Arabische Musikszene: Krieg ist kein Argument für Scheiße

Musiker der arabischen Welt wollen für ihre Kunst anerkannt werden, nicht für Exotik oder Krisen. Yasmine Hamdan ist das gelungen.

Sie will als Musikerin glänzen, nicht als Exotin: Yasmine Hamdan. Bild: dpa

Vielleicht war es ihr Hüftschwung, der die Situation bedrohlich werden ließ. Vielleicht das schwarze Tanktop über der engen Hose, oder ihre Stimme, zart, brüchig, dann wieder dunkel und kräftig? Grüppchen junger Männer bildeten sich im Publikum, saugten jedes Wort dieser großartigen Sängerin in sich auf, schon etwas zu lüstern. Als Yasmine Hamdan 2014 beim Festival für zeitgenössische Kunst im Herzen Kairos auftrat, erklärte manch Beobachter: So etwas habe es seit Langem nicht mehr gegeben – seit den Tagen, in denen Umm Kulthum Köpfe und Herzen der Zuhörer verzauberte.

An Umm Kulthums Weltruhm reicht der von Yasmine Hamdan noch nicht heran. Ihr Verdienst ist ein anderer: Sie sagt den vielen jungen arabischen Frauen und Männern, dass man Traditionen nicht mühsam brechen muss, sondern sie integrieren, mitnehmen kann in das Hier und Jetzt.

Aus den Biografien tilgen kann man sie ohnehin nicht. Hamdan selbst ist 1976 in Beirut geboren und wuchs während des libanesischen Bürgerkriegs am Golf, in Kuwait und Griechenland auf. Bekannt wurde sie Mitte der Neunziger als Teil des Duos Soapkills – der Name ist eine Anspielung auf die Bemühungen, die Schrecken des Kriegs abwaschen zu wollen. Soapkills mischte langsame elektronische Beats mit klassischen arabischen Klängen und melancholischem, meist arabischem Gesang.

Das Ergebnis haute selbst die hippen Beiruter um: Yasmine Hamdan und Zaid Hamdan – die beiden sind nicht verwandt – wurden zu Ikonen des Undergrounds. International bekannt machten sie die gemeinsamen Arbeiten mit dem Madonna-Produzenten Mirwais und der Folk-Band CocoRosie. 2013 erschien ihr bislang letztes Album „Ya Nass“, das mehr akustisch denn elektronisch daherkommt.

Dass die New York Times Yasmine Hamdan zur „modernen Stimme der arabischen Musik“ erklärt hat, ist bekannt, auch, dass Jim Jarmusch ein Fan von ihr ist. Wirklich interessant macht Hamdan ihr Umgang mit dem Arabischen, dieser Welt- und Kultursprache, deren Lieder Muttersprachlern die Tränen in die Augen treiben können. Viele dieser oft seit Jahrzehnten allseits bekannten Texte greift sie auf und interpretiert sie neu. Weil sie in unterschiedlichen Ländern gelebt hat, kann sie mühelos zwischen mehreren arabischen Dialekten wechseln. Der Dialekt der Beduinen, beschrieb sie in einem Interview mit dem Portal Qantara, „bringt etwas Schüchternheit, Erotik, Sinnlichkeit sowie Bodenständigkeit mit sich und verschleiert das Ungesagte“.

Kairo und Beirut sind die musikalischen Zentren

Den meisten Zuhörern außerhalb der arabischen Welt fehlt diese Beziehung zwischen Inhalt und Klang. Macht nichts, meint Hamdan: Auch wenn man nicht alle Bezüge und Details verstehe, habe Musik die Kraft, gemeinsame Gefühle zu erzeugen und damit Grenzen zu überwinden. Klingt abgedroschen, aber sie selbst ist der Beleg dafür: Dieselben Kritiker, die ihr vorwerfen, sie singe nicht regelkonform genug, akzeptieren ihr musikalisches Wissen und ihre Liebe zum klassischen Liedgut.

Auch der Schweizer Musikethnologe und Journalist Thomas Burkhalter hebt hervor, wie viel Kenntnis Hamdan und ihr Duo Soapkills von der alten Musik haben. Burkhalter beschäftigt sich seit Langem aus wissenschaftlicher Perspektive mit arabischer Musik und kennt vor allem die Szene in Kairo und Beirut sehr gut. „Die Beiruter Musiker sehen ihre Stadt als Zentrum der alternativen Musikkultur in der arabischen Welt, die Kairoer Musiker beanspruchen dasselbe für ihre Stadt. Mein Eindruck: Beirut hat mehr Labels, Festivals und Clubs, Kairo das größere Publikums- und Marktpotenzial.“ Im über 300 Millionen Menschen umfassenden arabischen Kulturraum kann es kein umfassendes Bild moderner arabischer Musik geben. Kernpunkte der Entwicklung sind jedoch Kairo und Beirut.

