Sprechen ist immer ein Kämpfen

AUFTRAGSPOST Der vollständige Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und Helene Weigel erzählt die Geschichte einer weniger symbiotischen denn „großen“ Liebesbeziehung

Hier ist einer der bedeutendsten Autoren der Moderne ganz unmodern, ja spießig

VON STEFAN MAHLKE

Brecht hatte viele Frauen, viele wichtige Frauen. Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin, Ruth Berlau. Und Helene Weigel. Sie sah nicht nur die anderen Frauen kommen, bleiben und gehen, sie war auch Mutter, Haushaltschefin, Organisatorin, später Intendantin. Und sie war Schauspielerin, eine große Schauspielerin. Sie war Brechts Hauptfrau. Erstmals ist jetzt der komplette Briefwechsel zwischen beiden erschienen. Erdmut Wizisla, Leiter des Berliner Brecht-Archivs, hat ihn herausgegeben.

„Echte“ Liebesbriefe von Brecht an Weigel, zum Teil auf Klopapier verfasst, sind verloren gegangen. Aber selbst die vorliegenden Briefe zeigen uns, dass die Liebe zwischen Brecht und Weigel durch das Nadelöhr des Begehrens gegangen ist. Noch 14 Jahre, nachdem sie sich kennengelernt haben, schreibt er ihr: „Sieh nur zu, daß Du nicht zu dünn wirst, besonders, Du weißt schon wo.“ Noch mal neun Jahre später schließt Brecht mit: „Ich küsse Dich vorsichtig und unvorsichtig, sorgfältig und flüchtig, schnell und langsam, Heli.“

Oft lesen sich die Briefe – von denen drei Viertel von Brecht stammen – wie Auftragspost. „Liebe Helli, Weill hat einen schönen Rasierapparat Schick (Repeating Razor) von Schenk (Kurfürstendamm neben Rosenheim!) Bitte kauf ihn mir! Wetter jetzt gut.“ Die BE-Intendantin Weigel empfiehlt Brecht Schauspieler: „Hast du schon mit der Hurwicz probiert? Ich hoffe so sehr, dass sie Dir gut gefallen wird. Man müßte achtgeben, daß sie nicht die Lippen zusammenpreßt.“ Oder sie bittet ihn wegen „absoluter Hilflosigkeit“ um „Krach“. Weihnachten 1952 schenkt sie ihm ein Buch mit Widmung: „Lieber Bert, von Deiner ältesten Verehrerin“. Brecht wiederum zeigt ihr immer wieder, wie hoch er ihre Schauspielkunst schätzt: Die Mutter im gleichnamigen Stück werde ihr „auf diesem Planeten nicht leicht nachgespielt werden“. Nachdem Weigel 1949 mit der „Mutter Courage“ im Nachkriegsdeutschland groß rausgekommen ist, dankt ihr Brecht „für ein gutes Jahr, von dem Du das Größte warst“.

So groß ihrer beider Liebe zum Theater war und sie so die Liebe zwischen ihnen nicht erlöschen ließ – im Privaten wies die Beziehung eine erstaunliche Asymmetrie auf. Schon in einem der frühen Briefe ist, wenn auch noch sachte, Brechts Angst vor Kontrollverlust zu spüren: „Wann hast du wieder Zeit???? Wirst Du so gut schlafen als ich es wünsche und fröhlich sein allerdings nicht zu sehr aber etwas“, fragt er Anfang 1924. Ein gutes Jahr später – Weigel hat inzwischen Sohn Stefan geboren – ist der Ton schon ein anderer: „Gehe ich Dir ab???? Bist Du auch zurückhaltend gegen die Herrn und ordentlich früh und spät??? Ich will da nichts hören müssen. Und jetzt küsse ich Dich, Helli“. Der Versuch, mittels leicht altväterlicher Diktion die Eifersucht ironisch zu kaschieren, misslingt. Brecht war extrem eifersüchtig, bei Weigel grundlos. Zugleich hatte er „einen großen Widerwillen dagegen, [sich] von Klatsch und Rücksicht auf die Phantasie einiger Spießer beeinflussen zu lassen“, wie es in einem Brief vom Januar 1933 heißt.

Konnte Weigel über Brechts Liebschaft mit seiner Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann noch müde lächeln, dachte sie angesichts von Brechts Affäre mit Margarete Steffin an Scheidung. Brecht hatte die Amateurschauspielerin im November 1931 kennengelernt, und die Intensität dieser Arbeits- und Liebesbeziehung belastete die Ehe schwer. In solchen Situationen war Brecht durchaus feige, er fürchtete „Privatkonflikte, Szenen usw., die mich sehr erschöpfen“. Deshalb schrieb er auch lieber, „statt zu sprechen, weil das leichter ist, gegen das Sprechen habe ich immer eine solche Abneigung, das ist immer ein Kämpfen“. Der Brief vom 1. Januar 1933 lässt vermuten, dass Weigel ihn kurz zuvor abgewiesen hat, denn Brecht plädiert dafür, „das Körperliche nicht nach dem Psychischen zu richten, da es die naivere und unbelastetere Verständigung gibt“.

Brecht konnte das, er wollte das eine und das andere, oder besser: die eine und die andere. Ohne – und hier ist einer der bedeutendsten Autoren der Moderne ganz unmodern, ja spießig – es dem anderen zuzugestehen.

Verweigerter Beischlaf

Zu einer ähnlichen Krise kam es im amerikanischen Exil. Und diesmal – etwa 1944, die Datierung ist unsicher – war es Weigel, die schrieb, aber abbrach und den Brief vielleicht nicht abschickte. „Lieber Bert, jetzt muß ich Dir schon einen Brief schreiben, weil es mir selber närrisch vorkommt, daß ich nein sage, wenn Du mit mir schlafen willst, und außerdem erstaunt mich Dein sofort auftretendes neubelebtes Interesse, wieso, nur wegen dem Nein? [...] Du kannst und willst nicht eine deklarierte mit Stempel versehene Ehe führen, das war sie auch nie und ich hab sie nicht für mich verlangt [...] weil ich annahm, daß sie nicht geht für Dich, aber ich finde auf einmal, daß Du solche Ansprüche einer andern Frau einräumst. Deine Antwort darauf ist, daß Du völlig verschwindest, schweigend drei Wochen eine völlige Änderung einführst, das ist schon ein Fußtritt von besonderer Heftigkeit.“

Im Rückblick spricht Weigel gegenüber Tochter Barbara von ihrer „dusseligen Treue“, die aber auch erzwungen gewesen sei von der finanziellen Abhängigkeit in der Zeit des Exils. Die Gelassenheit einer anderen Äußerung, dass Brecht durchaus treu gewesen sei – „leider zu zu vielen“, ist eine aus der Rückschau. Brecht und Weigel führten keine symbiotische Beziehung, vielmehr war es eine „große Liebesbeziehung“ (Weigel), von deren nicht kleinen Spannungen und Krisen die Briefe auch erzählen.

Bertolt Brecht, Helene Weigel: „ich lerne: gläser + tassen spülen“. Briefe 1923-1956. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 402 Seiten, 26,95 Euro