Italienische TV-Serien: Schatten am blauen Himmel

Aus Italien kommen im Moment die interessantesten TV-Serien. Mit Geschichten, die unbequem und aufregend sind. Eine davon ist „1992“.

Zwei Männer stehen auf einer Brücke und schauen auf Häuser

Knallhart und unromantisch – Szene aus „1992“. Foto: Sky

Die schlimmstmögliche Reaktion eines Filmagenten zu einem Serienskript: „Lasst uns einen Roman daraus machen. Oder einen Kinofilm!“. Jedenfalls für das Autorenteam Ludovica Rampaldi, Alessandro Fabri und Stefano Sardo. Sie hatten ein fertiges Konzept an einen Filmagenten geschickt, in dem sie sämtliche Handlungsabläufe, Charaktere, Stil und Atmosphäre der Geschichte, die sie erzählen wollten, festgelegt und ausgearbeitet hatten. „Oder werft sie einfach ins Feuer“, übersetzt Fabri die Antwort.

Heute kann er darüber lachen. Rampaldi führt aus: „Wir fragten: Warum? Schließlich hatten wir hier am Konzept für eine Fernsehserie gearbeitet. Der Agent antwortete, dass das niemand in Italien produzieren oder finanzieren würde. Es war das Jahr, in dem Berlusconis Monopol noch viel zu mächtig war. Wenn es Sky nicht gegeben und man dort nicht den Mut gehabt hätte, es zu machen, hätten wir es wohl wirklich ins Feuer werfen können.“

Mit „1992“ hat das Team eines der ambitioniertesten und komplexesten Fernsehprojekte der italienischen Fernsehgeschichte erschaffen. Es erzählt vom Korruptionsskandal „Tangentopoli“ und den Aufdeckungen der politischen Schmiergeldaffären unter Staatsanwalt Antonio Di Pietro mit dem Namen „Mani pulite“ – „Saubere Hände“ –, der vor zwei Jahrzehnten das Land erschütterte und die schmutzigen Geschäfte der Regierungsparteien offenlegte.

Tausende Beamte, Politiker und Geschäftsleute waren in das Netz aus systematischer Korruption, illegaler Parteienfinanzierung, Diebstahl und Amtsmissbrauch verwickelt. Deren Offenlegung bedeutete den Untergang der Ersten Republik, aus deren Asche sich Medienmogul Silvio Berlusconi erhob.

Persönlicher Rachefeldzug

„1992 war das Revolutionsjahr in Italien“, erklärt Autor Fabri. „Wir haben uns in der ersten Staffel auf zehn Monate beschränkt – jede Folge erzählt einen Monat, um den Anfang des Wechsels in Italien zwischen 1992 und 1994 darzustellen. Wir würden also gerne eine Trilogie daraus machen.“ Sie erzählen die Geschichte mithilfe eines halben Dutzends fiktiver Charaktere, die in der Umlaufbahn der historischen Figuren agieren.

Zum Beispiel Polizist Luca Pastore, Mitglied des Ermittlungsteams und auf einem persönlichen Rachefeldzug gegen Unternehmer Michele Mainaghi, den er für die Verbreitung von HIV-verseuchten Blutkonserven verantwortlich macht, mit denen er selbst infiziert wurde. Werbemanager Leonardo Notte kümmert sich um die Vermarktung von Politikern. Veronica Castello ist die Geliebte von Mainaghi, die um jeden Preis eine Karriere im TV-Showgeschäft anstrebt. Dessen Tochter Bibi fühlt sich ausgerechnet zu Pastore hingezogen. Dann ist da noch der Irakkriegs-Heimkehrer Pietro Bosco, der unvermittelt zum neuen Hoffnungsträger der aufstrebenden rechtspopulistischen Lega Nord stilisiert wird.

Es ist nicht die erste groß angelegte Serienerzählung dieser Art, die in den letzten Jahren aus Italien kommt. Hier hat der Pay-TV-Sender Sky Italia seine Chance erkannt, um nach dem Vorbild des US-amerikanischen Bezahlsenders HBO in der Nische komplex erzählte und aufregende Serienstoffe zu produzieren. Wie „Gomorrha“, nach dem gleichnamigen Roman von Roberto Saviano, der knallhart und unromantisch von den Machenschaften der Camorra-Clans in Neapel erzählt und von internationalen Kritikern als Italiens Antwort auf „The Wire“ gefeiert wird.

