Kommentar Tote Flüchtlinge: Schmerzhaft besetzte Leerstelle

Der Umgang mit Toten gehört zu den Grundfesten von Kulturkreisen. Die Aktion des „Zentrums für Politische Schönheit“ zeigt, woran es bisher mangelt.

Protestaktion vor dem Brandenburger Tor in Berlin

Protestaktion des Bündnisses Gemeinsam für Afrika e.V. vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Foto: dpa

Es ist oft das Nichtgesagte, das uns zuruft, um was es eigentlich geht. Es ist die Leerstelle, die auf den Kern des Problems verweist. Es sind die toten Leiber, die aufgedunsen am Strand liegen, die in der Sonne verwesen, die stinken und von Insekten befallen sind, die uns zeigen, um was es geht.

Es ist gut, dass die deutsche Öffentlichkeit sich zunehmend mit den Ursachen der Flucht beschäftigt, mit Hunger, Vertreibung und Krieg. Dass Flüchtende auf ihrem Weg begleitet werden, Bilder gezeigt werden von gekenterten Booten und manchmal auch von blauen Säcken, die am Strand liegen. Aber dann hört das Fragen auf.

Was passiert eigentlich mit den Leichen? Jenen, die angespült werden, und jenen, die auf dem Grund des großen europäischen Massengrabs Mittelmeer liegen. Die Behörden vor Ort haben eine einfache Formel gefunden: Wir wollen so wenig wie möglich wissen. Nur so kann man der Bürokratie entkommen, die verlangt, bei Identifizierung die Angehörigen zu suchen, unter Umständen eine Überführung zu ermöglichen oder aber zumindest für ein ordentliches Begräbnis zu sorgen.

Es gibt Grundkonstanten, worüber Kulturkreise definiert werden. Musik gehört dazu, oft ein typisches Getränk, immer aber der Umgang mit den Toten.

Die Aufmerksamkeit heiligt die Mittel

Was sagt es also aus, dass bei uns in Europa die Leichen jener, die hierherkamen auf der Suche nach einem besseren Leben, verscharrt werden wie Dreck, in anonymen Massengräbern, so billig wie möglich? Das Wegsehen fällt in Deutschland besonders leicht. Hier gibt es das Problem Flüchtlingsleiche nicht.

Diese Leerstelle nutzt das Zentrum für Politische Schönheit erneut für eine spektakuläre Aktion. Tabus kennen die Politaktivisten nicht. Im Gegenteil. Die gewonnene Aufmerksamkeit heiligt die Mittel. Darf man dabei über Leichen gehen? Ist nicht irgendwo Schluss mit der Instrumentalisierung von Opfern? Die Aktion „Die Toten kommen“ geht an die Grenze.

Zynisch ist nicht dieses Projekt. Zynisch ist eine Gesellschaft, die buchstäblich über Leichen stolpern muss, um hoffentlich wahrzunehmen, dass die Flüchtlinge keine statistische Größe sind, sondern Menschen, die ein Recht auf unsere Unterstützung haben. Und denen man auch über ihren Tod hinaus mit Würde begegnen muss, wenn man denn das Grundgesetz achtet, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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