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: Auch Mythenfiguren kacken

„Història de la meva mort“/„Story of my Death“ (Spanien 2013; Regie: Albert Serra). Die DVD ist als UK-Import ab rund 17 Euro erhältlich

Wir sehen Casanova in seinem Schloss auf dem Klo: Mit mächtiger Anstrengung kackt der ältere Herr die Schüssel voll. Er tut auch andere Dinge. Er isst mit gewaltigem Schmatzen. Er liest Voltaire und andere zeitgenössische Autoren. Er lacht mehr als einmal hysterisch. Er kriecht einer jungen Frau unter den Rock. Und denkt auch mal an den Tod.

Sein Bediensteter namens Pompeu ist da und spricht nur selten. Er ist dick und er hat ein sehr rundes Gesicht, das durch den Bart und die topfartige Perücke nur noch runder wird. In einer Sequenz vor dem Titel sah man ein Paar an einem Tisch, betrunken vermutlich, in einem Annäherungs- und Liebesspiel, bei dem nichts passiert. Die Musik barockisiert mit der Lust an der Wiederholung dazu. Schon das hat gedauert.

Aber alles darf in „Història de la meva mort“ dauern, das Lachen, das Schmatzen, das Kacken, das Nichtstun. Nichts wird erklärt. Alles ist sehr schön gefilmt in natürlichem Licht, im gedämpften und warmen Schein einiger Kerzen. Wir sind in einem Historienfilm, der von bedeutenden Geschehnissen der Weltgeschichte zunächst gar nichts erzählt. Herumsitzen, Herumquatschen ist ihm alles.

Dann geht es fort, eine Karrenfahrt durch den Wald. Sie endet in den tiefen Karpaten. Bevor sie endet, hat sie sehr lang gedauert. Manchmal fragt man sich, beim Sitzen, beim Fahren, beim Lauschen auf die dunklen Geräusche, ob das jetzt überhaupt wieder endet. Oft ist es so schön, dass es gar nicht müsste, dass gar nichts müsste. Stundenlang dürfte das so gehen, dass gar nichts mehr geht. Einfach sitzen und schauen, in die Zeit so eingewirkt ist, dass man gar nicht mehr weiß, ob sie jetzt aus Versehen vielleicht zu vergehen aufgehört hat.

Sich Zeit nehmen, das kann Albert Serra. Auf der documenta 2012 hat er alle zwei Tage einen zweistündigen Film gedreht und am nächsten Tag sogleich vorgeführt. „Three little pigs“ hieß das, es ging um Goethe, Hitler und Fassbinder. Auch diese drei saßen, standen, lagen, rezitierten vor allem herum. Dem frenetischen Tempo der Entstehung zum Trotz hatte das die Ruhe sehr weg, soweit ich das nach Ansicht eines Bruchteils sagen kann. Am Ende waren es 200 Stunden, die kein weiteres Mal komplett zur Aufführung kamen.

Serra hatte zuvor schon Filme gedreht, in denen Don Quijote und die Heiligen Drei Könige in der Gegend rumliefen, quatschten, in natürlichem Licht saßen. Aber was heißt schon Don Quijote, was Kaspar, was Melchior, was Balthasar. Was Serra in Szene setzt, sind Nichtschauspieler als Menschen mit historisch verweisenden Namen, sind ihre Körper, denen er allen Raum und alle Zeit der Welt gibt.

Stundenlang dürfte das so gehen, dass gar nichts mehr geht. Einfach sitzen und schauen

Was heißt schon Casanova. Ihn spielt ein katalanischer Dichter namens Vicenç Altaió, der so überzeugend Text rezitiert, wie er hinreißend kackt. Und was heißt schon Dracula. Er ist ein Mann namens Eliseu Huertas. Huertas als Dracula taucht in den Karpaten einfach so auf. Er saugt und beißt, er wird zu Casanovas Konkurrenten um zwei Bauerntöchter.

Aber fast sagt man damit zu viel, denn als Geschichte führt das zu nichts. Auch Mythenfiguren sitzen und stehen bei Serra vor allem herum. Sie sind, wer sie sind, und sind es auch nicht. Serra entleert sie und schafft so einen ganz eigentümlichen Raum: Fiktion, die sich um den Fiktionscharakter kaum kümmert. Mythe, die ihren Inhalt in Bilder von Körpern, in sehr basal Materielles entlädt. Man soll und will das nicht deuten. Kino heißt, scheint Serra zu sagen: Nimm es hin, wie es ist.

Ekkehard Knörer