Kapitalismuskritik und Konsum: „Die Hauptlast liegt beim Norden“

Der Globalisierungskritiker Walden Bello über mangelndes zivilgesellschaftliches Engagement beim G-7-Gipfel, Postwachstum und soziale Ungleichheit.

Volle Einkaufstüten

„Die Menschen in den Industriestaaten werden lernen müssen, mit weniger materiellen Gütern zu leben.“ Foto: dpa

taz: Herr Bello, beim letzten G-8-Gipfel in Deutschland waren Sie der Hauptredner. Sie sprachen während der schweren Krawalle in Rostock – auf Englisch. Medien übersetzten Ihre Rede falsch und behaupteten, Sie hätten die Demonstranten zum „Krieg gegen Polizisten“ angestachelt. Erinnern Sie sich?

Walden Bello: Natürlich. Die Organisatoren des Gegengipfels haben dann bei den Redaktionen protestiert. Und die Zeitungen haben sich entschuldigt und ihren Fehler korrigiert. Tatsächlich gab es nichts in meiner Rede, was die Leute zur Gewalt aufgefordert hätte. Ich habe über den Irakkrieg gesprochen.

Damals waren etwa 50.000 Menschen vor Ort. Viele von ihnen blockierten das Treffen der Staatschefs. Heute aber sind die Gipfel nicht mehr im Fokus der sozialen Bewegungen. Zu Recht?

Nein. Der G 7 ist in diesem Jahr besonders wichtig, auch für die Zivilgesellschaft. Sie sollte vor Ort sein, am besten mit einer Massenmobilisierung.

Warum?

Aus drei Gründen: Der eine ist die Vorbereitung des UN-Klimagipfels im Dezember in Paris. Für dessen Erfolg ist es entscheidend, dass sich die G 7 verpflichten, ihren CO2-Ausstoß zu verringern, und zwar verbindlich. Kanada, Japan und die USA stellen sich quer. Die anderen G-7-Staaten sollten dringend auf diese Länder einwirken. Der zweite Grund ist, dass sich die G 7 unbedingt über ihre Einwanderungspolitik Gedanken machen müssen. Und auch die zerstörerische Sparpolitik gegenüber Südeuropa kann so nicht weitergehen.

Immerhin sind dieses Mal auch afrikanische Präsidenten eingeladen. Man will mit ihnen über Entwicklung sprechen.

Das ist gut. Aber wichtiger ist, dass in Sachen Klimaschutz und Migration Druck gemacht wird.

70, ist Professor für Soziologie an der Universität der Philippinen und gilt als Vordenker der globalisierungskritischen Bewegung. 2009 wurde er auf Einladung von Oskar Lafontaine Mitglied der Linkspartei. Er ist Kongressabgeordneter.

Das klingt, als ob Sie das Problem von Hunger und Armut schon für gelöst halten.

Nein, Armutsbekämpfung ist immer noch wichtig. Aber Klima, Migration und Austerität haben aktuell ganz besondere politische Brisanz.

Austerität wurde ja von den sozialen Bewegungen mit Blockupy zum großen Thema gemacht – wohl auch als Ersatz für eine große G-7-Mobilisierung.

Es sollte da kein Entweder-oder geben, es existiert ein starker politischer Zusammenhang: Die Prinzipien, mit denen gegenüber den Entwicklungsländern Schuldenpolitik betrieben wird, sind die gleichen, die jetzt auch in Südeuropa angewandt werden. Die Stukturanpassungsprogramme trafen früher Entwicklungsländer und heute Griechenland.

Viele sagen: Dass heute alle von Austerität sprechen und keiner mehr von Globalisierung, liege daran, dass die G-7-Staaten international immer weniger Einfluss haben. Stattdessen bestimmen Mächte wie China und Indien die Welt. Die alte Globalisierungskritik könne diesen Umstand nicht erfassen.

Nein. Globalisierung ist ein Mechanismus, der die Krise des Kapitalismus auf die globale Ebene verschoben hat. Das mündete in der Finanzkrise von 2008. So gibt es heute die Krise in Europa – und parallel dazu krisenhafte Erscheinungen in vielen Ländern des Südens.

Was heißt das genau?