Oder der Vorgänger „Romanzo Criminale“, die Geschichte einer römischen Kleinkriminellen-Gang von den 1970ern bis zur Gegenwart. Ähnlich wie bei „Gomorrha“ gingen „Romanzo Criminale“ ebenfalls ein erfolgreicher Roman sowie ein Kinofilm voraus.

Nach US-Vorbild

Mit „1992“ hat sich der Sender nun einen Schritt weiter getraut und einen originär entwickelten Stoff von Drehbuchautoren verwirklicht, der zwar ähnliche Themen anspricht, sich aber eher als politisches und zeitgeschichtliches Porträt denn als Mafia- oder Polizeiserie versteht. Autorin Ludovica Rampaldi hat nicht nur für „Gomorrha“ geschrieben, sondern arbeitet seit zehn Jahren im Team mit Fabri und Sardo. In dieser Kreativunion will sie nach dem US-Vorbild des Showrunners agieren – gemeinhin der Serienschöpfer und Autor, der die kreative Kontrolle über die Produktion vom Casting bis zum Schnitt behält.

Ihre Einschätzung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erinnert an die Kritik, die man den Sendern hierzulande gegenüber äußert: „So viele Jahre hatten wir keine Möglichkeit, unsere Gesellschaft in dieser Weise zu porträtieren. Unser Fernsehen richtete sich ausschließlich an alte Menschen, die sich versichern wollten, dass alles in Ordnung ist und sie sich um nichts Sorgen machen müssen, weil wir das perfekte Land sind. Der Himmel ist blau, das Essen ist gut, die Frauen sind schön. Mit ‚Romanzo Criminale‚, ‘Gomorrha‚und jetzt ‚1992‚haben wir erstmals wieder die Möglichkeit, von den Schattenseiten unserer Gesellschaft zu erzählen. Das ist kontrovers und erzählerisch besonders ergiebig.“

Da sie mit ihren unbequemen und aufregenden Geschichten erfolgreich sind, sei mittlerweile auch RAI – die große öffentliche Rundfunkanstalt des Landes – wieder dabei, sich zu öffnen, erzählen die Autoren, wenn in ihren Worten auch noch Skepsis mitschwingt. Dabei lief hier mal eine der bekanntesten Serien des Landes „La Piovra“ – in Deutschland unter dem Titel „Allein gegen die Mafia“ im ZDF zu sehen. Die brachte es immerhin auf eine Laufzeit von siebzehn Jahren in elf Staffeln.

Stefano Sardo, der dritte Autor im Bunde, erklärt am Rande des vom Erich-Pommer-Instituts organisierten Workshops „European TV Drama Series Lab“ in Berlin: „Bei Sky hat man gesehen, dass es eine Lücke gab, um in mutigere Fiktion zu investieren, den Markt zu öffnen und sich mit einer kleinen Produktion einen Namen auf dem Feld zu machen. Denn letztendlich wird nicht viel in Fiktion produziert, aber die internationale Wahrnehmung war groß und hat ihnen eine enorme Publicity gebracht.“

Die Fortsetzung folgt

Das Autorenteam arbeitet bereits an der zweiten Staffel, auch wenn es noch keinen offiziellen Auftrag gibt. Die Chancen zur Fortsetzung stehen jedoch gut. In Italien lief die erste auf dem Pay-TV-Sender mit durchschnittlich einer Million Zuschauer ähnlich erfolgreich wie „Gomorrha“. Gekostet habe sie aber nur die Hälfte, erzählt Fabri stolz. International wurde „1992“ schon in zahlreiche Länder verkauft, die Kritiken sind hervorragend. „Man braucht ein System, das einem erlaubt, etwas verrückt zu sein, um Einzigartiges zu schaffen“, plädiert Sardo für eine kreative Öffnung der starren Richtlinien der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

„Stefano Bises, Serienautor von ‚Gomorrha‚, hat lange für RAI gearbeitet, aber als er die Chance hatte, etwas Außergewöhnliches zu machen, hat er die beste Arbeit seiner Karriere erschaffen.“ Sardos „1992“-Kollege Alessandro Fabri begann seine Karriere übrigens als Autor für die italienische Version der erfolgreichen Vierbeiner-Polizeiserie „Kommissar Rex“: „Ich habe Handlungsstränge für einen Hund geschrieben und so mein Drehbuchhandwerk gelernt“ lacht er und fügt hinzu: „Das war durchaus hilfreich.“

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