Im Libanon findet Thomas Burkhalter unter anderem den syrisch-philippinischen Rapper Chyno interessant. In seinem Track „O.P.P.“ entwickelt Chyno ein fast schon soziologisches Interesse an einem Selbstmordattentäter. Er will kein Verständnis wecken, rappt aber über die Hintergründe, die das Leben mancher Menschen so aus den Fugen geraten lassen, dass manche von ihnen sich selbst in die Luft sprengen. Chynos jüngstes Video „Fight or Flight“ befasst sich mit dem syrischen Bürgerkrieg.

In Kairo ist Mahmoud Refat der wohl am besten vernetzte Musiker und Produzent. Er betreibt das Label und Studio 100copies im Zentrum der Stadt, unweit des Tahrirplatzes. Refat hat zuletzt auch „Mahragan“-Künstler unter Vertrag genommen, was nicht alle in der Szene gut finden: Mahragan, im Westen auch Electro-Chaabi genannt, ist der schon nicht mehr ganz so neue heiße Stoff aus den Armenvierteln Ägyptens. Elektronisch stark veränderte Sing- oder Rapstimmen auf treibenden, schnellen Beats, die Masse vor dem DJ mit bengalischen Feuern und vollkommen ekstatisch – Musik, die in ihrer rohen Kraft zur prekären Lage der meisten jungen Ägypter passt.

Von Liebesliedern bis zu Selbstmordattentätern

Gleichzeitig erwacht die Metalmusik aus ihrem staatlich verordneten Schlaf: Nach einer großen Razzia Ende der 90er ist die Szene langsam wieder gesund. Die Band Crescent schaffte es im vergangenen Sommer nach Wacken, auf das größte Metalfestival der Welt.

Die Musik dieser drei Beispiele hat nichts zu tun mit der klassischen, staatlich unterstützten Kultur – im Gegenteil. Gleichzeitig wird sie im Westen sehr geschätzt. Exotik verkauft sich, „andere“ Nachrichten aus Kriegs- und Krisengebieten häufig auch. Das treffendste Beispiel ist wohl Omar Souleyman, ein 49-jähriger syrischer Hochzeitsmusiker, der lange Jahre genau das tat: auf Hochzeiten syrische und irakische Dabkemusik spielen. Dann entdeckte ihn der umtriebige Alan Bishop für sein in Seattle beheimatetes Label Sublime Frequencies und machte ihn auf dem westlichen Musikmarkt bekannt.

Die Musikrichtung heißt nun New Wave Dabke, Omar Souleyman hat mit Björk zusammengearbeitet und bringt im Juli sein neues Album heraus – auf dem Modeselektor-Label Monkeytown. Ob Souleyman wirklich der neue Liebling im Westen wird, ist nicht ganz klar. Im Jahr 2008 veröffentlichte er ein Lied, das den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in den Himmel hob. Heute betont er, er sei unpolitisch.

Es gibt natürlich Beispiele für beide Richtungen: Chyno, der syrische Rapper aus Beirut, geht mit seinen Texten über Flucht und Selbstmordattentäter tief hinein in die Psyche dieses Teils der arabischen Welt. Yasmine Hamdan singt mit betörender Stimme alte, ewige Lieder über Liebe.

Yasmine Hamdan spielt am 19. Mai im Lido in Berlin, am 20. Mai im Dortmunder Konzerthaus und am 21. Mai im Täubchenthal in Leipzig

Letztlich geht es den arabischen MusikerInnen so wie ihren KollegInnen weltweit: Sie wollen anerkannt werden für ihre Musik, nicht weil sie aus einem exotischen oder gefährlichen Teil der Welt kommen. Der Klangkünstler Tarek Atoui fasst es so zusammen: „Dass ich Libanese bin, mag Vorteile oder Nachteile haben. Aber ich mixe keine orientalischen Aromen in meine Beats, ich mische keine Bomben in meine Musik. Krieg ist kein Argument, Scheiße zu produzieren.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.