In beiden Fällen nimmt soziale Ungleichheit zu. Das ist die Folge der kapitalistischen Globalisierung. Es gibt heute mehr Zentren des Kapitals, etwa die Brics-Staaten. Aber sie alle sind in den Weltmarkt integriert. Und deshalb leiden alle darunter, dass die globale Wirtschaft nicht wächst.

Die Schwellenstaaten und ein Teil der Entwicklungsländer wachsen sehr wohl.

Aber viel langsamer als zuvor. Zunächst hat es die USA getroffen, dann Europa, und nun stagniert auch die ökonomische Entwicklung der Brics-Staaten ganz erheblich. Das ist, wenn Sie so wollen, die neue Phase der Globalisierung. Es ist kein Triumphzug mehr wie in den Neunzigerjahren, als alle gedacht haben, das Wachstum geht immer und vor allem überall weiter.

Und jetzt?

Das neoliberale Versprechen lautete: Die totale Integration aller Entwicklungs- und Industriestaaten in den Weltmarkt wird die beste aller möglichen Welten schaffen. Das war eine Illusion. Seit einigen Jahren erkennen auch immer mehr Länder des Südens, dass sie sich nicht mehr auf den globalen Export verlassen dürfen, sondern in Innern wachsen müssen. Das kann nur, wer Kaufkraft bei der eigenen Bevölkerung schafft. Und das wiederum erfordert Umverteilung. Der Neoliberalismus hat das genaue Gegenteil bewirkt: die Konzentration von Reichtum. Deswegen werden jetzt Alternativen diskutiert.

Das ist eine sehr optimistische Formulierung. Wer stellt die konventionelle Wachstumsagenda denn ernsthaft infrage?

Postwachstum und klimaverträgliche Wirtschaft sind die Alternativen. Die 7 bis 10 Prozent Wachstum, die es in einigen der Brics-Staaten gab, basierten auf fossiler Energie und haben den meisten Bewohnern dieser Länder kaum etwas gebracht. Niemand, der bei Verstand ist, kann das wollen. Auch der Mittelklasse dieser Länder ist klar, dass man nicht einfach den Weg des globalen Nordens weitergehen kann.

Man beschließt jetzt also, wie von den UN geplant, im September die Sustainable Development Goals (SDG), die nachhaltigen Wirtschaftsziele, exportiert nicht mehr so viel, und alles ist gut?

Die SDG sehen vor, mehr auf die Bedürfnisse der Menschen zu achten und weniger klimaschädlich zu produzieren. Das ist richtig. Die SDG stellen aber das ökonomische Paradigma, das die Krise ausgelöst hat, nicht infrage. Wonach wir suchen müssen, ist eine postkapitalistische Ökonomie. Das ist der Kern der Globalisierungskritik.

Also wenig Markt und möglichst kein Wachstum. Wie sähe die Welt dann aus?

Wenn mehr umverteilt wird, haben viele Menschen mehr, ohne dass die Ökonomie insgesamt wachsen müsste. Die Produktion heute ist darauf aus, Güter zu individuellem Besitz zu machen. Der Ausweg heißt Sharing, Gemeingüter. Die Technologie kann da helfen. Sie ist nicht statisch, sie reagiert auch auf die Politik. Heute kann sie jedem ein Auto bauen, sie kann auch viel bessere öffentliche Verkehrsmittel schaffen.

Das klingt, als würde das Ganze kaum jemanden etwas kosten.

Es ist völlig klar, dass es Überkonsum in den Industriestaaten gibt. Er trägt die historische Verantwortung für den Treibhauseffekt. Und deshalb muss auch die Hauptlast der Anpassung beim Norden liegen. Die Menschen dort werden lernen müssen, mit weniger materiellen Gütern zu leben.

Sprechen wir vom globalen Süden. Was soll er tun?

Ein gutes Beispiel ist Lateinamerika. Dort haben sich die Menschen von der neoliberalen Politik abgewandt oder sie abgeschwächt, etwa Chile oder Brasilien. Statt alles dem Markt zu überlassen, haben sie den Staat wieder stärker gemacht. Das war der Hauptgrund für den Rückgang der Armut und Ungleichheit in vielen dieser Länder. Das macht es für die Anhänger des Marktes schwer, ihr Dogma zu rechtfertigen. Genau auf diesem Punkt muss die globalisierungskritische Bewegung beharren.

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