„Pop vor Marktmechanismen schützen“

STANDORT Der scheidende HAU-Kurator Christoph Gurk über schwindende Freiräume im Kulturleben, den spukenden Geist bei der Annäherung von Pop und Theater und die hemmungslose Mythisierung Berlins

Christoph Gurk vor dem Hackbarth’s in Mitte, Juni 2015 Foto: William Minke

Interview Jens Uthoff und Julian Weber

taz: Christoph Gurk, Sie haben knapp 15 Jahre Konzerte, Performances und Diskursveranstaltungen an Berliner Bühnen kuratiert. Nun verlassen Sie die Stadt. Wie sehr hat sich das Musikangebot in dieser Zeit verändert?

Christoph Gurk: Am auffälligsten ist die unglaubliche Dichte an Veranstaltungen. Als ich Ende der Neunziger nach Berlin kam, dachte ich, es könnte mir hier sogar zu eng werden. Die Szene bestand aus kleinen, eingeschworenen Kreisen, einer Mischung aus Alteingesessenen und Pionieren, die das kulturelle Klima in der Stadt bestimmten. Ich hatte nicht immer den Eindruck, dass Neuankömmlinge enthusiastisch begrüßt werden. Der Spaß stellte sich erst ein, als mehr und mehr Leute aus aller Welt in die Stadt kamen und die leicht beklemmende Atmosphäre wegpusteten. Nun muss man sich eher Sorgen machen, in welcher Weise eine stark selbst­organisierte Kulturszene, wie es sie in Berlin immer gegeben hat, überleben kann.

Gibt es die nicht immer noch – parallel zum Popbusiness?

Sicher. Die Zeit, in der es unendliche Freiräume zu geben schien, ist dennoch vorbei. Am ehesten gibt es im Bereich der Clubs noch Spielräume: Da haben wir Läden wie das About Blank, das mit seinen Aktivitäten – mittlerweile eine Seltenheit in Berlin – politische Ziele verfolgt.

Im Gegensatz zu den Neunzigern, als Sie nach Berlin kamen, sind Popkonzerte am Theater mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Da hat die Volksbühne eindeutig eine Vorreiterrolle gespielt. Es war Frank Castorf selbst, der das aus seiner ganz eigenen Ost-Sozialisation heraus betrieben hat, und mit ihm der Dramaturg Carl Hegemann. Beide haben mir damals die Chance gegeben, dort Programm zu machen. Ich habe zum Beispiel gemeinsam mit Josef Strau die Galerie Meerrettich ins Leben gerufen, einen Non-Profit-Projektraum, in dem lauter Künstler ausstellten, die ihre Arbeit heute überall auf der Welt zeigen. Schon deshalb ist es verrückt, wenn nun behauptet wird, die Volksbühne soll zur Eventbude umgewidmet werden.

Wie hat sich die Annäherung an Pop denn auf das Theater ausgewirkt?

Schon die Räume, der Rahmen, in dem Theater gezeigt wird, das alles verändert sich, wenn an einem Abend ein Konzert einer In-Avantgardeband steigt – und am nächsten eine Inszenierung auf dem Spielplan steht. Das sind Vorgänge, die sich gegenseitig beeinflussen, die man nicht sehen, wohl aber spüren kann. Gerade in einem Haus wie der Volksbühne habe ich das immer sehr deutlich empfunden, den „Geist“, von dem ein Haus heimgesucht wird, auch wenn das ein wenig mystisch klingen mag.

Die kulturellen Sphären von Theater und Pop haben also voneinander profitiert?

Durch diesen Dialog haben sich einerseits neue Formen des Musiktheaters herausgebildet. Die Zusammenarbeit zwischen René Pollesch und Dirk von Lotzow bei ihrer Oper „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ ist da nur das jüngste Beispiel. Am HAU hat es – angefangen mit Produktionen von Künstlern wie Damian Rebgetz, über die Kollaboration des Choreographen Jeremy Wade mit Xiu Xiu bis hin zur „Wasp Factory“ von Ben Frost – eine ganze Palette interessanter Arbeiten auf diesem Gebiet gegeben. Umgekehrt sind im Theater auch Konzerte und Happenings möglich, die es unter reinen Marktbedingungen nie geben könnte. Manchmal macht es Sinn, den kontemplativen Ort des Theatersaals für Popmusik zur Verfügung zu stellen.

Berthold Seeliger hat einmal kritisiert, subventionierte Konzertveranstalter hätten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber marktwirtschaftlichen Veranstaltern. Das habe negative Auswirkungen auf die Konzertbranche.

