Dubstep: Mix gegen den Mainstream

Die Londoner Garage-Szene feiert zu den Bässen des Dubstep. Nun bringen zwei Compilations die instrumentale Tanzmusik über den Kanal.

Von Basstürmen die Ohren durchbluten lassen Bild: promo

Eigentlich müsste Dubstep schon längst das Crossover-Stadium erreicht haben. Wie wärs mit Lightstep für die Lounge oder Popstep fürs Handy? Doch dass die jüngste Dancemusic aus London immer noch unbehelligt vom Mainstream aufblühen kann, liegt zunächst an der instrumentalen Natur von Dubstep - denn ohne Gesang drohen auch keine Chartsplatzierungen. Zudem hat die stilbildende UK-Garage-Szene aus den Ausverkäufen der Neunzigerjahre gelernt und igelt sich ein. Wozu auch Einflüsse von außen: Die hybride Struktur lässt gleichzeitig Zeitlupentempo und Hochgeschwindigkeitsrausch, Breakbeat-Kubismus wie Bassdrum-Marsch zu.

Für alle, die nicht regelmäßig über den Ärmelkanal fliegen, um sich vor Basstürmen die Ohren gut durchbluten zu lassen, filtern Compilations aus der Flut an Maxis den aktuellen Stand der Dinge heraus, denn Künstler-Alben sind noch rar gesät. Ginge es nach zwei neuen Zusammenstellungen, zeichnet sich gerade eine Spaltung des Genres in beseelte Soundsystemvibes und düstere Lagerhallenmusik ab. Dabei präsentiert "Box Of Dub" den Sound als Autorenmusik mit karibischem Einschlag. Demgegenüber verfolgt "Dubstep Allstars Vol. 5" die vom Rave geprägte Entwicklung im DJ-Mix.

Der Titel "Box Of Dub" suggeriert die Vollendung der Genrewerdung, fertig abgepackt für den Heimgebrauch. Ein Großteil der zwölf Stücke bedient sich an den klassisch jamaikanischen Zutaten aus Skankrhythmus, Echospuren, klagender Melodica und schweren Bässen. Versammelt sind fast alle Impulsgeber: von den Szenegurus Digital Mystikz im Unterwasser-Dub über Quereinsteiger Kevin Martin und sein zwischen Fieberträumen von Lee Perry und Tricky driftendes Projekt King Midas Sound bis zu Wunderkind Skream. Aus der Reihe tanzen Kode9 und Burial mit ihrem gleißenden Minimalismus, der dem Berliner Entwurf von Minimal Techno mehr zu verdanken hat als einer jamaikanischen Dub-Koryphäe wie King Tubby. Man darf gespannt sein, welche Potenziale sich an dieser Schnittstelle noch entfalten werden.

Im Gegensatz zum ordentlich aufgereihten Star-Aufgebot entlädt sich auf dem fünften Teil der "Dubstep Allstars" ein rhizomatisches Gewusel aus fast vierzig von DJ N-Type gemixten Tracks. Zwar wird dabei die Spaltung zumindest personell entkräftet, unverzichtbar sind auch hier Digital-Mystikz-Mitglieder und Skream. Die Betonung liegt aber weniger auf "Dub-" (als Kunst des Weglassens), sondern auf dem "-step" (als technologisierte Umsetzung). Mit der Folge, dass die verzerrten Bässe, digitalen Mückenschwärme und verlorenen Rave-Signale irgendwann ziemlich gleich klingen. Wobble Step nennt sich das Subgenre, in dem Basslinien bis zum Exzess moduliert werden. Wie testosterongetrieben das ist, wird klar, wenn die Stimme von Soulsirene Minnie Riperton kurz für Erlösung vom zwanghaften Geboller sorgt.

Die schleichende Formalisierung von Dubstep überschreitet Burial in der "Box Of Dub". Über dem klirrenden Uptempo-Groove von "Unite" schwebt eine hochgepitchte Frauenstimme. Die sehnsüchtige Stimmung knüpft an eine Ära an, in der Stücke noch "Living For The Future" hießen, deren Optimismus aber mit dem Platzen der Dotcom-Blase ein Ende fand. Dubstep erscheint hier als Geisterversion seines Vorfahren Jungle: Isoliert und intim, gebrochen und doch mit Zuversicht sucht das Morgen, das uns gestern versprochen wurde, die Gegenwart als Alternative heim.

V.A.: "Box Of Dub - Dub Step and Future Dub" (Soul Jazz/Indigo), "Dubstep Allstars Vol. 5" (Tempa/Neuton)

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