Stress auf Spiekeroog: Auf der Insel der Unfriedlichen

Auf Spiekeroog investiert der Reeder Niels Stolberg in ein Touristikprojekt nach dem anderen. Das spaltet die Bevölkerung, die Ruhe ist dahin.

Das Künstlerhaus von außen

Nicht kleckern, sondern klotzen: Stolbergs Künstlerhaus Bild: Ingo Wagner / dpa

SPIEKEROOG taz | Nicht einmal eine Statue können sie auf Spiekeroog aufstellen, ohne dass es Streit gibt. Erst versucht der örtliche Naturschützer zu verhindern, dass das Geschenk eines Künstlers, der jedes Jahr zwei Monate auf dem Zeltplatz arbeitet, in die Dünen gesetzt wird. Dann giftet Bernd Fiegenheim, der Bürgermeister, bei der Einweihungsfeier solle „niemand von außen“ spielen, sondern der örtliche Musikverein. „Wir machen das so, wie wir das immer machen.“

Alle im Mehrzwecksaal des Kurmittelhauses „Kogge“ wissen, gegen wen sich das richtet: gegen den Bremer Reeder Niels Stolberg, der heute sein neuestes Projekt auf der autofreien Ostfriesischen Insel eröffnet. Seit Monaten wirbt er für das Veranstaltungshaus „Künstlerhaus Spiekeroog“, dort ist sechsmal so viel Platz für Veranstaltungen wie in der „Kogge“, mit Radierwerkstatt, Bewegungsräumen und einem künstlichen Kamin, der 60.000 Euro gekostet hat.

Zur Eröffnung spielen „Fury in the Slaughterhouse“. Für die Mehrheit der Insulaner ist das Künstlerhaus ein Symbol dafür, wie ihnen Stolberg die Kontrolle über die Insel abnimmt.

Der Dorffrieden ist hin, seitdem der 46-Jährige die Insel entdeckt hat: Ein Selfmademan, machte erst wie sein Vater das Kapitänspatent, studierte dann noch Betriebswirtschaft und gründete schließlich 1995 seine eigene Reederei. Beluga Shipping verschifft Schwergüter und machte Stolberg reich. Vor acht Jahren dann entdeckte er Spiekeroog, kaufte sein erstes Haus, acht gehören ihm inzwischen, dazu zwei Restaurants, der Insel-Buchladen und nun noch das Künstlerhaus.

Feindschaften im Gemeinderat

Dabei sind seine 200 Gästebetten nur ein Bruchteil aller Betten auf der 825-Einwohner-Insel. Doch die Spiekerooger, die die Aktivitäten des jungen Unternehmers anfangs offen und neugierig beobachteten, wünschen sich mittlerweile ein Stoppschild. Sie haben Angst, dass die Gäste wegbleiben, weil ihnen Stolbergs Version von Spiekeroog nicht gefällt und mit dem Künstlerhaus zu viel Trubel auf die Insel kommt.

Das andere Lager hingegen – darunter der Naturschützer, den Stolberg nur „den Bewahrer und Beschützer der Insel, Altbürgermeister Uli Bauer“ nennt – hält Stolberg für einen Wohltäter. Wer recht hat, ist noch offen.

Im Gemeinderat brechen die Feindschaften regelmäßig offen aus: „Du hast ja keine eigene Meinung mehr“, muss sich Christian Kiesow anhören. Der Inhaber eines Blumenladens ist einer der drei Gemeinderäte, die auf Stolbergs Seite stehen, darunter auch der Dorfpolizist. Kiesow hat eine namentliche Abstimmung verlangt, es geht um das Künstlerhaus. Acht Wochen vor Eröffnung will Stolberg dort mehr Leute verköstigen als geplant und auch noch einen Jazzkeller einrichten.

Wenn sie nicht zustimmen, warnt Kiesow, könnte Stolberg sie verklagen, sogar die Gemeinderäte persönlich haftbar machen. Ihm gegenüber sitzt Wolfhart Klasing von der Fraktion „Auf Spiekeroog“, mit fünf Abgeordneten die größte im Rat. „Du bist doch befangen, Christian“, presst er zwischen den Zähnen hervor; er sieht aus, als könne er sich nur mühsam beherrschen, Kiesow nicht an die Gurgel zu gehen.

