Schnörkellose Action

FILMREIHE Bis heute ist kein abschließendes Urteil über die Regie-Legende Don Siegel gefällt worden. Das Kino Arsenal würdigt ihn mit einer Retrospektive

In „Charley Varrick – Der große Coup“ (1973) glänzt Walter Matthau (rechts) in einer Paraderolle als Bankräuber und Kunstflieger Foto: Promo

von Andreas Busche

Der amerikanische Regisseur Don Siegel hatte viele Gesichter. Schon zu Lebzeiten waren sich die Großkritiker uneinig über seine Bedeutung für das amerikanische Kino. Pauline Kael beschimpfte Siegel und seinen Hauptdarsteller Clint Eastwood nach „Dirty Harry“ als reaktionären Flügel einer siechenden Filmindustrie. Tatsächlich war der Erfolg von „Dirty Harry“ um den Hippie-Hasser und Law-and-Order-Cop Harry Callahan – die Antithese zu Dennis Hoppers und Peter Fondas LSD-Cowboys aus „Easy Rider – auf dem Höhepunkt des New Hollywood-Booms ein Affront. Der 60-jährige Siegel zählte damals in Hollywood schon zum alten Eisen. Auch die französischen Verfechter der politique des auteurs wussten mit ihm trotz einer gewissen Grundsympathie wenig anzufangen.

Für die Kategorie des Autorenfilmers, der sich im Studiosystem seine Handschrift bewahrt hatte, fehlte es Siegel an einem eigenen Stil. Gleichzeitig war unübersehbar, dass ein Film noir wie „The Lineup“ (1958) oder der psychologische Spätwestern „The Beguiled“ (von 1971, demselben Jahr wie „Dirty Harry“) zu den eigenwilligsten Beiträgen ihrer Genres gehörten.

Auch fast ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod ist kein abschließendes Urteil über Siegel gefällt. Immerhin genießt er als Regie-Legende heute das Ansehen, das sein Gesamtwerk verdient. Einige Mythen haben die Zeit jedoch nicht überdauert. Der Paranoia-Klassiker „Die Dämonischen“ (besser bekannt unter dem Originaltitel „Invasion of the Body Snatchers“), der von Siegels Anhängern lange Zeit als Kritik an McCarthys Kommunistenhetze verteidigt wurde, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als unverhohlene Hetze gegen die „rote Flut“. Bereits vier Jahre zuvor hatte Siegel mit „No Time for Flowers“ keinen Zweifel an seiner politischen Linie gelassen.

In das Spätwerk fällt auch der bizarre Kalter-Krieg-Thriller „Telefon“ mit Charles Bronson als Ostagenten, der einer Gruppe kommunistischer „Schläfer“ auf der Spur ist. Ein kurzer Blick auf das Programm der kleinen Don- Siegel-Retrospektive, die das Kino Arsenal im Juli zeigt, belegt aber auch, dass Siegel als einer der wenigen Regisseure in Hollywood über dreißig Jahre konstant qualitativ erstklassige Arbeit ablieferte.

Fünfzehn Filme umfasst die Auswahl, der früheste ist der Film Noir „The Verdict“ aus dem Jahr 1946, der späteste der John- ­Wayne-Schwanengesang „The Shootist“ um einen krebskranken Revolverhelden. Siegels fünf Filme mit Clint Eastwood befinden sich ebenso im Programm wie die erwähnte Hard-boiled- Kuriosität „The Lineup“.

Die Zusammenarbeit mit Eastwood etablierte ein Markenzeichen von Siegels Spätwerk: eine trockene Lakonie

Und auch wenn die fünfzehn Filme eine besondere Handschrift vermissen lassen, führt die Rückschau eindrucksvoll Siegels pragmatische Arbeitsweise vor Augen. Sein Handwerk lernte er in den 1930er-Jahren in den Produktionsmühlen von Warner Bros, wo er sich als Cutter eine ökonomische Erzählweise aneignete, die später sein Markenzeichen wurde. Seine berühmte Eröffnungsmontage von „Casablanca“ empfahl ihn bald als Second-Unit-Regisseur. Mit seinem ersten Kurzfilm „Star in the Night“ gewann Siegel 1945 den Oscar.

Siegel empfand die Arbeit nach Studiovorgaben jedoch als ein­engend, sodass er sich noch in den 1940er Jahren von Warner trennte. Sein Credo war, für jeden Film einen eigenen Stil zu finden. In dem Kleingangsterdrama „Crime in the Streets“ (1954) mit dem jungen John Cassavetes nutzte er die billigen Studiobauten für ein klaustrophobisches Kammerspiel. Der Fernsehfilm „The Killers“ (1964), eine Neuverfilmung des gleichnamigen Siod­mak-Klassikers, war so brutal, dass der Film schließlich doch in den Kinos anlaufen musste. Er bedeutete nicht nur den Durchbruch für Lee Marvin, sondern machte auch Ronald Reagan zur einer Gangster-Ikone.

Die Zusammenarbeit mit Clint Eastwood etablierte ein weiteres Markenzeichen von Siegels Spätwerk: eine trockene Lakonie, die ihn auch als Regisseur mit Sinn für Humor auszeichnete. Seine bester Film „Charley Varrick“, mit Walter Matthau in einer Paraderolle als Bankräuber und Kunstflieger, verbindet eine lakonische Amoral mit schnörkelloser Action. Siegel liebte diese aus der Zeit gefallenen Einzelgänger mit Gesichtern, die vom Leben gezeichnet waren: Eli Wallach, Clint Eastwood, Walter Matthau, Lee Marvin, Richard Widmark, John Wayne. Im Juli kann man ihnen im Arsenal wiederbegegnen.

Retrospektive Don Siegel: Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, 10.Juli–28. August, Programm unter: www.arsenal-berlin.de