Ich kenne nicht einen Club, nicht eine Agentur, die in ernsthafte Schwierigkeit geraten wäre, weil es Theater gibt, die sich mit Musik beschäftigen. Das ist reine Stimmungsmache. So gut ich es finde, wenn erfahrene Konzertveranstalter wie Seliger die Strukturen des Geschäfts hinterfragen – es gibt da meines Erachtens nach eine ungute Vermischung zwischen seinen eigenen Geschäftsinteressen und dem kritischen Ansatz, den er zu verfolgen vorgibt. Das nimmt seinen Beschreibungen von Fehlentwicklungen im Konzertbusiness leider ein wenig von ihrer Glaubwürdigkeit.

Das HAU hat jahrelang dank Subventionen interdisziplinäre Festivals auf die Beine gestellt. Jetzt kuratiert das Musicboard ein Festival auf gleicher Grundlage – und Sie kritisieren dies. Warum?

Vorab: Ich finde es total gut, dass es das Musicboard gibt. Die Leiterin, Katja Lucker, hat innerhalb kürzester Zeit eine Menge bewegt. Besonders wichtig finde ich die Residenzprogramme, die es Musikerinnen und Musikern erlauben, unabhängig von den Veröffentlichungszyklen zu produzieren. Das Problem fängt aber damit an, dass Popmusik in Berlin nur dann Aussichten auf öffentliche Mittel hat, wenn sich die Maßnahme als Teil der Wirtschaftsförderung legitimieren lässt. Damit wird eine ganze Sparte der Kulturproduktion in die Pflicht genommen, den Standort Berlin aufzuwerten. Pop hat einen Anspruch darauf, vor den Mechanismen des Marktes geschützt zu werden. Dafür sollten die gleichen Förderinstrumente geschaffen werden, wie es sie beispielsweise auch fürs Theater, für die Oper oder Klassische Musik gibt.

Inwieweit betrifft diese Kritik das nun erstmals stattfindende Festival „Pop-Kultur“?

Christoph Gurk

Geboren 1962 in Ratingen, war von 1993 bis 1998 Spex-Chefredakteur. Danach arbeitete er an der Volksbühne und am Centraltheater Leipzig. Seit 2008 war er Mitglied des künstlerischen Teams und Musik-Kurator am HAU, nun wechselt er an die Münchner Kammerspiele.

Die richtet sich weder fachlich noch persönlich gegen die Kuratoren, Martin Hossbach und Christian Morin. Schwierig finde ich es aber, auf einer institutionellen Ebene, wenn mit dem Musicboard eine Einrichtung der Senatsverwaltung selbst zum Ausrichter von Kulturveranstaltungen wird und damit, ohne Not, in Konkurrenz zu einschlägigen Protagonisten in der Stadt tritt.Worin liegt denn der Unterschied, ob das HAU einen Kuratoren einsetzt oder das Musicboard? Fehlt da eine Instanz?

Ja. Tendenziell: je weiter entfernt von institutionalisierter Politik, desto besser. Ein Theater hat immer die Möglichkeit, einen kritischen Diskurs aufzubauen. Slogans wie „It began in Berlin“, mit denen nun die „Pop-Kultur“ annonciert wird, lassen die Befürchtung aufkommen, dass hier ziemlich hemmungslos eine Mythisierung von Berlin als kreativer Stadt betrieben wird. Damit wird Musik in einen Rahmen gestellt, der sich affirmativ zu neoliberaler Rhetorik verhält.

Haben Sie mit Ihrer Arbeit an der Volksbühne und am HAU nicht Veranstaltungsformaten wie dem „Pop-Kultur“-Festival den Weg geebnet?

Nein. Volksbühne und HAU sind Orte kritischer Kultur, wie es sie so vor 15, 20 Jahren nicht gegeben hat. Klar, sie haben einen großen Beitrag geleistet, dass in einer Stadt wie dieser, aus einer Stunde null heraus, eine unglaubliche Vielfalt künstlerischer Angebote entstehen konnte. Das heißt aber nicht, dass man gleichzeitig mit der Vereinnahmung von Popkultur fürs Stadtmarketing einverstanden sein muss.

Es gibt im Bereich des Theaters und der Bildenden Kunst – siehe Zentrum für Politische Schönheit – eine starke Tendenz zur politischen Intervention. Wo sehen Sie die Popkultur da angesiedelt? Wird die auch wieder politischer?

Leider nein. Lustigerweise ist es wirklich eher die subventionierte Hochkultur, die in die Sphäre des Realpolitischen hineinwirkt. Dabei ist doch gerade Popmusik, schon von ihrer Entstehungsgeschichte her, nur als diasporische Kultur zu verstehen, als eine Folge von Kolonialismus und Verschleppung. Es ist schon verwunderlich, dass dieses Segment, zumindest hierzulande und in dieser Stadt, so stumm im Hinblick auf die Flüchtlingspolitik bleibt. Berlin könnte in dieser Hinsicht von Hamburg lernen. Da gibt es immerhin ein wirkungsmächtiges Geflecht aus Kampnagel, Schwabinggrad Ballett, Golden Pudel Club, der Lampedusa-Gruppe und den Goldenen Zitronen.