Unersättlicher Investor

30 Zuhörer sind zu der Sondersitzung in die Kogge gekommen, der zweite Tagesordnungspunkt ist das „Sturmeck“, ein Gebäude im Westen der Insel, das Stolberg, selbst nicht anwesend auf der Sitzung, kaufen möchte. Die drei Männer und zwei Frauen von der Wählergemeinschaft „Auf Spiekeroog“ und der Bürgermeister, der zur selben Partei gehört, wollen das unbedingt verhindern, lieber soll die Gemeinde es selbst erwerben und ein oder zwei Millionen ausgeben. „Wahnsinn“, sagt Kiesow.

Dass Stolberg nicht aufhört zu kaufen, obwohl er immer mal wieder gesagt hat, er habe genug, liege in dessen Natur, sagt er. „Der ist Unternehmer, und das kommt nun mal von ‚unternehmen‘ und nicht von ‚auf dem Arsch sitzen‘.“ Dass er mit „Niels“ befreundet sei, sei doch nicht verkehrt. Stolberg selbst sagt, er habe keine Freunde im Gemeinderat.

Die Sitzung endet mit einem Eklat: Pastor Joachim Breithaupt erwischt Stolbergs Architekten dabei, wie dieser die Sitzung heimlich aufzeichnet. Mit rotem Kopf entschuldigt der sich: „Ich habe so ein schlechtes Gedächtnis.“

Als Stolberg später davon hört, will er damit nichts zu tun haben. Er nennt es empört „ein Unding, so was darf man nicht“. Pastor Breithaupt lächelt milde über solche Sätze und erzählt beim Kaffee im Pfarrbüro, wie er einen Anruf „von oben“ bekam, weil er Stolbergs Geschäftspartner ein Konzert in der alten Inselkirche verweigert hatte. Und wie ihn Stolberg beschimpfte, weil er nicht spurte.

Drohungen von Stolberg

Von Anrufen oder Besuchen von Stolberg persönlich kann man sich einige Geschichten auf Spiekeroog erzählen lassen, von Drohungen und Beleidigungen auch. Doch in der Zeitung soll das lieber nicht so genau stehen, sagen die meisten, sie hätten schon genug Ärger. Auch der Inseljournalist Hartmut Brings möchte nicht öffentlich ins Detail gehen, warum er nur noch im Beisein von Zeugen mit Stolberg redet.

Einige Insulaner verfolgt der Unternehmer juristisch, anderen hat er es angedroht, auch der Kurverwaltung, die nicht für sein Künstlerhaus werben will. Eine Atmosphäre der Angst mache sich breit, sagt Pastor Breithaupt. Und dass an dem Graben, der durchs Dorf geht, beide Seiten buddeln. Auf Stolbergs Vorwurf, sich nicht als Brückenbauer zu betätigen, sagt Breithaupt nur: „Dafür ist es zu spät.“

Warum bleibt Stolberg eigentlich, wenn ihm so viel Unwillen entgegenschlägt? Investieren könnte er seine Gewinne auch anderswo. Ganz einfach, sagt Stolberg: Er habe sich „verliebt“ in die Insel auf der Suche nach dem perfekten Platz für ein Feriendomizil. Dann rutscht er in seinem Büro mit Weserblick auf die Kante des Sofas, seine Augen leuchten noch ein wenig blauer, und er schwärmt von seinen Häusern, vom „Sturmeck“, das er gerade dem CVJM abgekauft hat, um eine Art Jugendherberge daraus zu machen.

Noch vor zwei Monaten hatte er seinen Gegnern im Gemeinderat geschrieben, er wolle vom Kauf absehen, um „keine weiter gehende Besorgnis in der Spiekerooger Bevölkerung entstehen zu lassen“. Schnee von gestern: „Das ist ein so wunderschönes Projekt“, das müsse er machen. „Was ist denn daran falsch?“

Er sei doch keiner, der die Insel zubetoniert mit Bettenburgen, er sei einer, der mit „Fingerspitzengefühl und Feingeist“ vorgehe, verfallene Häuser restauriert und sie sogar „historisch stilechter nachrüstet“, als sie es vorher waren, wie im Inselmagazin Watt ’n Eiland steht. Das allerdings auch Stolberg gehört. Er fragt wieder und wieder: „Was ist daran falsch?“

Politiker mögen den Reeder

Für ihn gibt es nur eine Antwort: Wer seine Liebe verschmäht, kann nur ein Neider sein, einer, der sich vor Konkurrenz oder Veränderung oder beidem fürchtet. So denkt nicht nur Stolberg, so denken auch seine Anhänger und Freunde, darunter Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann, der ebenfalls ein Haus auf der Insel besitzt. Politiker mögen ihn, er schafft Arbeitsplätze und finanziert die Ausbildung von Seeleuten.

