Debatte um ein würdiges Ende: Wer darf beim Sterben helfen?

Brauchen wir ein neues Gesetz zur Sterbehilfe? Nein, sagt Roger Kusch, der einen Sterbehilfe-Verein führt. SPD-Politiker Lauterbach sieht Bedarf.

Karl Lauterbach (links) und Roger Kusch beim Streitgespräch in der taz.am wochenende. Foto: Karsten Thielker

In der kommenden Woche berät der Bundestag über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe. Im Herbst soll abgestimmt werden. Wie lässt sich dafür sorgen, dass Menschen selbstbestimmt aus dem Leben gehen können? Dass niemand unter als unwürdig empfundenen Bedingungen stirbt? Dass langem Leiden ein Ende gesetzt werden kann? Und das alles, ohne den Suizid zur gesellschaftlichen Normalität zu erklären?

Auslöser der neuen Debatte ist unter anderem der Sterbehilfeverein von Roger Kusch. Mit ihm unterstützt der Hamburger Exjustizsenator als Einziger in Deutschland seine Mitglieder bei ihrer Selbsttötung. Viele Politiker fürchten, dass assistierter Suizid zu einem regelhaften Angebot wird und Menschen, die dies ablehnen, unter Druck geraten könnten.

Für die taz.am wochenende vom 27./28. Juni hat taz-Gesundheitsredakteurin Heike Haarhoff deshalb ein Streitgespräch mit Roger Kusch und Karl Lauterbach geführt. Der Mediziner und Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion ist für eine Neuregelung der Sterbehilfe. Er hat einen der vier Gesetzentwürfe initiiert, über die die Parlamentarier nun beraten wollen.

Bislang sind in Deutschland Selbstmord und Beihilfe zur Selbsttötung – auch begleiteter Suizid genannt – straffrei. Wer anderen hilft, sich das Leben zu nehmen, etwa indem er ein todbringendes Medikament bereitstellt, wird nicht bestraft. Wichtig ist, dass der letzte Schritt vom Sterbenswilligen selbst ausgeführt wird. Verboten ist jedoch die aktive Sterbehilfe: Wer Todkranken gezielt Medikamentencocktails verabreicht, damit sie sterben, wird in Deutschland bestraft – anders als in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und dem US-Staat Oregon.

In Griechenland hat Syriza die unangefochtene Macht. Sie sind oppositionelle Regierende, oder regierende Oppositionelle. Wie die neue Rolle die Partei prägt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juni 2015. Außerdem: Ratten leben in unseren Kellern, Träumen und Büchern. Warum ekeln wir uns vor diesem Tier?. Und: Ausgerechnet in Hoyerswerda fliegt ein Molotowcocktail auf eine Turnhalle voller Flüchtlinge. Diese Stadt hat wohl gar nichts gelernt. Oder doch?. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nun soll die Suizidhilfe auch in Deutschland gesetzlich geregelt werden. Besonders große Chancen hat dabei der Vorschlag, für den sich unter anderem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aussprechen. Sterbehilfe soll demnach straffrei bleiben, aber nicht „geschäftsmäßig“ betrieben werden. Das heißt: nicht über den Einzelfall hinausgehen. Lauterbachs Vorschlag ist liberaler: Geht es nach ihm, sollen mit einem neuen Gesetz die Ärzte bestärkt werden, die bislang Zweifel haben. Die Regelung soll klarstellen, dass sie sich dezidiert nicht strafbar machen. Bislang riskieren Ärzte, die sich an einer Beihilfe zum Suizid beteiligen, in zehn von 17 Ärztekammern ihre Berufserlaubnis. Er will, dass nur Ärzte einen Suizid begleiten können, und das auch nur im Fall einer unheilbaren Krankheit.

Kusch dagegen hält die derzeitige Regelung für ausreichend. Das jetzige Gesetz stelle ja schon klar, dass begleiteter Suizid straffrei sei. „Ein Recht, das nichts verbietet, kann nicht liberaler werden, als es ist“, sagt Kusch in der taz.am wochenende. Die mangelnde Bereitschaft vieler Ärzte liege nicht an der von Lauterbach behaupteten fehlenden Rechtssicherheit, sondern an deren weltanschaulicher Haltung. „Das sagen Sie so apodiktisch!“ hält Lauterbach dagegen. Seiner Meinung nach zeigten Umfragen unter Ärzten ein anderes Bild.

Kusch fürchtet bei einer gesetzgeberischen Änderung eine Einschränkung der Selbstentfaltung. „Wenn eine Frau mit 90 Jahren lebenssatt ist, geht es den Deutschen Bundestag überhaupt nichts an, was sie mit ihrem Leben macht“, sagt Kusch. Das ist einer der zentralen Streitpunkte zwischen Kusch und Lauterbach: Soll der begleitete Suizid nur für Todkranke möglich sein – oder auch für Menschen, die mit 1.000 Zipperlein die Last des Lebens nicht mehr ertragen und nicht ins Pflegeheim wollen? Mit der neuen Regelung maße sich der Bundestag an, die Lebensführung der Menschen in die Kategorien richtig und falsch einteilen zu wollen, findet Kusch. Diesen Vorwurf nennt Lauterbach „abwegig.“ Allein das Beispiel der lebenssatten Frau, die niemandem zu Last fallen will, sei ein Trauerspiel, so Lauterbach. Solchen Menschen müsse anders geholfen werden als mit Sterbehilfe.

In einem Punkt jedoch sind sich die Kontrahenten einig: Sie können sich beide vorstellen, einmal in eine Situation zu geraten, in der sie den Suizid als einzigen Ausweg sehen. Für viele Konservative und besonders für strenggläubige Menschen ist aber auch diese Position kaum denkbar.

Die Debatte um ein würdiges Lebensende wird nicht erst seit den vergangenen Jahrzehnten geführt. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud etwa machte Schluss mit seinem Leben, als es nicht mehr ging. Am frühen Morgen des 23. September 1939 ließ er sich von seinem Hausarzt eine tödliche Dosis Morphin spritzen. Freud lebte im Exil, seit Jahren litt er an Gaumenkrebs, kurz vor seinem Tod konnte er kaum noch sprechen. Er entschied, dass es nun genug war, dass er sterben wollte.

Bereits nach seiner ersten Krebsoperation im April 1923 hatte Freud in einem Brief geschrieben: „Es geht mir nicht sehr nahe. Man wird sich eine Weile mit den Mitteln der modernen Medizin wehren und sich dann der Mahnung von Bernard Shaw erinnern: ‚Don‘t try to live forever, you will not succeed.‘“ Versuch nicht, ewig zu leben, es wird dir ohnehin nicht gelingen.

Udo Jürgens etwa wünschte sich einen von Ärzten begleiteten freiwilligen Tod, sollte sein Verstand einmal nicht mehr funktionieren – auch wenn sich der Wunsch für ihn persönlich dann nicht erfüllen musste, gestorben ist er an Herzversagen. Der Physiker Stephen Hawking hat sich für Sterbehilfe ausgesprochen, Schauspieler Michael Caine gab in einem Radiointerview zu, seinem Vater beim Sterben geholfen zu haben; die Schauspielerinnen Gudrun Landgrebe, Eva Mattes und Petra Nadolny fordern in der Initiative „Mein Ende gehört mir“ das „Recht auf letzte Hilfe.“

Soll der begleitete Suizid weiterhin straffrei sein? Wer soll dabei helfen können – ausschließlich Ärzte oder auch Vereine wie der von Roger Kusch?

Diskutieren Sie mit!

Das komplette Streitgespräch lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juni 2015.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.