig, irgendwie ungelenk und von einer seltsam unmodischen, womöglich sogar wertkonservativen Eleganz. Über allem singt Paul Banks mit einer unüberhörbaren Liebe zur Dramatik von den üblichen Themen verlorener Männer: Frauen, Obsessionen, Einsamkeit und - in "No I In Threesome" - über Gruppensex.

Kurz: Interpol fertigen melancholische Miniaturen für Menschen, die zu beschäftigt sind für eine ordentliche klinische Depression. Für Brad Pitt oder David Bowie zum Beispiel, beide erklärte Fans. Die vier- bis fünfminütigen Wellness-Kuren gegen allzu gute Laune sind, das unterscheidet Interpol von vielen anderen, oft schludrig agierenden Curtis-Jüngern, allerdings nicht einfach mal so hingeschrammelt, sondern handwerklich exakt gefertigt und von geradezu unheimlicher formaler Strenge: Das Tempo ist stets mittelschnell und von beinahe maschineller Exaktheit, die Stimmung immer wohl temperiert, der Gesangsvortrag dosiert theatralisch und der Hall reichlich zugemischt. Kein Wunder, dass ihre Songs gern von der Totengräber-Serie "Six Feet Under" eingesetzt werden.

Allerdings: Ganz so elegisch wie das Vorgängeralbum "Antics", das bisweilen als Meisterwerk gefeiert wurde, ist "Our Love To Admire" nicht geraten. Dafür wirkt es im Ganzen sogar noch konzentrierter, eine Spur härter auch, kompromissloser, ein bisschen weniger verträumt und einen Tick düsterer, auch wenn zum ersten Mal bei Interpol Bläser verwendet werden. Vor allem die Gitarren klingen diesmal klarer, monolithisch und erhaben. Das sollte reichen, sich noch einmal erfolgreich abzusetzen von im eigenen Pathos ersaufenden Konkurrenten wie Placebo und wieder zu Leno und Letterman eingeladen zu werden. Schließlich füllen Interpol auch mit "Our Love To Admire" erfolgreich eine selbst geschaffene Nische im Popgeschäft aus: Sie spielen Gruft-Rock für Menschen, denen es zu kindisch ist, sich in schwarze Wallegewänder und Kajalränder zu schmeißen. Manchmal muss man eben auch mal ein bisschen traurig sein.

Interpol: "Our Love To Admire" (Capitol/EMI)

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