Stolberg selbst bezeichnet sich als „sozial engagierten Unternehmer“. Tsunami-Waisen hilft er und einem Kinderhospiz. Seine Töchter seien „Revoluzzer“, das hätten sie von ihm, er war ja auch in Brokdorf damals.

Einer von den „Neidern“ ist Lars Bücking. Zwanzig Minuten dauert der Fußmarsch vom Dorf zwischen Dünen und Pferdeweide bis zu seiner bunt bemalten Bretterbude am Zeltplatz: ein paar zusammengehauene Bänke, ein zerschlissener Strandkorb. Seit 15 Jahren verkauft er Bier und Kaffee aus der Thermoskanne, Hanfnudeln und Bockwurst, Sanddornwein und Sonnencreme, über der Eistruhe liegen Kartenspiele aus, ganz hinten in einer Ecke stehen gebrauchte Bücher zum Verkauf.

Sein Kiosk, sagt der 38-Jährige, sei wie die Insel selbst, jeder könne drin stöbern und etwas entdecken. „Die Leute sitzen hier und gucken dem Gras beim Wachsen zu. Hier werden kleine Dinge ganz groß.“ Stolberg steht für Bücking für das entgegengesetzte Prinzip. Der glaubt, dass den Gästen die Ruhe, für die Spiekeroog bekannt ist, nicht mehr reicht. „Der sagt den Leuten, wie sie sich erholen sollen.“

Die Leute mit Handy am Ohr, die man in Stolbergs Prospekten sieht, denen er „kreative Lösungen“ auf dem Strandspaziergang verspricht, mit dem Strand als Flipchart, diese Urlauber störten ihn nicht, sagt Bücking – solange Leute wie Uwe davon nicht abgeschreckt werden. Der zeltet seit 1970 hinter dem Kiosk in den Dünen, trägt stets ein Gänseblümchen im Bart und freut sich, wenn ihn niemand fragt, was er macht und wer er ist.

Angst vor einem Disneyland

Wie so viele fand Bücking Stolbergs Engagement anfangs sogar gut, weil alte Strukturen und Marktführerschaften aufbrachen. „Aber jetzt reicht’s, ich will nicht, dass das hier sein Disneyland wird.“ Im Herbst ließ er sich deshalb für die Kommunalwahlen aufstellen und gehört nun auch „Auf Spiekeroog“ an, der Fraktion, deren Mitglieder oft nicht viel mehr gemeinsam haben als den Willen, Stolberg in Schach zu halten.

Für Stolberg sind „der Rat“ und die Spiekerooger zwei verschiedene Paar Schuhe. Dass 58,6 Prozent Fiegenheim zum Bürgermeister gewählt haben, ändert daran nichts. Höchstens „10 Prozent“ seien wirklich gegen ihn, allen anderen wurde Angst gemacht. Warum sich jemand wie Bücking gegen ihn engagiert, kann er nicht erklären.

Dessen Kiosk sei „Kult“ und „Lars ein ganz lieber Kerl“. Stolberg schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was mit ihm los ist.“ Gesprochen haben die beiden allerdings noch nie miteinander. Für den Reeder gibt es nur ein Kommunikationsproblem, die Spiekerooger haben ihn einfach noch nicht richtig verstanden, aber er sei immer noch bereit, „im Dialog diese Prozesse zu erklären“.

Bücking wird sich die Eröffnungsreden im Künstlerhaus sparen, er muss Bier verkaufen und Tomatensoße. Bürgermeister Fiegenheim hingegen hat keine Ausrede, er hält eine Rede. Und er wird sich umschauen und fragen, wer dazugehört und wer nicht. Nicht alle „Stolberger“ tragen T-Shirts mit dem Aufdruck seiner Firmen.

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